Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Re: @Susu, @Alex

susu, Sunday, 23.03.2003, 00:14 (vor 7725 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: @Susu, @Alex von Garfield am 21. März 2003 08:35:14:

Hallo Garfield

Ihr sprecht euch also beide für die Abschaffung des Geschlechtsbegriffes aus. Das halte ich allerdings nicht für realisierbar. Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Menschen sich nur durch ihre Erziehung einem bestimmten Geschlecht zugehörig fühlen, ist es doch trotzdem so, daß die überwiegende Mehrheit der Menschen einfach nichts daran ändern möchte. Und so eine Masse kriegt man nicht einfach von Null auf Jetzt bewegt.

Stimmt, das ist ein sehr langwieriger Prozess. Wobei Ich immer noch denke, daß es möglich ist, diesen Prozess ins Leben zu rufen. Und nein, ich habe nicht vor, irgendjemandem die eigenen Selbstdefinition abzusprechen, es sei denn sie bricht durch meine Existenz zusammen.

Außerdem glaube ich nicht, daß ein Mensch sich nur durch Erziehung einem Geschlecht zugehörig fühlt. Mit Susu hab ich das im damals noch existierenden Forum der "Feministischen Partei" vor einiger Zeit schon mal ausführlich diskutiert, was dann - soweit ich mich erinnere - leider durch eine Löschorgie der werten "Mitfrauen" unterbrochen wurde.

Nicht nur einmal... Die Diskussion haben wir immer so Stückchenweise geführt, dann war der thread wieder weg (z.T. auch nur dieser). Ohne Begründung und die Moderatoring hat mich des öfteren angemailt und gesagt, daß sie diese threads immer sehr interessant fand (BTW, kamen die erste Mail von Arne und die erste Mail vom Bundesvorstand der FRAUEN im Abstand von ca. 1 Stunde, was ich ziemlich bemerkenswert fand).

Gerade die Menschen, die im falschen Körper geboren wurden, sind doch der beste Beweis dafür, daß sich das "Geschlechtsbewußtsein" keineswegs nur durch Erziehung herausbildet. Die werden ja üblicherweise auch immer noch ihrem körperlichen Geschlecht entsprechend erzogen, und trotzdem fühlen sie sich irgendwann dem anderen Geschlecht zugehörig. Auch diesen Menschen scheint die Festlegung ihres Geschlechts durchaus wichtig zu sein, denn sonst würden sie ja nicht soviel dafür tun, um es auch äußerlich zu ändern.

Also ich kenne durchaus auch Menschen, die eine oder mehrere OPs hinter sich haben, sich aber dennoch weder als Mann noch als Frau definieren würden. Ich denke über eine HRT nach, ohne dabei mein Selbstbild zu verändern. Dieser Satz "Ich wurde im falschen Körper geboren" ist eher so etwas wie eine Erklärung für diejenigen, die eben binär denken, da entsteht leichter Verständnis. Außerdem ist dieser Satz praktisch ein muß, um überhaupt gender-relevante Bahndlungen machen zu können. Eine Frau, die Brustimplantate wünscht geht einfach zum Plastischen, ein Mann, der gern eine Brustvergrößerung hätte, muß erstmal zum Psychoanalytiker. Der Unterschied zwischen "Ich sehe mich als Mann, aber ich trage Röcke" und "Ich sehe mich zwar als Mann, aber ich hätte gern eine Brustvergrößerung" ist, daß für´s Röckekaufen kein Gutachten erforderlich ist...

Um über die Sozialisation zu sprechen: Bis zum Alter von 3 Jahren sind Kinder nicht in der Lage, ein "funktionierendes" gender-Modell aufzubauen. In diesem Alter suchen sie sich Vorbilder, an deren Verhalten sie sich orientieren unabhängig von Geschlecht. Hat jetzt ein Junge primär Frauen als Vorbilder, oder ein Mädchen primär Männer, dann wird das Kind es als starke Einschränkung empfinden, diese Vorbilder nicht mehr nachahmen zu dürfen.

Gut - man kann nun natürlich darüber diskutieren, ob sie das vielleicht nur auf Druck der Umwelt wollen. Aber auch dann bleibt die Tatsache, daß diese Menschen ihr "Geschlechtsbewußtsein" nicht durch, sondern definitiv gegen ihre Erziehung entwickelt haben. Denn bevor man darüber nachdenkt, sein Geschlecht körperlich zu ändern, muß man ja erst einmal den Wunsch dazu haben.

Wobei es da extrem viele Grautöne gibt, gerade in diesem Bereich.

Und das zu ändern, ist ebenfalls eine ziemlich große Aufgabe. Denn leider ist es so, daß Menschen sich instinktiv ihre Normen nach dem bilden, was sie in ihrer Umwelt sehen und dann eben als "normal" empfinden. Und mittlerweile spielen da die Medien eine immer größere Rolle. Aber vielleicht ist das gar nicht so schlecht, denn man kann diese Beeinflussungs-Möglichkeiten durch die modernen Medien durchaus auch positiv einsetzen.

Ein Wort: Kübelböck.
Ich empfehle die Lektüre von David Gauntletts "Media, Gender and Identity", daß allerdings auch die Frage stellt, wieviel Macht die Medien und wieviel die Konsumenten haben, wenn es darum geht ein mediale Darstellung mit einer Aussage zu füllen.

Eigentlich gibt es ja nur eine Möglichkeit, da etwas zu bewegen: Die Problematik von Menschen, die sich einem der beiden anerkannten Geschlechter nicht zugehörig fühlen, muß häufiger öffentlich diskutiert werden. Denn je häufiger die Menschen damit konfrontiert werden, umso eher sind sie bereit, ihre Normen zu ändern.

Stimmt. Eine Stimme zu schaffen, oder besser einen vielstimmigen Chor, das ist ein zentrales Anliegen.

So haben es ja beispielsweise Homosexuelle geschafft, mittlerweile zumindest weitaus mehr anerkannt zu werden als in früheren Zeiten. Aber selbst Homosexuelle stoßen auch heute immer noch auf Vorurteile oder sogar Anfeindungen. Obwohl ihre "Befreiung" doch schon vor gut 30 Jahren begonnen wurde. Da kann man sich vorstellen, wie lange es noch dauern wird, bis auch Transsexuelle oder andere Menschen, die nicht in das übliche Geschlechtermodell passen, von der Mehrheit der Bevölkerung voll akzeptiert werden...

Angefangen haben die Homosexuellen schon in der Weimarer Republik, ich sag nur Hrischfeld. Trans* waren immer präsent in dieser Bewegung, nur seit es eine gewisse Akzeptanz gab und es der Mehrzahl der Schwulen und Lesben darum ging, möglichst "normal", oder besser "unanders" rüberzukommen, erschien es ihnen oft nicht mehr so opportun uns einzuschließen. Mitlerweile scheint sich das allerdings wieder zu ändern.

susu


gesamter Thread:

 

powered by my little forum