Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: @Alex

susu, Thursday, 03.04.2003, 01:49 (vor 7714 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: @Alex von Garfield am 01. April 2003 17:41:43:

Hi Garfield

Ja, sowas gibt es natürlich auch. Es gibt z.B. auch Fälle, in denen Männer zwar eigentlich schon Frauen mit ausgeprägten weiblichen Formen anziehend finden (eben wegen der im Unterbewußtsein festgelegten Schlüsselreize), aber trotzdem nur extrem schlanke Frauen als Partnerinnen akzeptieren. Weil ihnen solche Frauen von den Medien als Schönheitsideal vorgegaukelt werden und weil sie deshalb glauben, mit solchen Frauen besser "repräsentieren" zu können. Bei Frauen tritt das genauso auf, und eigentlich sogar noch häufiger. Bei ihnen ist nämlich einerseits ebenfalls ein bestimmtes Ideal-Männerbild im Unterbewußtsein eingespeichert, andererseits gibt es aber mittlerweile auch das Ideal vom sanftmütigen Softie. Letzteres wird aber gar nicht so vehement propagiert, so daß es die unbewußten Schlüsselreize kaum ganz überlagern kann. Dazu kommt noch, daß das althergebrachte Männer-Idealbild ja auch durchaus heute noch nicht ganz aus den Medien verschwunden ist. Allein schon, weil alte Filme ja immer wieder gezeigt werden. Es gibt auch viele Frauen, die durchaus gern Action-Filme mit Sylvester Stallone oder Steven Seagal sehen, und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil diese Darsteller noch das althergebrachte Ideal des coolen Macho-Mannes verkörpern. Deshalb schwanken viele Frauen zwischen ihrem instinktiven und dem nur halbherzig anerzogenen Idealvorstellungen immer hin und her. Das hat man bei Tests ja sogar schon nachgewiesen. Dabei hat sich herausgestellt, daß Frauen außerhalb der Eisprungphase Männer bevorzugen, die eher weiblich aussehen, während sie in der Eisprungphase Männer mit typisch "männlichem" Aussehen präferieren. Außerdem hat man nachgewiesen, daß Frauen während der Eisprungphase eher zum Fremdgehen neigen. Das legt einen Zusammenhang nahe, nämlich, daß es einfach so ist, daß Frauen sich unter dem Einfluß der gesellschaftlichen Erziehung für Männer entscheiden, die nicht unbedingt ihren unbewußten Idealbildern entsprechen. Wenn während der Eisprungphase aber bestimmte Hormone dafür sorgen, daß diese unterbewußten Wünsche sich stärker bemerkbar machen, dann orientieren sich manche Frauen offenbar plötzlich um, vermissen etwas an ihren Partnern und suchen das dann anderswo...

Question: Das traditionelle Männerbild, könnte das nicht auch durch Sozialisation entstanden sein? Gibt es in Naturvölkern den Typ Stalone? Nein, es gibt ihn nicht, er ist ein Produkt dieser Kultur (Noch Charles Atlas, das Muskelidol vergangener Zeit, sah ganz anders aus, die Männerbilder der Antike, oder des Barok ähneln sich nicht im geringsten, trotzdem waren sie jeweils das bestimmende Ideal).
Question: Wie eingehend kennst du die Studien, auf die du dich berufst? Soziobiologie ist eine sehr komplexe Wissenschaft, insbesondere, wenn es um Menschen geht. Da wird oft schlechte Wissenschaft betrieben, d.h. die Fragestellung beeinflust das Ergebnis extrem und kulturelle Faktoren werden völlig misachtet. Da gibt´s z.T. horrende Fehler in der Versuchsplanung und Durchführung und die Berichtserstattung über diese Wissenschaft neigt dazu Ergebnisse stärker zu bewerten, als es angebracht wäre. Da wird aus statistisch insignifikanten Unterschieden plötzlich ein klares Ergebnis.
Question: Wurden Hormonspiegel gemessen, oder wurde nur der Zyklus korreliert? Wie definierten die Forscher Männer mit "weiblichem" Aussehen und wie Männer mit "männlichem" Aussehen? Gibt es da eine Objektive Antwort?

Und das wiederum bringt uns nun zu der Frage, wie sehr diese gesellschaftliche Erziehung letztendlich wirklich wirkt. Kann es sein, daß sie zwar zunächst durchaus Wirkung zeigt und Menschen dazu bringt, sich bei der Partnerwahl auch mal entgegen ihren unbewußten Wünschen zu entscheiden, daß diese Wirkung aber oft nicht dauerhaft anhält und diese "Fehler" dann oftmals später wieder korrigiert werden?

Nein. Dann müßte es klar erkennbare Zusammenhänge zwischen irgendwelchen Biologischen Tatsachen und der Partnerwahl geben. Gibt es aber nicht. Und unbewuste Wünsche können eben auch durch die Sozialisation hervorgerufen werden.

Hat man aber grundsätzliche negative Gefühle gegenüber jemandem, den man anziehend findet? (Damit meine ich jetzt negative Gefühle, für die es keinen objektiven Grund gibt, die also nicht z.B. aus etwas resultieren, was diese Person getan oder gesagt hat.) Wohl kaum. Sowas entwickelt man nur gegenüber Menschen, die man eben nicht anziehend findet.

Hier verweise ich auf Studien, die belegen, daß Menschen, die heftige Ablehnung Homosexuellen gegenüber zeigen, ebenso eine sexuelle Anziehung dem eigenen Geschlecht gegenüber empfinden. D.h. da kommt projezierter Selbsthass ins Spiel.

Aber dennoch ist es in der Tierwelt so, daß da keineswegs jeder auf jedem herumrammelt. Wenn die Lust sich tatsächlich so verselbstständigen würde, dann müßte es sämtlichen Tieren (und natürlich auch uns Menschen) doch völlig egal sein, welcher Art und welchem Geschlecht ein Sexualpartner angehört. So ist das aber nicht!

Na ja, es ist fast so. Bei der großen Mehrheit der Tiere ist noch nicht mal heterosexuelle Aktivität beobachtet worden, bei den meisten Tierarten, die näher Untersucht wurden, wurde homosexuelles Verhalten beobachtet. Und bei einigen Tierarten erklärt sich das Fehlen der Belege für homosexuelles Verhalten aus der Methodik der Forscher. So gab es eine groß angelegte Untersuchung über das Sexualverhalten einer Vogelart (kann ich nächste Woche nachschlagen, welche das war), die im Abstract erklärte, es habe im Untersuchungszeitraum keine homosexuelle Aktivität festgestellt werden können, dieser habe sich über 5 Jahre erstreckt, mit mehreren tausend beobachteten Fällen von heterosexuellem Verhalten, diese Tierart zeige also keine homosexuellen Verhaltensweisen. Ließt man dann den Rest der Studie stutzt man, wenn man bei der Geschlechtsbestimmungsmethode angelangt ist: Die Forscher hatten bei jedem Paarungsakt den oberen Vogel als Männchen, den unteren Vogel als Weibchen klassifiziert. OK, so gesehen gibt es natürlich überhaupt keine Tierart, die homosexuelle Verhaltenweisen an den Tag legt.

Es gibt da deutlich erkennbare Hemmschwellen, die nur dann übertreten werden, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, um seinen Trieb abzureagieren. Sexualpartner werden in der Regel in folgender Rangfolge akzeptiert: Erstens Vertreter des anderen Geschlechts der eigenen Art. Wenn die nicht erreichbar sind, begnügt man sich mit Vertretern des eigenen Geschlechts der eigenen Art. Wenn die ebenfalls nicht erreichbar sind, akzeptiert man auch Vertreter anderer Arten. Wenn die auch nicht greifbar sind, wird alles akzeptiert. Ich hab schon einen Hund beim Geschlechtsverkehr mit einer Wolldecke beobachtet.

Das stimmt so ganz und gar nicht, ich empfehle dir die Lektüre von Bruce Baghemils (der Name könnte falsch geschrieben sein...) "Natural Exhuberance". Es gibt eine Menge Tierarten, bei denen Individuen oder auch ganze Populationen gleichgeschlechtliche Partner bevorzugen. Steinböcke sind ein solches Beispiel. Die dem Menschen am nächsten stehende Art, der Zwergschimpanse zeigt so ziemlich alles an Sexualverhalten, was wir auch vom Menschen kennen.

Alex, so einfach ist das nicht! Gerade die Geschichte der katholischen Kirche muß man sehr differenziert betrachten. Versetze dich mal in die Lage eines Homosexuellen vor 500 Jahren. Du fühlst dich also von Männern angezogen, und Frauen geben dir gar nichts. Du wurdest aber dazu erzogen, solche Neigungen als sündhaft und verdorben zu betrachten. Also unterdrückst du sie. Vielleicht gelingt dir das auch. Das Problem ist nur: Du hast einfach keine Lust, eine Frau zu heiraten. Weil dich Frauen nicht interessieren. Verwandte und Bekannten fangen dann langsam an zu sticheln, und überhaupt wundert sich alle Welt, wieso du keine Anstalten dazu machst, dir eine Frau zu suchen und zu heiraten. Deine Eltern suchen dir womöglich schon eine Heiratskandidatin aus. Vielleicht läßt du dich dann breitschlagen, heiratest unter dem Druck der Umwelt tatsächlich eine Frau und lebst dann jahrzehntelang unglücklich neben ihr her. Aber es gibt noch eine Alternative: Du kannst zur Kirche gehen und da z.B. Mönch oder Priester werden. Da mußt du sowieso das Zöllibat ablegen, also fragt dann auch niemand mehr danach, wieso du immer noch nicht verheiratet bist. Die ganze lästige Fragerei bist du auf einmal los. Was liegt da näher, als diese Lösung zu wählen?

Vor 500 Jahren fühlten sich Homosexuelle nicht anders als Menschen, die Ehebruch begangen. Die gesonderte Betrachtung der "Liebe die ihren Namen nicht zu nennen wagt" begann erst vor ca. 250 Jahren und da auch nur bei Männern.

Ich kannte aber schon Menschen, die regelrechte Minderwertigkeitskomplexe entwickelt haben, weil ihnen von ihrer Umwelt immer wieder deutlich gezeigt wurde, daß sie eben nicht besonders gut aussehen! Sowas gibt es durchaus häufig.

Wie auch die Zunahme von Essstörungen wie Anorexie und Bulemie zeigt.

Genaugenommen steht das ja auch weder im Widerspruch zu meinen noch zu deinen Ansichten. Wenn du nämlich wirklich davon ausgehst, daß alles durch Erziehung geformt wird, dann wäre doch gar nichts dagegen einzuwenden, Menschen, die bei ihrer Geburt eben etwas "unnormal" sind, einfach mal umzuerziehen und dieser Umerziehung zuweilen eben auch durch OPs und Hormontherapien nachzuhelfen.
Aber das willst du ja gerade nicht. Also gehst du doch durchaus auch davon aus, daß jeder Mensch das, was er ist, eben zumindest auf der unbewußten Ebene weitgehend schon von Geburt an ist. Und daß man das nicht verändern sollte.

Nein, die Argumentation geht so: Don´t do harm! Unnötige medizinische Eingriffe an nicht-mündigen Personen sind eine Form von Gewalt, so einfach ist das. Aus meiner Sicht ziehe ich, daß ich ein Kind so erziehen sollte, daß es eigene Entscheidungen treffen kann, darüber wie es sein Leben gestalten will und das schließt Entscheidungen über sämtliche geschlechtsrelevaten Handlungen mit ein. Eine Erziehung zur Unfreiheit wird so gut wie immer in Rebellion enden.

Bei den sogenannten "DrAG-Queens" beispielsweise habe ich immer sehr das Gefühl, daß sie es richtig genießen, überall aus dem Rahmen zu fallen. Ich denke, zumindest denen würde wirklich etwas fehlen, wenn ihr Verhalten plötzlich als ganz normal und gewöhnlich gelten würde und wenn sie also niemanden mehr provozieren oder gar schockieren könnten.

Laß die Anführungszeichen ruhig weg, Drag Queens sind auch nicht sogenannt, sondern nennen sich selbst so. Drag ist immer Show, immer ironische Überhöhung. Natürlich soll das nicht "normal" sein, darum geht es bei Drag auch nicht (wobei es natürlich schon normal sein sollte, DQs zu akzeptieren). Aber es würde einen politischen Kabarettisten auch nerven, wenn die Welt plötzlich so wäre, wie er sie sich immer erträumt hat, weil er dann nicht mehr sticheln kann. Oder wenn´s plötzlich egal wäre, wenn einer im Fernsehn "Ficken" sagt - da käm Ingo Appelt in eine ganz schöne Sinnkriese (gibt´s den noch? Ist wohl schon so weit).

Ja, aber unendlich viele Geschlechter (denn das bedeutet ja "jeder Zwischenwert") sind de facto gleichbedeutend mit keinem oder mit einem Geschlecht! Ich sehe da schon noch einige Probleme, z.B. das schon erwähnte Problem mit der Zuordnung von öffentlichen Toiletten, Dusch- oder Umkleideräumen. Das mag jetzt unwichtig klingen, aber das allein wäre schon ein großes Problem für viele Menschen. Natürlich beruht das auf Erziehung, aber das ändert nichts daran, daß das Problem besteht.

"Throwing coins in public restrooms
which one am I gonna use?
people stare at me confused
it´s not like I am not used
to that anyway, anyway" (Vorgestern geschrieben)

Die Klofrage ist übrigens keineswegs unwichtig, sondern ein absoluter Klassiker unter den typischen Problemen, die genderqueere Menschen betreffen.

Tja, Alex, aber wie soll man das wissen, wenn man ein Kind von vielleicht 10 Jahren ist? Da hat man kaum Lebenserfahrung und versteht es überhaupt nicht, wenn alle auf einem herumhacken. Wenn man dann körperlich nicht stark genug ist, um sich mit Gewalt zu wehren und wenn man auch keinen Erwachsenen kennt, der einem da wirklich sinnvolle Ratschläge geben kann, dann bleibt einem gar nichts anderes übrig, als das ewige Opfer zu sein.

Aber Opfer sein und Opferhaltung entwickeln sind zwei verschiedene Dinge. Opferhaltung bedeutet ewige Passivität und Fatalismus, Opfer sein ist einfach den Umständen geschuldet.

susu


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