Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

Arne Hoffmann, Thursday, 06.03.2003, 00:04 (vor 7743 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von susu am 05. März 2003 20:52:03:

Hi Susu,

Ich würde diese Kritik teilen, vor allem weil ich den Begriff von Differance, wie er bei Lacan auftaucht, außerhalb des iragarayschen Kosmos stets anders verstanden gesehen habe (Ich habe Lacan selbst noch nicht gelesen, zu wenig Zeit und Geld...).

Ich habe auch nur seinen Essay über Poes "Purloined Letter" im Original gelesen und festgestellt, dass Lacan wirklich so verquast schreibt, wie man ihm vorwirft.

Es gibt in Körper von Gewicht einen Abschnitt, der besagt, daß Irragaray der Verdiesnt zukomme, die Irrtümer der Philosophiegeschichte schonungslos aufzudecken und dann mimetisch zu immitieren. In dieser Form läßt sich Iragaray durchaus positiv verstehen, nur erfordert es eben die genaue Kenntniss des Originals, um die Parodie zu verstehen und ich kann von mir nicht behaupten Schopenhauer und Aristoteles gut genug zu kennen um den Witz zu verstehen ... Allerdings ist die Rezeption in weiten Teilen der Feministinnen durchaus eine wort-wörtliche und eben keine high brow Drag-show für PhilosophInnen. Ich geb´s zu - das ist letztendlich die "Beifall von der falschen Seite"-Argumentation mit Worten großer Silbenzahl ...

Naja, du kritisierst hier ja eher die Rezeption als den Originaltext. Wobei man sich allerdings auch fragt, welche Qualität eine Satire haben mag, wenn sie 95 Prozent der Rezipienten nicht als solche erkennen, sondern für bare Münze nehmen.

Wir stritten rum die halbe Nacht
Wer von uns den Phallus hat
und ob das Überhaupt
einen Unterschied macht
und ob Differance denkbar ist
ohne Opposition
und bedachten dabei Butlers
Iragaray Rezeption
Ein Poststrukturalistisches Liebeslied, so to speak :)

Klasse. Jetzt brauchen wir nur noch eine hübsche Melodie, und dann schicken wir DICH in die nächste Staffel von "Deutschland sucht den Superstar". ;-)

Wobei das zum größten Teil deckungsgleich sein dürfte.

Das mag wohl sein. Ich hab noch ein bisschen über deine These nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass mein Buch und auch diese Foren hier vielleicht aus denselben Gründen zum Teil sehr heftige Aggressionen auslösen, aus denen manche Leute auf euch Transgender mit Aggressionen reagieren: wegen dem Sprengen einer klaren Aufteilung der Geschlechterrollen. Wenn ich so das letzte Jahr Revue passieren lasse, wurde die emanzipatorische Männerbewegung am heftigsten von jenen angegriffen, die als Frauen auf der ewigen Suche nach starken Männern waren oder als Frauen UND Männer nicht akzeptieren konnten/wollten, dass wir mit Nachdruck das Thema von Männern als Opfer in die Debatte brachten. Manche Frauen sahen ihren eigenen Opferstatus gefährdet, manche Männer ihre vermeintliche Männlichkeit. Leute, die überhaupt nicht erwarteten, dass jedes Geschlecht bestimmte Rollenklischees erfüllen musste, konnten z. B. auch mit geprügelten Männern oder missbrauchten Jungen besser umgehen.

Wobei ich bezweifle, dass sich hier eine eindeutig klare Linie zwischen Essentialisten und Butlerianern ziehen lässt. Die allermeisten Leute sind doch sehr unscharf verortet und tragen Ansätze von beidem in sich. Sehr oft sind Menschen ja auch in einer bestimmten Lebensphase besonders essentialistisch, nämlich wenn sich ihre eigene Geschlechtsidentität gerade bildet und das andere Geschlecht dabei abgewertet wird: "Jungs sind doof und denken nur an das eine", "Mädels sind dumme Gänse und sind ständig am Tratschen" usw. Das legt die Frage nahe: Wenn Slogans wie "Männer sind Schweine" heutzutage längst nicht mehr nur die Teenie-Kultur durchziehen - kann das auch daran liegen, dass heutzutage ein bestimmter Reifeprozess wesentlich später abgeschlossen wird als in früheren Jahrzehnten? Oder ist sowas einfach nur eine Gegenreaktion darauf, dass die Geschlechtergrenzen in Wahrheit immer fließender geworden sind?

Ich suche immer noch nach einem Text, in dem Butler für Laien zugänglich gemacht wird und der triviale Feminismus ist mindestens sozialisationsfatalistisch (sag das dreimal hintereinander...), wenn nicht gar essentialistisch.

Ich denke, Alice Schwarzer beispielsweise befindet sich in ihren Artikeln in exakt jenem Spannungsfeld zwischen sozialisationsfatalistisch und essentialistisch. Mal heißt es in der Besprechung eines SM-Buches von Pat Califia: "Im Zuge der Emanzipation und einer sich verändernden Lebensrealität greifen eben auch Frauen in der Erotik zur Gewalt und zur Macht." An einer anderen Stelle heißt es: Frauen könnten grundsätzlich nicht pädophil sein, da "Sexualität für Frauen nicht Ausübung von Herrschaft ist". Soso. :-)

NOW ist meines Wissens ähnlich organisiert wie der deutsche Frauenrat, d.h. die Haltung hängt stark von den beteiligten Gruppen ab und die sind in den USA weit stärker diversifiziert als in Deutschland. NOW hat seit 98 Transpeople an Bord, hat auf die Kritik Schwarzer, Lesbischer und unteren sozialen Schichten angehörender Frauen, daß der Feminismus white straight and middle class sei reagiert und ist dadurch letztendlich recht pluralistisch geworden. NOW gibt mitlerweile viele einerseits/andererseits Erklärungen heraus und arbeitet zum Teil schon mit denen zusammen, die in den frühen 90ern die Organisation frustriert verließen (War Warren F. nicht genauso Mitglied wie Rikki Anne W.?)

Farrell war im Vorstand der Regionalgruppe New York von NOW - allerdings zu einer Zeit, als er noch voll auf der feministischen Linie lag und mit "The Liberated Man" ("Der befreite Mann") die These vertrat, dass Männer in gewisser Weise den Frauen unterlegen seien und zu besseren Menschen therapiert werden müssten. Das war Ende der siebziger Jahre und das, was man damals auch in Deutschland unter "Männerbewegung" verstand: Lasst uns mehr weibliche Tugenden annehmen und die Welt so von dem militärisch-industriellen Komplex befreien ... Was Farrell angeht, hat sich sein Themenschwerpunkt bzw. seine Herangehensweise ja spätestens seit "The Myth of Male Power"/"Mythos Männermacht" stark geändert, und seitdem ist er auch nicht mehr Mitglied bei NOW.

Da muß ich mit Daniel K. "Puh" sagen. Es gibt so gut wie keine Deutschsprachige Literatur zum Thema und eigentlich bin ich froh über jedes Buch, was überhaupt erscheint.

Okay, dann schau ich mir mal bei Amazon die englischsprachigen Titel dazu an.

Und wenn wir berücksichtigen, das Sigusch dank seiner "One size fits all"-Behandlungsrichtschnur, die mitlerweile Standard in der Psychologischen Praxis in Deutschland ist, bei allen, die nicht in das simpelste Raster von TS fallen einen schlechten Ruf hat, ist auch das nicht zu empfehlen.

Ah, deshalb. Ich hatte schon gehört, dass Sigusch unter Transgendern eher unbeliebt ist, wusste aber nicht warum.

Herzlicher Gruß

Arne


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