Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

Alex, Sunday, 09.03.2003, 17:55 (vor 7739 Tagen) @ Ferdi

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Ferdi am 08. März 2003 12:36:42:

Hallo Ihr Lieben,

jetzt muß ich auch mal hier mitmischen :-)

Zum Einen, weil mir die Diskussion mit Susu übers Wochenende schon zu fehlen beginnt... kaum zu glauben, nach solchen Gesprächen kann man in kürzester Zeit süchtig werden :o)
Die Gedanken von Susu sind so tiefgründig und frei von geistigen Axiomen, wie ich es nur sehr selten erlebt habe und auf der anderen Seite so präzise formuliert dass es eine Freude ist sich damit zu beschäftigen.
Ich stimme Euch zu, dass Susu auf einem sehr hohen Niveau schreibt (und ich denke sich sogar noch bewußt zurückhält, damit wir verstehen können, was gemeint ist *g*).

Die größsten Hemmnisse am Verstehen der Texte entstehen aber nicht durch das Niveau, sondern dadurch, dass es Euch, Ferdi und Arne (mit leichten Vorteilen bei Arne), schwer fällt einen so gender-losgelösten Standpunkt nachzufühlen, wie ihn Susu einnimmt.

Das sehe ich gut, an der Art wie die Diskussion hier weitergeführt wird, wenn Susu ein paar Tage mal nicht präsent ist.

Deswegen möchte ich an dem Punkt ansetzen, an dem die Diskussion zwischen Ferdi und Arne weiterging. Auf emotionaler Ebene dürfte ich mit Susu sehr stark übereinstimmen. Ich kann es nicht so brilliant formulieren und bin bei weitem nicht so belesen, speziell auch was Gender Themen betrifft, aber vielleicht kann mein Posting helfen zu verstehen, wie jemand denkt und fühlt, der die Einteilung der Welt in männliche und weibliche Wesen von frühster Kindheit an nie verstanden bzw. später einfach für eine unsinnige Illusion gehalten hat.

Ferdi schrieb:
Aber jetzt möchte ich einmal fragen: "Männlichkeit", was hat man darunter eigentlich zu verstehen? Ich persönlich empfinde den Begriff "Männlichkeit" als einengend. Ich empfinde ihn so, dass man mir sagen wollte: "Es genügt nicht, dass Du ein biologisch vollwertiger und vollständiger Mann bist, nein, Du hast gefälligst auch *männlich* zu sein". Ich empfinde ihn also als Versuch, mich auf ein Gleis zu setzen, das in eine Richtung führt, in die ich garnicht will. Ich definiere mich als einen Menschen, der Kinder zeugen kann und auch gezeugt hat und der Frauen liebt (winkewinke Jolanda!).

Einengend ist jede Rolle, die man glaubt erfüllen zu müssen. Die Frage ist eigentlich: Wie kommt es, dass sich so viele genötigt sehen einer Illusion "Männlichkeit" oder "Weiblichkeit" nachzulaufen und sich dadurch selbst die Freiheit zu beschneiden. Bzw. anders herum: Warum "bestraft" man Menschen die dies nicht tun.

Für mich selber ist Männlichkeit und Weiblichkeit eine Illusion, zwei Worte, die über die Eigenarten des damit bezeichneten Menschen nahezu nullkommanichts aussagen.
Oder um es mit Einstein zu sagen: Alles ist relativ! Wenn ich ein Metermaß habe, kann ich dieses als Bezugspunkt verwenden um die Größe einer gemessenen Strecke zu beschreiben (Susu, nicht hauen, ich weiß, dass die Entfernung nach Einstein trotzdem noch relativ bleibt *g*).

Bei männlich/weiblich funktioniert sowas aber nicht, da jeder Mensch sein eigenes Metermaß hat.
Stellt Euch vor jeder Verkäufer auf dem Wochenmarkt hätte eine eigene Wage und würde Euch wenn ihr 1kg von etwas verlangt nach EURER Wage alles zwischen 1g und 10000g verkaufen? Ahnt Ihr was das für eine Verwirrung erzeugen würde?

Der tolle Geschlechterkampf kommt in meinen Augen dadurch zustande, dass die Unterschiede der individuellen "Metermaße" verleugnet werden. Und das verhindert damit auch zu erkennen, wie wenig die Begriffe männlich/weiblich überhaupt aussagen. Wenn ich 1kg verlange und bekomme alles zwischen 1g und 10000g, sagt der Begriff 1kg einfach FAST NICHTS mehr aus.
Aber Menschen sind irrational. Jeder, der sich mit Psychologie mal beschäftigt hat, weiß, dass jede Handlung, und sei sie noch so destruktiv, für den der sie verübt "Vorteile" hat. Jemand, der sich beispielsweise selbst verletzt, tut dies, weil es nach seinen Maßstäben VORTEILE hat. Andere, z.B. auch ein Therapeut versuchen nun die Maßstäbe soweit zu verschieben, dass derjenige weniger selbstzerstörerische Wege benutzt.

Was das mit dem Gender-Thema zu tun hat? Ganz einfach, zusammengefasst:

<ul><li>Menschen sind irrational
<li>Fast jede Ansicht die ein Mensch vertritt bietet ihm Vorteile
<li>Es ist oft schwierig diese "Vorteile" nachzuvollziehen, da sie evtl. nur nach dem Wertesystem desjenigen einen Vorteil darstellen</ul>

Susu hat in dem Grundsatzposting sehr schön ausgearbeitet worin diese Vorteile liegen, und warum die Illusion von "zwei Sorten" Menschen nicht längst im kollektiven Bewußtsein als Illusion erkannt und als solche behandelt wird.

Und da dies so ist, ist im kollektiven Bewußtsein nicht nur der biologische Unterschied vertreten (wo es wie Susu schrieb auch schon Ausnahmen gibt und eben nicht nur männlich und weiblich) sondern ein irrsinniges Gespinst von schein-philosphischen Aussagen, wovon KEINE einer objektiven Prüfung standhalten würde.
Deswegen Susu's Ausflug in die Statistik, bzgl. der tertiären Geschlechtsmerkmale. Die Mathematik wäre hier ein wirklich objektives Werkzeug... und sie sagt: Bei den tertiären Geschlechtsmerkmalen läßt sich keine Aussage bzgl. männlich/weiblich mehr treffen.

So... das war nun erstmal die Grundlage von dem was nun noch fehlt:

Ferdi ärgert sich, wenn jemand aufgrund des Röcketragens auf seine Männlichkeit schließt, das hab ich zumindest einigen Postings aus dem Rocker-Forum entnommen.
Ich, und ich denke Susu auch reagieren kopfschüttelnd, weil der Begriff Männlichkeit schon an sich ein Hirngespinst, eine Illusion ist.
Verstehst Du den Unterschied? Ich möchte garnicht männlich oder weiblich sein, weil diese Begriffe keinerlei Aussagekraft haben. Jede Aussagekraft wird ihnen nur angedichtet, hält keiner objektiven Prüfung stand und existiert nur schon so lange, dass sie für viele Menschen zu Axiomen mutiert ist.

Jeder Mathematiker weiß aber, dass sich jede beliebige Aussage beweisen läßt, wenn man nur von den richtigen Axiomen ausgeht.
So ist z.B. 1+1=0, wenn ich einfach festlege "plus" = "minus" und Zweifel an dieser Festlegung nicht zulasse... es zum Axiom erhebe.

Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt, wo Zweifel an der Festlegung "Es gibt männlich und weiblich und diese unterscheiden sich" noch sehr selten zugelassen sind.
Aber dennoch sind diese Zweifel wohl mehr denn je zulässig.

Arne schrieb:
Oder ist sowas einfach nur eine Gegenreaktion darauf, dass die Geschlechtergrenzen in Wahrheit immer fließender geworden sind?

Die Grenzen werden scheinbar fließender, weil mehr Menschen sich die Freiheit nehmen Gender-Axiome auf Sinngehalt zu prüfen und sich ggf. darüber hinweg zu setzen.

Arne schrieb an Susu:
Apropos ihm/ihr: Wie möchtest du eigentlich, dass auf DICH Bezug genommen wird? Auch in dieser Form, also "Susu hat mich seinen/ihren Text lesen lassen"? Oder anders? Oder wurscht?

Mir wäre es gleich. Ich vermute Susu auch :-) Mal sehen was sie antwortet.

Arne schrieb:
Ich bin damit immer noch nicht ganz glücklich, weil ich immer noch glaube, dass da eine dritte Abwertung fehlt.

Ich denke, damit liegst Du falsch, da dies eine umfassende Theorie sogar wieder einschränken würde.
Susu's zwei Abwertungen reichen völlig aus, wenn man davon ausgeht, dass die zweite Abwertung die Begründung für ein solches Vorgehen liefert.
Menschen die nur destruktiv streiten können, versuchen sich selbst größer zu machen, indem sie die Vorzüge des Streitgegners entwerten.
Wären für hohe Machtpositionen nicht "männliche" Praxen nötig, die zweite Abwertung also nicht existent, dann wäre es auch unnötig diese wertemäßig zu invertieren.
Dennoch enthält dieses Vorgehen ein Paradoxon, was in unserer Gesellschaft dann Frauen in hohen Machtpositionen auch zu spüren bekommen:
Die zweite Abwertung trifft sie voll UND die negative Wertung gewisser "Tugenden" zusätzlich. Nettes Beispiel wäre da die "machtgierige"
Margaret Thatcher oder aktueller auch Angela Merkel.

Da leider sehr viele Menschen destruktiv streiten, liegt es nahe, dass Deine dritte Abwertung die unmittelbare Folge von der zweiten Abwertung ist.

Ferdi schrieb:
siehste, alles Hollywood-Vorbilder. Ist doch heute mit den vielen Fernsehkanälen auch so, da werden auch Vorbilder gemacht und alle stürzen sich kritiklos drauf, ohne zu überprüfen, ob das ihrer Persönlichkeit guttut oder nicht. Und hinterher wird sich darüber beklagt, dass sie ja alle so in der Masse untergehen. Wenn alle die gleiche Farbe haben, fehlt doch der Kontrast, dann wird man nicht mehr wahrgenommen. Aber dass sie (ich meine die Menschenmassen draussen) das durch ihr Konsumverhalten selbst schuld sind, darauf kommen sie nicht. Und dann kommt auf einmal einer wie der Daniel Küblböck und ist einfach er selbst. Dann auf einmal setzt es wilde, widerliche Drohungen, weil Daniel etwas vorführt, was die Masse im Grunde ihres Herzens auch sein will, sich aber nicht traut. In dem Ärger über ihre eigene Angst, sich zu entfalten, entlädt sich der Neid dann hasserfüllt auf jenen, der das locker bringt.

Da ist eine ganze Menge dran! Daniel macht nämlich ANGST!
Warum? Nun: Was passiert mit einem Menschen, der seine ganze Selbstdefinition auf einer Illusion aufgebaut hat?
Er weigert sich, diese als Illusion zu erkennen... er wird sie vehement verteidigen mit allen Mitteln. Daniel ist eine personofizierte Bedrohung des Selbstbildes derer, die sich ausschließlich über diese Illusion selbst definieren. Andere dagegen lieben ihn deswegen so, weil sie die eigene Freiheit nicht leben (und glauben sie nicht leben zu können) und projezieren die eigenen Wünsche auf ihn um wenigstens ein wenig dieser Freiheit spüren zu können.
So polarisiert Daniel die Nation.

Du hast völlig Recht, wenn Du schreibst, dass viele die kecke Frechheit eines Daniel K. besitzen möchten... aber wenige denken darüber nach, warum sie sie nicht haben.

Ferdi schrieb an Arne:
Finde ich gut, dass Du von "Männlichkeitskonzept" sprichst. Damit drückst Du aus, dass Du das für etwas geplantes und nicht für etwas spontanes hälst. Und was geplantes, konzipiertes, also künstliches ist die "Männlichkeit" ja auch. Im Übrigen, ob jemand meinen Entwurf für "unmännlich" hält, ist mir einfach nur schnuppe. Ich weiss es besser, ich kenne mich am besten.

Dadurch dass es Dir egal ist, bist Du geistig schon ein riesengroßes Stück von einem "Otto Normal" entfernt. Wenn Du jetzt noch anzweifelst, dass das Wort "männlich" überhaupt eine Bedeutung, außer der traditionell gewachsenen Bezeichnung für ein Hirngespinst ist, landest Du ungefär da, wo ich mich (und ich denke auch Susu) befinde.

Arne schrieb:
Das ist dann ja auch sehr gut. Aber wie du aktuell bei Max und Moni gepostet hast, fühlen sich ja immer mehr Männer abgewertet. In dem auch unter http://www.news.ch/detail.asp?ID=133577 einsehbaren Artikel heißt es: "Nach drei Jahrzehnten weiblicher Emanzipation sind viele Männer mit den Nerven am Ende. Sie fühlen sich abgewertet und von dem dumpfen Gefühl geplagt vom Aussterben bedroht zu sein. Zwischen den Geschlechtern seien wegen des schmerzvollen Leidens der Männer Neuverhandlungen nötig, heisst es in einer sozialwissenschaftlichen Studie des französischen CCA-Instituts im Auftrag der Pariser Frauenzeitschrift Elle. Jüngere Männer fühlten sich feminisiert, die mittleren Jahrgänge hätten resigniert oder seien verbittert, die Reiferen seien hilflos und sähen sich als überflüssig an. Frauen würden oft als aggressiv empfunden und ihre Unabhängigkeit als eine Form von Gewalt, kommentierte der Soziologe Robert Ebguy in Paris seine Studie."

(Natürlich wird nicht nur die Unabhängigkeit von Frauen, sondern auch die - verbale, psychische oder körperliche - Gewalt von Frauen als Gewalt empfunden.)

Das trifft ziemlich genau das, was ich meine, wenn ich von einer Abwertung traditioneller Männlichkeit spreche.

Und ich befürchte, dass wenn die Aggression mancher Frauen anhält, manche Männer darauf mit Gegen-Aggression reagieren werden, auch um so ihre verlorengegangene Männlichkeit vermeintlich wiederherzustellen. Worauf diese Frauen dann wieder die Gelegenheit haben, sich in die Opferrolle zu flüchten. Vernünftiger wäre es vielleicht, die Abwertung von Anfang an zu vermeiden.

Nun ja... nun landen wir wieder da, wo die Illusion eine größere Rolle, als die Realität einnimmt. Wenn sich junge Männer "femininisiert" fühlen, woran liegt es? Daran, dass sie "umgepolt" werden? Oder daran, dass sie nicht vor den Gender-Axiom-Gläubigen bestehen können?
Es liegt daran, dass sich in den letzten Jahren "Verhaltensregeln" entwickelt haben, die selbst wenn man es wollte unerfüllbar sind! Wenn ich nach Rollenklischees gehe, dürfte man nur weiblich ODER männlich sein UND müßte trotzdem beides gleichzeitig sein, dürfte es aber nicht.
Wie auch immer sich jemand verhält... an solchen "Regeln" MUSS man(n wie Frau) scheitern!
Trotzdem werden diese Regeln nur selten angezweifelt. Es ist wie mit dem mathematischen Beweis oben: 1+1 wäre 0 aber auch 2. Nur weil ich festgelegt habe, dass "plus" gleich "minus" ist. Es wäre nun, als ob jeder weiß, dass 2 zwar ungleich 0 ist, aber trotzdem niemand auf die Idee kommt an der Regel "plus" = "minus" zu zweifeln... weil DIE ist ja ein Axiom und muß ja somit gelten!
Und die ganze Aggression die Du beschreibst und befürchtest, beruht fast vollständig auf diesem Prinzip!

Das hat mich im übrigen dazu verleitet hier nun ein klitzekleines *g* Posting zu hinterlassen. Ihr seid von der objektiven Ebene nach Susu's letztem Posting wieder in das Regelsystem gerutscht. Und von einem ins System eingebundenen Standpunkt wird es viel schwerer bis unmöglich objektive Aussagen zu treffen. Das kann man nur, wenn man ein System von außen betrachtet.

Liebe Grüße

Alex


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