Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

susu, Wednesday, 12.03.2003, 02:50 (vor 7736 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Arne Hoffmann am 06. März 2003 21:11:04:

Hi Arne

Heißt das, du meinst, Alice Schwarzer sei existentialistisch? Inwiefern?

Insofern, daß einige ihrer zentralen Ideen von de Beauvoir kommen. Sonst ist da nicht viel...

Nachdem ich damit fertig war, mir mit dem Hörer vor Verzweiflung die Stirn blutig zu hauen, erklärte ich meiner Gesprächspartnerin, das SEI ja gerade mein Problem mit dem Buch. Untertitel, Einleitung und Ausblick bilden das harmonischste Gesäusel von einer Utopie, in der die beiden Geschlechter quasi ununterscheidbar sind, und in allen Kapiteln mittendrin erscheint der Mann schlechthin als zurückgebliebener, unreifer Sextourist, Pornograph, Kinderschänder und was weiß ich nicht noch alles. Es ist mir völlig schleierhaft, wie Schwarzer diesen reaktionär-feministischen Dummfug in diesen friedliebend-ausgleichenden Rahmen spannen kann, ohne zu merken, dass sich das komplett miteinander beißt. Ich kann mir das nur damit erklären, dass sie ja in gewisser Weise selbst schon eine Doppel-Persönlichkeit angenommen hat, spätestens seit sie die ständigen Anfeindungen damit überwinden wollte, sich z. B. als Ratetante bei Fuchsberger und in diversen Talkshows als massengängig zu präsentieren. Seitdem tritt sie im Fernsehen charmant auf, augenzwinkernd und sagt solche Dinge wie "Die Frauen sind nicht die besseren Menschen, sie hatten nur weniger Gelegenheiten, schlimme Sachen anzurichten." Aber sobald man dann ihre Bücher oder ihre Zeitschrift liest, ist das uralte Freund-Feind-Gut-Böse-Schema zwischen den Geschlechtern wieder da. Die Männer machen Krieg und die Frauen kämpfen für den Frieden.

Zum großen Unterschied fällt mir noch ein, daß die Argumentation Schwarzers zu Butler praktisch eine direkte Übersetzung eines Artikels von Martha Nussbaum in "the new republic" ist, inclusive einiger sarkastischer Bemerkungen... Wenn nur der Ansatz gleich gewesen wäre... Zu Nussbaum gibt es einen klasse Absatz in David Gauntlets auch sonst empfehlenswerten Buch "Media, Gender and Identity", das enlich die von mir so oft erhoffte Übersetzung von Judith Butler ins Englische enthält :) Gauntlet: "...Butler´s writing is like an explosion in a dictionary factory..." und dann kommt ohne Tausend Fußnoten und Fremdworte die Zusammenfassung der zentralen Punkte von "gender trouble".

Apropos ihm/ihr: Wie möchtest du eigentlich, dass auf DICH Bezug genommen wird? Auch in dieser Form, also "Susu hat mich seinen/ihren Text lesen lassen"? Oder anders? Oder wurscht?

Wurscht. Politisch korrekt wäre zie, aber es gibt wichtigeres auf der Welt als Pronomina :)

Da wir uns in allem anderen einig zu sein scheinen, möchte ich jetzt doch noch mal ein bisschen problematisieren. :-) Dazu möchte ich auf deine These von den zwei Abwertungen zurückkommen. Ich bin damit immer noch nicht ganz glücklich, weil ich immer noch glaube, dass da eine dritte Abwertung fehlt. Etwas unbeholfen und in Ermangelung eines besseren Ausdrucks möchte ich sie mal die "feministische Abwertung" nennen, obwohl es das nur so halb trifft. Meiner Einschätzung nach ist diese Abwertung eine, die zumindest einige Männer hier in den Foren so ärgert. Dabei geht es darum, dass klassische "männliche Tugenden" nicht mehr als solche erkannt, sondern umgedeutet werden: Aus Ehrgeiz wird meinetwegen Karrieresucht, aus Kampfesmut Aggression undsoweiter.

Nennen wir es einfach inverse 2.Abwertung. Ich hab dazu eine super Visualisierung im Kopf, muß die Bilder aber erst noch erstellen. Diese Abwertung trifft Interessanterweise die neuen Frauen besonders Hart, denn wenn die 2. Abwertung invertiert wird, sind sie es, die beide Abwertungen erfahren, die alten Frauen steigen auf die Position der alten Männer, und Männer, alt wie neu liegen dazwischen. Kann ich als Text schwer beschreiben, sagen wir einfach, daß das System der Abwertungen rotiert.

Klingt unzusammenhängend und konfus, wird aber mit Bild deutlicher...

Ich finde, <a href= http://www.novo-magazin.de/45/novo4512.htm >dieser NOVO-Artikel[/link] gibt zumindest einiges von dem wieder, was für mich mit dieser dritten Abwertung verbunden ist:

OK ich versuch´s mal mit ASCIIs... Der NOVO Artikel enthält nicht die Dinge, die ich mit der 1. Abwertung beschrieben habe. Bezeichne ich Männer mit M, Frauen mit F, Weiblichkeit mit w und Männlichkeit mit m, dann ergibt sich folgende Stuktur nach meinem Schema:
0 Abwertungen: Mm
1 Abwertung: Fm, Fw
2 Abwerungen: Mw
Mit invertierter 2. Abwertung ergibt sich:
0 Abwertungen: Fw
1 Abwertung: Mm, Mw
2 Abwerungen: Fm

Es ist zwar schön zu wissen, dass wir femininen Männer immerhin auf dem zweiten Platz stehen ;-) aber wenn ich ein Mann wäre, der die Werte traditioneller Männlichkeit verkörpert, würde ich mich heutzutage in vielem auch unfair behandelt - abgewertet - fühlen. John Wayne verkörpert heutzutage sicher nicht mehr die erwünschte hegemoniale Männlichkeit, vielleicht gilt er sogar mehr als das Sinnbild für eine reaktionäre Haltung, aber dabei wird doch übersehen, dass auch mit dieser "klassischen" Ausbildung von Männlichkeit viele positive Werte verbunden waren: Offenheit, Mut, Einstehen für seine Freunde, Tatkraft usw. Genauso wie deiner ersten Abwertung zufolge allzu "weibliche" Männer von gewissen Sanktionen betroffen sind, gilt doch heute dasselbe für allzu "männliche" Männer. Verstehst du, was ich meine?

Ja, wobei dabei bedacht werden muß, daß es verschiedene Männlichkeiten und Weiblichkeiten gibt, die nach den beiden Sorten von 2. Abwertung betroffen sind. Da muß der Grundsatztext noch überarbeitet werden, auch deshalb, weil er zu stark den Eindruck entstehen läßt, es gäbe nur jeweils eine Männlichkeit und eine Weiblichkeit.

Grüße
susu


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