Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Re: Wie versprochen: Grundsatztext

Arne Hoffmann, Sunday, 09.03.2003, 23:04 (vor 7738 Tagen) @ Alex

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Alex am 09. März 2003 15:55:03:

Hi Alex,

jetzt muß ich auch mal hier mitmischen :-)

herzlich willkommen! :-)

Die größten Hemmnisse am Verstehen der Texte entstehen aber nicht durch das Niveau, sondern dadurch, dass es Euch, Ferdi und Arne (mit leichten Vorteilen bei Arne), schwer fällt einen so gender-losgelösten Standpunkt nachzufühlen, wie ihn Susu einnimmt.

Auf der einen Seite ist es mir schon ein Anliegen, die Position "der Männer" zu vertreten. Auf der anderen Seite bin ich ziemlich angepisst von dem Biologismus, wie er momentan aufgrund pseudowissenschaftlichen Büchern wie dem von Alan und Barbara Pease Hochwasser hat. Meine Ablehnung einer Haltung, der zufolge Frauen und Männer in ihrem Wesen grundverschieden sein sollen, zieht sich ja auch als ständiger Subtext durch "Sind Frauen bessere Menschen?" Andererseits habe ich mich noch nicht näher mit dem Konzept von Postgender beschäftigt, obwohl ich natürlich weiß, wer Judith Butler ist.

Einengend ist jede Rolle, die man glaubt erfüllen zu müssen. Die Frage ist eigentlich: Wie kommt es, dass sich so viele genötigt sehen einer Illusion "Männlichkeit" oder "Weiblichkeit" nachzulaufen und sich dadurch selbst die Freiheit zu beschneiden. Bzw. anders herum: Warum "bestraft" man Menschen die dies nicht tun.

Ich persönlich bin auch der Ansicht, dass dieser Rollenzwang viel zu sehr einengt. Ähnlich wie Ferdi kann ich mit Leuten wenig anfangen, die ihre Männlichkeit durch Krücken wie beruflichem Erfolg, Statussymbole und demonstrativem Mackertun ständig aufrechterhalten müssen. Auch bei der Partnerwahl ist es für mich kein Entscheidungs-Kriterium, wie weiblich (oder männlich) sich eine Frau verhält.

(...) Der tolle Geschlechterkampf kommt in meinen Augen dadurch zustande, dass die Unterschiede der individuellen "Metermaße" verleugnet werden. Und das verhindert damit auch zu erkennen, wie wenig die Begriffe männlich/weiblich überhaupt aussagen. Wenn ich 1kg verlange und bekomme alles zwischen 1g und 10000g, sagt der Begriff 1kg einfach FAST NICHTS mehr aus.

Wobei wir aber in einer Welt leben, die diese Teilung vornimmt. Das heißt, wenn eine Person in eine der beiden Waagschalen geworfen wird, dann muss sie entweder Kriegsdienst leisten, oder es bleibt ihr erspart. (Nur mal als Beispiel.)

<li>Fast jede Ansicht die ein Mensch vertritt bietet ihm Vorteile

Dem würde ich widersprechen, aber ich weiß nicht, ob so ein Exkurs hier etwas bringt. :-)

Und da dies so ist, ist im kollektiven Bewußtsein nicht nur der biologische Unterschied vertreten (wo es wie Susu schrieb auch schon Ausnahmen gibt und eben nicht nur männlich und weiblich) sondern ein irrsinniges Gespinst von schein-philosphischen Aussagen, wovon KEINE einer objektiven Prüfung standhalten würde.
Deswegen Susu's Ausflug in die Statistik, bzgl. der tertiären Geschlechtsmerkmale. Die Mathematik wäre hier ein wirklich objektives Werkzeug... und sie sagt: Bei den tertiären Geschlechtsmerkmalen läßt sich keine Aussage bzgl. männlich/weiblich mehr treffen.

Zumindest keine eindeutige Zuordnung, nein. Möglicherweise eine Häufigkeitsverteilung. Je nachdem, welches tertiäre Geschlechtsmerkmal man heranzieht.

Ich, und ich denke Susu auch reagieren kopfschüttelnd, weil der Begriff Männlichkeit schon an sich ein Hirngespinst, eine Illusion ist.

Dann ersetze von mir aus "Männlichkeit" durch "Bündel von Merkmalen, das bislang diesem Begriff zugeordnet wurde". Manche Männer möchten dieses Merkmalsbündel eben beibehalten und finden es unfair, deshalb abgewertet zu werden.

Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt, wo Zweifel an der Festlegung "Es gibt männlich und weiblich und diese unterscheiden sich" noch sehr selten zugelassen sind.

Ja. Vor einigen Jahren hatte der "Spiegel" mal eine Cover-Story, in der er behauptete, es bilde sich eine androgyne Gesellschaft heraus. Stattdessen: Backlash. Die Leute kaufen massenweise die Bücher des Ehepaar Pease, weil sie darin bestätigt bekommen, dass Männer und Frauen seit der Urzeit durch evolutionäre Prägung sozusagen unterschiedliche Spezies geworden sind. Mars und Venus. Die Frau findet die Butter im Kühlschrank, der Mann nicht. Oder ein paar andere Sätze aus diesem Mega-Bestseller:
"Ihr hoher Testosteronhaushalt macht aus Männern wandelnde Zeitbomben."
"Wenn Männer unter Druck stehen, fallen sie in andere Länder ein; Frauen hingegen fallen in Einkaufszentren ein."
"Während Jungen verbale oder körperliche Gewalt anwenden, versuchen Mädchen, den Konflikten aus dem Weg zu gehen oder sie zu entschärfen."
"Die meisten Männer können besser sehen als denken."
"Männer haben einen weitaus stärkeren Sexualtrieb als Frauen und können praktisch immer und überall."
"Männer sind ständig auf der Suche nach neuen Frauen, während Frauen außerordentlich treu sind."
"Praktisch alle sexuellen Normabweichungen treten nur bei Männern auf."
"Frauen können vernetzter denken als Männer, weil sie über ein dickeres Corpus Callosum (Hirnbalken) verfügen."
Es gibt in diesem Buch in weit geringer Dosis denselben Schwachsinn über Frauen, die angeblich von Natur aus völlig unfähig sein sollen, Berufe wie den einer Pilotin auszuüben.
Dabei ist völlig durchschaubar, dass die Peases sehr oft nicht die geringste Ahnung haben, wovon sie überhaupt reden. Etliche Fachleute haben ausgeführt, wie unwissenschaftlich ihre Behauptungen sind. Manche Behauptungen lassen sich ja schon rein methodisch nicht sinnvoll belegen, beispielsweise, dass jede Frau ein Reservoir von 20.000 Wörtern pro Tag hat, die sie in Telefongesprächen etc. loswerden muss. Jetzt ist die Frage: Warum halten dermaßen viele Leser diesen Unfug allen Ernstes für Wissenschaft? Offenbar hat die Aufweichung der Geschlechtergrenzen etliche Leute dermaßen verunsichert, dass sie inzwischen nach dem letzten Strohhalm greifen, um die alte Ordnung wiederherzustellen.

Menschen die nur destruktiv streiten können, versuchen sich selbst größer zu machen, indem sie die Vorzüge des Streitgegners entwerten. (...) Da leider sehr viele Menschen destruktiv streiten, liegt es nahe, dass Deine dritte Abwertung die unmittelbare Folge von der zweiten Abwertung ist.

Das finde ich schlüssig und nachvollziehbar. Ich denke noch ein wenig darüber nach, stimme aber unter diesem Vorbehalt gerne zu.

Da ist eine ganze Menge dran! Daniel macht nämlich ANGST!

Klar. Genau wie die "Jammermaskus" manchen Männern (und Frauen) Angst machen. Als Bewältigungs-Strategie greifen sie dann zu Beschimpfungen oder dem Versuch des Lächerlich-Machens. Wobei bei Männern da natürlich noch ganz normales Balzverhalten hineinspielt: "Mädels, diese Typen sind ja alle Schrott, nehmt lieber mich." Bei den Essentialistinnen wird diese Werbestrategie auch Erfolg haben. Viele Frauen erwarten von einem Mann doch, dass er besonders männlich ist, und von einer Frau erwarten viele Männer, dass sie besonders weiblich ist. Ich werde seit über einem Jahr im Laufe der Forenkriege immer wieder damit persönlich angegriffen, dass ich bestimmte angebliche Zeichen von Männlichkeit vermeintlich nicht erfülle. Dies allerdings bezeichnenderweise nur von der Essentialisten-Fraktion. Irgendwie checken die nicht, dass die mich nicht mit Herabsetzungen angreifen können, die nur in deren Weltbild funktionieren. Ein Heterosexueller mag sich durch die Behauptung, er sei schwul, angegriffen fühlen; ein Homosexueller (nach seinem Coming-Out) nicht.

Nun ja ... nun landen wir wieder da, wo die Illusion eine größere Rolle, als die Realität einnimmt. Wenn sich junge Männer "femininisiert" fühlen, woran liegt es? Daran, dass sie "umgepolt" werden? Oder daran, dass sie nicht vor den Gender-Axiom-Gläubigen bestehen können?

Vielleicht möchten sie auch einfach nur Wesenszüge beibehalten, die ihnen anerzogen worden sind, die sie für sich persönlich als richtig und wertvoll erkannt haben und an die sie sich gewöhnt haben?

Das hat mich im übrigen dazu verleitet hier nun ein klitzekleines *g* Posting zu hinterlassen. Ihr seid von der objektiven Ebene nach Susu's letztem Posting wieder in das Regelsystem gerutscht.

Auf der objektiven Ebene waren wir uns ja eh einig. Ich wollte die Erfahrungen, die manche Männer machen und die sie offenbar als belastend empfinden, nicht ganz außen vor lassen. Wobei man sich natürlich fragen kann, ob "der Feminismus" hier der richtige Prügelknabe ist, wie es der von Ferdi zitierte Artikel nahelegt. Das Ganze wäre durch den Wechsel von der industriellen zur Dienstleistungsgesellschaft, die Erfindung der Pille usw. sowieso passiert. Manche Männerrechtler wie Neil Lyndon und Esther Vilar behaupten ja nicht ganz zu Unrecht, sehr oft vollziehe sich zuerst der gesellschaftliche Wandel, und die ihn stützenden politischen Ideologien marschierten nur hinterher.

Ich habe mein Posting gerade geschrieben, als ich sehe, dass es bereits neue Einwände von Rüdiger gibt. Für eine Antwort darauf seid ihr aber vermutlich durch euer Vorwissen besser prädestiniert. Vor allem Susu könnte vermutlich einiges zur Männlichkeit-ist-biologisch-These sagen, nehme ich an. Außerdem verpasse ich sonst "Erin Brockovich" noch ganz ... ;-)

Herzlicher Gruß

Arne


gesamter Thread:

 

powered by my little forum