Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: @Alex

Ferdi, Friday, 21.03.2003, 18:04 (vor 7727 Tagen) @ Alex

Als Antwort auf: Re: @Alex von Alex am 21. März 2003 14:31:35:

Hi Alex und Garfield!

Das stimmt. Vor wenigen Jahrzehnten wären zwei sich küssende Männer im Straßenbild undenkbar gewesen, heute werden sie dafür wenigstens meist nicht mehr gesteinigt.

Interessanterweise werden solche Verhaltensweisen auch wieder sehr stark geschlechtsspezifisch unterschiedlich bewertet. Wie oft seht Ihr, wie zwei Frauen, die befreundet sind und sich treffen, sich erst einmal herzlich umarmen, vielleicht auch küssen, bevor sie sich unterhalten. Das nimmt die Umwelt einfach zur Kenntnis, das ist in Ordnung, die beiden mögen sich halt sehr. Aber wenn zwei Männer haargenau dasselbe tun, dann wird gleich gesagt, sie seien schwul etc. Also für die gleiche Verhaltensweise zweierlei Mass. Ich selbst umarme meine besten Freunde auch, wenn wir uns nach längerer Zeit mal wiedersehen, das ist mir ein Bedürfnis, das kommt aus meinem Inneren und das lasse ich mir von keinem schlechtreden.

Merkt nun ein Mensch, dass eine wesentlich größere Zahl von Verhaltensweisen, die er bevorzugt dem "anderen" Geschlecht zugeordnet werden und bleibt er in der binären Logik, dass diese auch dem "anderen" Geschlecht "gehören", dann kommt der Gedanke auf vielleicht "im falschen Körper" gebohren zu sein, und wir haben eine GID diagnostiziert.

Auch hier wieder eine geschlechtsspezifisch unterschiedliche Betrachtungsweise. Wer kommt auf die Idee, einer Frau, die sich betont männlich gibt, die Hosen, Anzüge und Krawatten trägt, zu sagen, sie sei vielleicht im falschen Körper geboren worden? Trägt ein Mann Röcke, dann ist man äusserst schnell bei diesem Vorurteil und die entsprechende Schublade wird mit Lichtgeschwindigkeit aufgemacht. Als langjähriger Rockträger habe ich dieses Vorurteil immer wieder mal gehört ("..wollen Sie eine Frau sein?"), konnte es aber in allen Fällen mit zwei, drei Sätzen wegdiskutieren, konnte es regelrecht verschwinden lassen.

Aber solange da von manchen noch dumme Kommentare kommen, solange sollte man als Mensch mit halbwegs Verstand im Kopf, dazu nicht schweigen. *hihi* eine Freundin von mir hat mal mitten in einem Kaufhaus ein Pärchen "zur Sau gemacht", die dabei waren einen Transvestiten übelst zu beschimpfen.... die waren so verdattert, dass sie mit denen danach sogar vernünftig reden konnte und die echt was kapiert haben *g* Ich hab mich am Boden gerollt vor Lachen, als sie mir die Geschichte erzählte.

Man sollte wirklich nicht schweigen. Ich habe dazu auch eine sehr lustige Geschichte erlebt. Ich ging einmal an einem heissen Sommertag durch ein bayrisches (!) Bierzelt auf einem Jahrmarkt, bekleidet mit einem T-Shirt, einem kurzen Rock und Sandalen. Ich kam an einem Stehtisch vorbei an dem drei Männer, Typ Möbelpacker, ihre Maß Bier tranken. Sagt einer zu mir: "Biste schwul?" Da stellte ich mich dazu, schaute dem Frager tief in die Augen und sagte: "Mensch, haste das schon wieder vergessen, wir kennen uns doch, du warst doch letzte Woche am Bahnhof so gut drauf, Mensch, warst Du geil. Weiste was, wir treffen uns am Montag abend wieder dort wenn Du Zeit hast. Ich warte auf Dich."

Ich verabschiedete mich höflich und ging weiter. Vom Ausgang aus habe ich unbemerkt durch das Gewühle hindurch das Geschehen beobachtet. Der, der mich gefragt hatte, war mit hochrotem Kopf heftig gestikulierend mit seinen Kumpels am diskutieren, über eine Viertelstunde lang habe ich das beobachtet und musste immer wieder zum Ablachen hinter das Zelt um mich nicht zu verraten. Der Junge ist wirklich bei seinen Kumpels in einen echten, schweren Erklärungsnotstand gekommen. Und ich hatte eine geradezu tierische Freude. Jedenfalls fragt der nie mehr jemanden sowas. So oder so ähnlich verwandele ich oft Schubladen in Kleinholz, wenn man mich da reinstecken will.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass wenn man seine von der Rollennorm abweichende Lebens- und Verhaltensweise mit tiefster innerer Überzeugung vertritt, dass das die Menschen an der Ausstrahlung sofort merken und dann beeindruckt diese Verhaltensweise hinnehmen. Nur unsichere Menschen, denen man ansieht, dass sie ihr Verhalten mit einem "schlechten Gewissen" verbinden, ziehen negative Reaktionen der menschlichen Umwelt auf sich. Das scheint mir auch das Hauptproblem aller von Geschlechterrollen und -klischees abweichender Menschen zu sein, weil sie - durch antiquierte Erziehung und Sozialisation bedingt - ihr Verhalten als "sündhaft" empfinden, obwohl sie das so wollen.

Freundliche Grüsse,
Ferdi


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