Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Verstiegen ....

Rüdiger, Thursday, 13.03.2003, 00:49 (vor 7735 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Mildes Kopfschütteln von susu am 12. März 2003 00:51:51:

Hallo Susu,

Hier mal ein Satz von Butler, der nicht mit Wortungetümen vollgepfropft ist: "TV ist nicht die Kopie eines Originals, sondern die Kopie einer Kopie". Es gibt kein Original, gender ist immer eine Form von drag.

Tut mir leid, aber eine Kopie ohne Original ist m. E. nicht vorstellbar.

Es gibt Eigenschaften von Menschen, aber die Frage, wozu die Abstraktion "sex" nutzt ist schwer zu beantworten. Je mehr Eigenschaften darunter zusammengefasst werden, um so weniger Menschen werden überhaupt noch erfasst (bei der in der Medizin gebräuchlichen Definition fallen ca. 40% der Menschen durch das Raster), je weniger Eigenschaften es sind, desto Nutzloser wird die Abstraktion.

So so, 40 % der Menschen fällt durchs Raster. Ich nehme aber mal an, daß die meisten von denen durchaus fortpflanzungsfähige Individuen sind, also funktionsfähige Mitglieder des einen oder anderen Geschlechts, sich selber eindeutig zuordnend, von anderen ebenso zugeordnet und nix irgendwo in der Mitte ... Das Problem scheint mir dann eher in der Definition der Mediziner zu liegen als in der Realität, in der die meisten Menschen instinktiv eine Zuordnung treffen können. Tut mir leid, diese Diskussion kommt mir immer verstiegener vor. Mag ja sein, daß es schwer ist, den Begriff "Geschlecht" definitorisch zu fassen, aber daß es die Geschlechter gibt, ist von so überwältigender Evidenz, daß es mir echt lächerlich erscheint, daran herumzudeuteln. Es ist auch sehr schwierig zu sagen, was ein "Wort" ist, Bibliotheken sind von Sprachwissenschaftlern schon darüber geschrieben worden, dennoch kommt der Begriff in jeder Feld-, Wald- und Wiesengrammatik vor, ist unentbehrlich, und jeder kommt dank seinem Vorwissen gut damit zurecht ... Auch in der Erkenntnistheorie gibt es viele Ungewißheiten, etwa den "Skandal der neuzeitlichen Philosophie" (so mal einer meiner Religionslehrer): die Nichtbeweisbarkeit der Welt. Die radikalste Schlußfolgerung, die ich daraus ziehen könnte, wäre, Solipsist zu werden. Das ist aber irgendwie albern. "Der Glaube der meisten Menschen an die Außenwelt ist machtvoll und instinktiv; wir könnten unser Leben gar nicht führen, wenn wir nicht die meisten Dinge einfach so unhinterfragt akzeptierten." (Thomas Nagel, sinngemäß zitiert).

Mit den medizinischen Definitionen ist es so eine Sache; sie scheinen mir oft eher unrealistisch hohe Vorgaben als realistische Beschreibungen zu liefern; so dürften "normale" Augen mit 100 % Sehschärfe und "normale" Gebisse mit 32 Zähnen (einschließlich Weisheitszähnen) nur eine Minderheit der Menschen besitzen. Daraus nun aber etwa zu folgern, zwei Augen seien "ein soziales Konstrukt", nur weil's auch Leute gibt, die blind geboren werden, erscheint mir albern. - Warum sollte sich Arne für Männer einsetzen, wenn es solche gar nicht gibt?

Wenn man den Begriff "Indogermanische Sprachen" mittels grammatikalischer Merkmale zu definieren versucht, dann erhält man gerade mal 6 mickrige Merkmale, die bei ALLEN idg. Sprachen zutreffen. Die Zahl der Gemeinsamkeiten ist real weitaus höher, aber beim einen Merkmal scheidet diese Sprache aus, beim anderen jene. Dennoch gibt es die idg. Sprachenfamilie wirklich, eine überwältigende Evidenz eines riesigen gemeinsamen Wortbestands dokumentiert im Verein mit den grammatikalischen Übereinstimmungen die abstammungsmäßige Zusammengehörigkeit dieser Sprachen. Wenn man aber nur die 6 Merkmale nimmt und sagt: "Sprachen, die diese Merkmale aufweisen, sind indogermanisch", dann führt das in die Irre. Denn eine bestimmte nordamerikanische Indianersprache erfüllt auch diese 6 Kriterien, hat aber ansonsten gar nix mit den idg. Sprachen zu tun ....

Und das das Wort, daß da ein Arzt einträgt eine soziale Konstruktion ist, versteht sich von selbst.

Ach? Ich dachte, der wirft einen Blick auf die primären Geschlechtsmerkmale, und fertig. Und trifft das dann nicht auch in 99 % aller Fälle zu? Ist nicht das, was der Arzt als "Mädchen" einträgt, in den allermeisten Fällen auch tatsächlich ein (fortpflanzungsfähiges) Mädchen? Wenn es da eine hohe Fehlerquote gäbe, hätte sich sicherlich schon allgemein Kritik an diesem Vorgehen der Ärzte geregt.

Es gibt noch XXY, 0X, XYY, XXYY, XXXY (0Y ist nicht lebensfähig). Und sogenannte Mosaics, bei denen verschiedene Körperteile verschiedene Chromosomensätze besitzen (passiert wenn zweieiige Zwillingsföten im Frühstadium verschmelzen, bei späteren Stadien führt das zu Siamesischen Zwillingen).

Ja - und wie häufig ist das? Du argumentierst hier mit irgendwelchen Raritäten, aber das Vorhandensein von Ausnahmen ist keine Widerlegung der Regel.

Nö, mitlerweile kann (fast) jeder Mensch Kinder gebären, allerdings muß er dafür u.U. in ein Land reisen, in dem Eizellenspenden erlaubt sind.

Ja ja ... Aber ich meinte: Ganz normal auf natürlichem Weg Kinder kriegen - nun tu doch nicht so, als wüßtest Du nicht, was ich meine. Genausogut könnte ich mir eine Sauerstoffflasche umbinden und behaupten, der Mensch sei ein unter Wasser lebendes Lebewesen.

Aber mal im Ernst, was hinder mich daran, das, was ich da sehe z.B. als erregierfähige Vagina zu beschreiben?

Die sprachliche Konvention hindert Dich daran. Ich weiß nicht mehr, welcher Schriftsteller einst die Story von dem alten Mann schrieb, der sich langweilte und sich dann damit zu amüsieren begann, daß er den Teller Bett nannte und den Stuhl Tisch usw. Alles benannte er um, und am Schluß verstand ihn keiner mehr ... Nebenbei: Die Sache selbst ändert sich dadurch ja nicht. Ein Tisch bleibt ein Tisch, auch wenn Du ihn "Stuhl" nennst. Ein Penis bleibt ein Penis, auch wenn er "Vagina" genannt wird. Die Vagina müßtest Du dann auch umbenennen, damit die Unterscheidbarkeit wieder da ist (auf die möchtest Du wohl gerne verzichten, aber es sind nun mal verschiedene Dinge), und schon haben wir "dasselbe in Grün", d. h. veränderte Bezeichnungen der (unveränderten) Dinge.

Nein. Eine empirische Wissenschaft hat keine Axiome, sondern nur Theorien, die beim Auftritt einer Ausnahme ihre gültigkeit verlieren. Die Ausnahmen gibt es (nicht nur bei gender, sondern auch bei sex) und damit ist eine Theorie, die besagt, daß es genau zwei biologische Geschlechter gäbe falsifiziert.

Ich halte diese Aussage dennoch für gerechtfertigt, denn wie gesagt: Eine Ausnahme ist keine Widerlegung einer Regel. Eine Regel muß nicht ausnahmslos gelten, um eine Regel zu sein. Bei der Mannigfaltigkeit menschlicher Formen (die solche Definitionen so schwierig macht)kann es keine solchen "ausnahmslosen" Begriffe geben. Menschen sind keine perfekten Maschinen, beinahe jedes Organ kann bei dem einen oder anderen Menschen mißgebildet sein, das ist keine Widerlegung gegen den Satz: "Ein Mensch hat in der Regel zwei Augen, zwei Nieren usw." Zu diesen Mißbildungen muß man doch wohl in der Regel auch die Zwitterbildungen rechnen, denn fortpflanzungsfähig sind die i. d. R. doch wohl nicht, oder?

Ist es dir egal, das Sadomasochismus (mit einer Definition, die du wahrscheinlich ebenso lachhaft findest, wie ich die von Geschlechtsidentitätsstörung) als psychische Erkrankung gilt?

Jetzt nimmer, es ist aus der Liste der psychischen Erkrankungen gestrichen worden.

Es ist dir nicht egal. Jetzt kommt aber jemand und sagt: SM hat nichts mit Sexualität zu tun, weil nicht-reproduktiv und die Reproduktion ist die biologische Grundlage für Sexualität. Also hat SM nichts mit Sex zu tun.

Der weiß dann halt nicht, wie's SMer treiben ;-) Es gibt SM-Sessions ohne Sex, aber für die meisten SMer ist SM eine Art ausgedehntes Vorspiel .....

>Da haust du dir auch vor den Kopf. Das ist aber eine der Prämissen mit der über SM diskutiert wird.

So? Ist mir noch ganz entgangen. Und so lange das keine Konsequenzen für mich hat, schüttle ich da nur den Kopf und ignoriere es, so gut es geht ...

So, ich glaube, ich klinke mich hier aus, das wird mir hier zu verstiegen, sorry.

Gruß, Rüdiger


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