Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

susu, Wednesday, 05.03.2003, 22:52 (vor 7743 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Arne Hoffmann am 05. März 2003 12:29:27:

Hi Arne

Das wundert mich auch. Entsprechende andere Beispiele habe ich ja in "Sind Frauen bessere Menschen?" zusammengestellt: zum Beispiel wenn das Ersetzen des ptolemäischen Weltbildes (die Sonne dreht sich um die Erde) durch das kopernikanische (die Erde dreht sich um die Sonne) von manchen Feministinnen als Bezwingung des femininen durch das maskuline Denken kritisiert wird. So als ob es frauenfreundlicher wäre, die Sonne sich weiterhin um die Erde drehen zu lassen. Sehr seltsam. --- Kennst du von Iragaray mehr als ihre Wissenschaftskritik? Wenn ja: Wie bewertest du sie denn insgesamt?

Ich habe die Moralphilosophischen Gedanken zum Teil gelesen (Ethik der sexuellen Differenz) und fand sie ziemlich verworren. Und dann gab es noch die sprachphilosophischen Ansätze der ecriture feminique, die ich nur sekundär rezipiert habe. Da habe ich nur mit dem Kopf geschüttelt.

Ich habe sie selber im Original nicht gelesen und weiß nur, dass sie sich an Lacan orientiert hat (er war wohl auch ihr Mentor) und zu den Dekonstruktionisten zählt. Und dass sie als Essentialistin kritisiert wurde, die eine zu enge Beziehung zwischen dem Körper und dem "wahren Selbst" geknüpft habe. Möglicherweise bist du auch deshalb nicht gerade ein Fan von ihr?

Ich würde diese Kritik teilen, vor allem weil ich den Begriff von Differance, wie er bei Lacan auftaucht, außerhalb des iragarayschen Kosmos stets anders verstanden gesehen habe (Ich habe Lacan selbst noch nicht gelesen, zu wenig Zeit und Geld...). Es gibt in Körper von Gewicht einen Abschnitt, der besagt, daß Irragaray der Verdiesnt zukomme, die Irrtümer der Philosophiegeschichte schonungslos aufzudecken und dann mimetisch zu immitieren. In dieser Form läßt sich Iragaray durchaus positiv verstehen, nur erfordert es eben die genaue Kenntniss des Originals, um die Parodie zu verstehen und ich kann von mir nicht behaupten Schopenhauer und Aristoteles gut genug zu kennen um den Witz zu verstehen... Allerdings ist die Rezeption in weiten Teilen der Feministinnen durchaus eine wort-wörtliche und eben keine high brow Drag-show für PhilosophInnen. Ich geb´s zu - das ist letztendlich die "Beifall von der falschen Seite"-Argumentation mit Worten großer Silbenzahl... (Ich sollte Iragaray nochmal lesen und das mit einbeziehen) Vor ein paar Wochen schrieb ich ein Versöhnlichse Lied, in dem es heißt:
Wir stritten rum die halbe Nacht
Wer von uns den Phallus hat
und ob das Überhaupt
einen Unterschied macht
und ob Differance denkbar ist
ohne Opposition
und bedachten dabei Butlers
Iragaray Rezeption

Ein Poststrukturalistisches Liebeslied, so to speak :)

Das ist interessant. Mir ist ja auch schon aufgefallen, dass manchen Feministinnen (und nicht-feministischen emanzipierten Frauen) mein Buch sehr gefallen hat, während andere noch ein Jahr nach der Lektüre toben und vor allem mit persönlichen Angriffen reagieren. Bisher hatte ich da für mich den Unterschied zwischen akademischen und nicht-akademischen Feministinnen gezogen. Frauen, die sich akademisch tiefgehend mit der Geschlechterdebatte beschäftigt hatten, fanden mein Buch eher gut, während Frauen (und Männer), die in dieser Hinsicht keine Vorgeschichte hatten, mein Buch eher als "unwissenschaftlich" ablehnten. Bezeichnenderweise hatte ja auch die "Emma", die von akademischen Feministinnen als "zu trivial" kritisiert wird, "Sind Frauen bessere Menschen?" verrissen und in einem Artikel versucht, ausgerechnet mich als Vertreter der anti-emanzipatorischen Männer hinzustellen. Wobei die Redakteurin nicht mal den Titel meines Buches richtig zitieren konnte, also vielleicht die 600 Seiten erst recht nur kursorisch gelesen hat. (Ich mach´s meinen Lesern ja auch nicht gerade leicht, zugegeben ... :-) Deine Unterscheidung "EssentialistInnen" vs. "ButlerianerInnen" könnte aber mehr Sinn machen. Muss ich mal drüber nachdenken.

Wobei das zum größten Teil deckungsgleich sein dürfte. Ich suche immer noch nach einem Text, in dem Butler für Laien zugänglich gemacht wird und der triviale Feminismus ist mindestens sozialisationsfatalistisch (sag das dreimal hintereinander...), wenn nicht gar essentialistisch.

Ja, klar, das erwähne ich ja auch in meinem Buch: Ob es nicht sinnvoller wäre statt von "dem Mann" von "Mann (1)", "Mann (2)" usw. zu sprechen (und analog natürlich bei Frauen). Damit könnte man ein wenig dieser sprachlichen Hypnose entgegenwirken, die dazu führt, dass manche nur ein Kollektiv Mann bzw. ein Kollektiv Frau wahrnehmen. Allerdings ist so eine Sprachregelung in der Praxis wohl noch schwerer umzusetzen als "das Autori". ;-)

Oder männernde bzw. frauende Menschen...

Meine Unterstützung hätte so ein deutsches G-PAC jedenfalls. Weißt du, wie reibungsfrei der Meinungsaustausch in dieser Organisation funktioniert? Nach allem, was ich bisher so über die NOW gehört habe, erscheint sie mir eher fundamentalistisch ausgerichtet (wobei da jede regionale Gruppe ihren eigenen Stil haben mag).

G-PAC fasst die Statistiken, die von den verschiedenen Organisationen ermittelt werden zusammen, innerhalb von G-PAC funktioniert das sehr gut, weil die, die da aktiv mitwirken eben kein Interesse an Konfrontation haben. Bei der NCG sieht das dann so aus, daß die verschiedenen Gruppen aufeinander prallen, aber eben unter der Prämisse die von G-PAC aufgestellte Bill of Gender rights zu unterstützen. NOW ist meines Wissens ähnlich organisiert, wie der deutsche Frauenrat, d.h. die Haltung hängt stark von den beteiligten Gruppen ab und die sind in den USA weit stärker diversifiziert als in Deutschland. NOW hat seit 98 Transpeople an Bord, hat auf die Kritik Schwarzer, Lesbischer und unteren sozialen Schichten angehörender Frauen, daß der Feminismus white straight and middle class sei reagiert und ist dadurch letztendlich recht Pluralistisch geworden. NOW gibt mitlerweile viele einerseits/andererseits Erklärungen heraus und arbeitet zum Teil schon mit denen zusammen, die in den frühen 90ern die Organisation frustriert verließen (War Warren F. nicht genauso Mitglied wie Rikki Anne W.?)

Nicht nur für mich, sondern vielleicht auch für andere Leser: Gibt es eigentlich ein deutsches Einstiegs-Buch, das du zum Thema Transgender empfehlen kannst? Also jetzt vielleicht nicht ganz so trivial wie "Mann oder Frau - Wenn die Grenzen fließend werden", aber auch nicht auf der Ebene abstraktester genderphilosophischer Diskussionen? Einen einigermaßen tiefgehenden, informativen Einführungsband eben?

Da muß ich mit Daniel K. "Puh" sagen. Es gibt so gut wie keine Deutschsprachige Literatur zum Thema und eigentlich bin ich froh über jedes Buch, was überhaupt erscheint. Es gab ja mal diese Essay-Sammlung in der auch der Sandi Stone Text enthalten war und von der ich vermute, daß sie gut war. Aber: Out of print. Vieleicht erbarmt sich irgendein Verlag mal und übersetzt die beiden Wilchins Bücher. Mir fallen gerade mal 3 Bücher ein, die sich allgemein mit Transgender beschäftigen, von denen 2 Psychologische Abhandlungen zum Thema "Geschlechtsidentitätsstörung als Folge Frühkindlicher Fehlentwickung" sind und Volkmer Siguschs "Geschlechtswechsel", daß zumindest einigermaßen verständlich geschrieben ist, sich aber primär mit TS (und da auch vor allem MtF TS) befasst. Und wenn wir berücksichtigen, das Sigusch dank seiner "One size fits all"-Behandlungsrichtschnur, die mitlerweile Standard in der Psychologischen Praxis in Deutschland ist, bei allen, die nicht in das simpelste Raster von TS fallen einen schlechten Ruf hat, ist auch das nicht zu empfehlen. Sonst gibt es höchstens noch ein paar Biographien und ein wenig Belletristik.

Du meinst, dass es Leute gibt, die diesen Kleinkrieg bewusst schüren, damit die bestehenden Verhältnisse bestehen bleiben? Okay, ich habe ja auch schon über eher konservative Strömungen geschrieben, die den Konflikt zwischen Männern und Frauen anheizen, damit die sozusagen miteinander beschäftigt sind, statt sich zu verbünden, die Gesellschaft zu verändern und diesen Konservativen so einen Teil ihrer Macht zu nehmen. Sprichst du davon, oder meinst du etwas anderes? Ich überlege gerade, ob es von anderen politischen Strömungen ähnliche Versuche des Aufspaltens gibt.

Ich denke schon, daß das eher aus dem konservativen Lager kommt. Obwohl es natürlich auch bei den progressiven Positionen die "agree with us on everything or we won´t help with anything" Fraktion gibt.

susu


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