Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

susu, Tuesday, 04.03.2003, 23:13 (vor 7744 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Arne Hoffmann am 03. März 2003 13:11:53:

Hallo Arne.

ah, dein angekündigter Grundsatztext, sehr schön. Ich war ja schon die ganze Zeit gespannt darauf. Es tut mir gut, mal wieder einen Text zu lesen, der sich auf sehr grundlegender Ebene mit unserem eigentlichen Thema beschäftigt.

Ja, war mal wieder Zeit...

Ich kann hier schon mal vorausschicken, dass ich deine Gedanken sehr interessant und weiterführend finde. Falls ich je einen Reader zur Geschlechterdebatte herausgeben würde, würden sie sicherlich darin landen. Allerdings sind von mir momentan keine derartigen Bücher geplant. Es gibt zwar ein paar Zeitschriften, an die ich bei Interesse deinen Text weitervermitteln könnte, aber er baut stark auf Auseinandersetzungen auf, die sich hier in der letzten Zeit vollzogen haben und die von den meisten Lesern dieser Zeitschriften noch nicht rezipiert worden sind. Insofern könnten deine Gedanken für sie etwas schwer zugänglich sein. Allenfalls könnte man sich überlegen, ob man ihn nicht wenigstens dem Berliner männerrat zukommen lässt, damit er wenigstens IRGENDWO im Web gespeichert ist, außerhalb von Diskussionsforen.

Ich warte erst einmal die Ergebnisse der Diskussion ab und überarbeite den Text dann. Ich kann mir vorstellen ihn dem Männerrat zuzuschicken, vieleicht stelle ich den Text auch noch auf eine eigenen Seite, wenn Interesse besteht kann er dann von anderen verlinkt werden (eventuell mit näheren Betrachtungen zu weiteren Themen als seperate Texte).

Es wäre mir schon wichtig festzuhalten, dass meiner Einschätzung nach diese Abwertung auf einer Ebene geschieht, die ich jetzt mal "gesellschaftliche Makrostruktur" nennen möchte. Ich habe nämlich den Eindruck, dass auf anderen Ebenen, die nicht weniger grundlegend sind, der Mann und nicht die Frau abgewertet wird, beispielsweise auf der familiären und der sexuellen. Die Mutter wird als "höherwertig" betrachtet und hat auch mehr Macht über Kinder als der Vater, kann dadurch mindestens momentan auch mehr Macht über den Vater selbst ausüben als umgekehrt, im sexuellen Bereich erscheint die Frau per se als zärtlich und rein, der Mann hingegen als triebhaft und animalisch. Wenn es Abweichungen von diesem Idealbild gibt, werden sie entsprechend deutlich gemacht ("Schlampen", "Weicheier" etc.) Beides führt zu einer Sozialisation in Kindheit und Jugend, die wiederum dazu führt, dass viele Frauen und Männer die Frau an sich als (mindestens moralisch) überlegen sehen und ihr deshalb besondere Zuwendung zukommen lassen. Das aber nur als Exkurs, ich wollte hier keine eigene Debatte aufmachen.

Die zweite Abwertung ist tatsächlich eine Abwertung, die eher die gesellschaftliche Makrostruktur betrifft. Ich würde die von dir beschriebenen Abwertungen als Abwertungen der ersten Art beschreiben. Die Mutter wird als höherwertig betrachtet, weil aktive Elternschaft als weiblich betrachtet wird, eine aktive Mutter ist eine richtige Frau, ein aktiver Vater ein Waschlappen. Ich finde Robin Williams zwar als Schauspieler gottenschlecht, verweise in diesem Zusammenhang aber gerne auf Mrs. Doubtfire. Die Eigenschaften die den Vater zum Loser machen, machen ihn als "sie" zur perfekten Haushälterin. Und dabei ändert sich der Charakter nicht im geringsten.

Ähnliches gilt für die sexuelle Ebene. Da fällt mir spontan der Film "But I´m a cheerleader" ein, an dessen Ende Geschlechtverkehr von einer Ex-Gay Trainerin erklärt wird. Auf die Frage eines werdenden Ex-Gays "What about forplay?" kommt als Antwort "Now, forplay is for sissies. Real man shove it in and pull out." Eine Sexualität, die mehr ist als stupides Gerammel gilt eben als unmännlich.

>Trotzdem hat dieser Ansatz die Diskussion darüber eröffnet, welche Eigenschaften eigentlich gewollt sein sollten, auch wenn er zu einigen bedenklichen Entwicklungen geführt hat.<<

Zu welchen?[/i]

Die essentialistische Prägung hat u.a. die Ablehnung von Transgender und Sm zu Folge, über die wir im "Genderqueere Sprachkritik"-Thread geredet haben. Auch Biologismen, wie sie bei Solanas vorkommen, sind aus diesem Ansatz erwachsen. Und nicht unerwähnt bleiben darf natürlich die Wissenschaftskritik Iragarays, die im Ernst erklärte, die Mathematik müsse abgeschafft werden, weil Frauen wegen der Menstruation die 0 nicht verstehen könnten, außerdem sei Gravitation ein Synonym für Vergewaltigung, weil die Schwerkraft Vergewaltigungsopfer daran hindere zu entkommen. Es ist erstaunlich, daß das noch als Feminismus deklariert bekommt (Achtung Falle: Gerne wird von der Differenzthese gesprochen, damit sind manchmal Unterschiede zwischen Männern und Frauen im Sinne Iragarays gemeint, manchmal auch individuelle Differenzen zwischen Geschlechstgenossen oder Genossinnen nach Butler. Das Wort ist mitlerweise so konfus besetzt, daß einige Texte beide sich gegenseitig ausschließende Konzepte benutzen.).

Okay, das ist also meine eigene Fraktion. Wobei ich mich noch daran gewöhnen müsste, als "das Autori" bezeichnet zu werden. ;-)

Das Autori bezieht sich auf das Schreiberi des Grundsatztextes, du bleibst im Deutschsprachigen Raum bis auf weiteres der Autor schlechthin auf diesem Gebiet.

Wobei den Verfassern dieser Texte, also den emanzipatorischen Männern (wie jetzt beispielsweise mir), von den beiden Feminismen der Vorwurf des "Beifalls von der falschen Seite" gemacht wird. Also nach dem Motto: "Wenn Arne sowas schreibt, braucht er sich nicht zu wundern, wenn irgendwelche reaktionären Knacker das als Material gegen die Emanzipation verwenden." Was ich als höchst unfaire Argumentation empfinde. Genausogut könnte man sich dagegen wenden, dass Gruppen wie Amnesty Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern thematisieren, weil das den Nazis Futter für ihr Bild vom bösen Juden gibt.

Der Vorwurf kommt eher aus der einen Ecke, zumindest fanden sämtliche Butlerianerinnen in meinem Umfeld dein Buch ziemlich gut. Was daran liegen dürfte, daß diese theoretische Richtung schon mit "den Frauen" nichts mehr anfangen kann und eben auch keinen Sinn darin sieht, über "die Männer" zu reden. Wenn´s dich tröstet: Es gibt tatsächlich Leute, die Amnesty diesen Vorwurf machen. Oder auch denen, die gegen einen neuen Irakkrieg sind, sie seien für Saddam (Genial: In vielen Amerikanischen Imbissen heißen french fries jetzt freedom fries. Ein Bekannter sagte: Es ist immer klasse, wenn Leute öffentlich dumm sind).

Richtig. Diese Bestrebungen gab es leider schon, seit die emanzipatorische Männerbewegung aufkam. Sobald zum Beispiel in den USA bekannt worden war, dass Männer im gleichen Ausmaß Opfer häuslicher Gewalt werden wie Frauen, haben konservative Kreise das als Rechtfertigung für Kürzungen von Geldern für Frauenhäuser benutzt. Solange das mit diesem Argument geschieht, muss man sich dem natürlich entgegenstellen. (Ob es nicht andere Gründe für solche Kürzungen geben kann, etwa dass die Notwendigkeit sich als nicht so hoch herausstellt wie zuvor angenommen, bleibt dahingestellt.)

Z!

Definitiv. Exakt darum arbeiten in den USA ja schon Teile der emanzipatorischen Männerbewegung etwa mit den "individual feminists" zusammen. Ich sage voraus, dass wir hierzulande in ein paar Jahren auch so weit sein werden.

Das sehe ich ähnlich. Es gibt ja jetzt schon einige Ansätze, die hoffentlich Früchte tragen werden. Ich würde mich Freuen, wenn es bald ein deutsches G-PAC geben würde, also eine Organisation, die die relevanten Gruppen an einen Tisch bringt (die National Conference on Gender wird von NOW, diversen Männerrechtsorganisationen, den Lesbian Avengers, einigen allgemeinen Queer-Gruppen, Transsexual Menace und den Hermaphrodites with attitude mitgetragen, alle stellen Redner im Rahmen des Gesammtprograms).

Stimmt. Oder plakativer: "Zur Hölle mit den Jammermaskus in der Opferrolle - ich will richtige Männer!" Auch diese doppelte Abwertung muss natürlich bekämpft werden. Männliche Opfer brauchen denselben Schutz wie weibliche. Und da die Gesellschaft ihnen diesen Schutz nicht freiwillig gibt, werden sie ihn lautstark einfordern müssen, statt sich ein weiteres Mal durch Diffamierung zum Opfer machen zu lassen.

Z! Opfer sind eben Opfer und es geht nicht darum in eine "Opferrolle" zu verfallen, denn der Opferstatus ist ja nicht frei gewählt. Besonders perfide ist da die Position von 4: "Zur Hölle mit den Jammermaskus - Ich bin ein richtiger Mann!" Frei nach dem Motto: Männer die Opfer werden, haben sich nur nicht richtig gewehrt. Erinnert mich sehr an die Bibelstelle, wo gefordert wird, Frauen die Vergewaltigt werden zu steinigen, weil sie nicht laut genug geschrien haben... Und außerdem: Das muß mann abkönnen, Boys don´t cry, der Indianer kennt keinen Schmerz. Man stelle sich vor, Pascal wäre nicht ermordet worden, sondern wäre nach ein paar Jahren voller Angst und Scham an die Öffentlichkeit getreten... Wer sich über irgendetwas unterhalb von Mord beklagt, ist nach gängiger Meinung ein Weichei, fehlte nur noch der Satz: "Was dich nicht umbringt macht dich härter."

Das könnte man vielleicht etwas weniger kompliziert formulieren, aber ich verstehe, was du meinst. Und das führt mich zu den Schlussfolgerungen: (I) Es gibt keine klare biologische Grenze zwischen Mann und Frau, sondern ein Kontinuum. (II) Das Geschlecht ist nur begrenzt biologisch bestimmt. Wobei dur mir vermutlich bei (II) schon widersprechen würdest, weil es deiner Auffassung nach vermutlich "das Geschlecht" überhaupt nicht gibt, da also auch nix biologisch bestimmt sein kann. Ganz so weit würde ich persönlich nicht gehen. Aber den biologischen Essentialismus, wie er momentan dank Alan und Barbara Pease wieder Hochwasser hat, finde ich viel unsinniger und verheerend.

Es gibt ja einige biologische Geschlechtsdefinitionen. Und bei keiner gibt es nur zwei Möglichkeiten, wobei die Zahl derer, die aus dem Schema Mann/Frau herrausfallen variiert. D.h. viele Erkenntnisse haben geringen Aussagewert. Ich erinnere mich noch an die Geschichte mit den geistigen Behinderungen bei Männern, die auf das einzelne X-Chromosom zurückgeführt wurden. Nur gibt es eben auch XXY-Männer und X0-Frauen, bei denen jeweils die Erklärung für das andere Geschlecht greift. Insofern sind auch Biologen oft oberflächlich, wenn es um Geschlecht geht und die populäre Berichterstattung dann um so mehr.

Auch das sehe ich genauso, und vermutlich geht es anderen ähnlich. Wobei wir ja gesehen haben, dass die praktische Umsetzung schwierig ist und der Streit um die Sache immer wieder auf die persönliche Ebene gerät, weil (a) bei vielen Diskutanten persönliche Hintergründe eine Rolle spielen (wir sind nun mal alle keine Roboter oder Androiden), weil (b) anti-emanzipatorische Strömungen eben auch gehört werden wollen und sogar ein Recht darauf haben und (c) immer mal wieder ein paar Leute in der Diskussion herumwüten, die an einem sachlichen Gespräch so ziemlich überhaupt kein Interesse haben, sondern sich vor allem persönlich profilieren und ihre Aggressionen ablassen möchten. Diese drei Dinge sehe ich als größten Hemmschuh in einer konstruktiven Geschlechterdebatte.

Wobei unter (c) auch einige sind, die das sachliche Gespräch unterbinden wollen, weil sie kein Interesse daran haben, daß der Kleinkrieg zwischen Positionen, die sich sehr ähneln aufhören könnte und plötzlich eine Zusammenarbeit zwischen FrauenrechtlerInnen und MännerrechtlerInnen entsteht, die sich gegen bestehende Verhältnisse richtet.

susu


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