Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Wie versprochen: Grundsatztext

Arne Hoffmann, Monday, 03.03.2003, 15:11 (vor 7745 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Wie versprochen: Grundsatztext von susu am 02. März 2003 21:53:25:

Hi Susu,

ah, dein angekündigter Grundsatztext, sehr schön. Ich war ja schon die ganze Zeit gespannt darauf. Es tut mir gut, mal wieder einen Text zu lesen, der sich auf sehr grundlegender Ebene mit unserem eigentlichen Thema beschäftigt.

Ich bemühe mich hier um Kürze, denn dieser Text ist höchstens als Essay gedacht, nicht als erster Entwurf einer längeren Arbeit. Bis jetzt habe ich nicht vor, mal ein Buch zu schreiben ...

Ich kann hier schon mal vorausschicken, dass ich deine Gedanken sehr interessant und weiterführend finde. Falls ich je einen Reader zur Geschlechterdebatte herausgeben würde, würden sie sicherlich darin landen. Allerdings sind von mir momentan keine derartigen Bücher geplant. Es gibt zwar ein paar Zeitschriften, an die ich bei Interesse deinen Text weitervermitteln könnte, aber er baut stark auf Auseinandersetzungen auf, die sich hier in der letzten Zeit vollzogen haben und die von den meisten Lesern dieser Zeitschriften noch nicht rezipiert worden sind. Insofern könnten deine Gedanken für sie etwas schwer zugänglich sein. Allenfalls könnte man sich überlegen, ob man ihn nicht wenigstens dem Berliner männerrat zukommen lässt, damit er wenigstens IRGENDWO im Web gespeichert ist, außerhalb von Diskussionsforen.

Zu Teil 1 habe ich soweit keine Einwände, nur eine Ergänzung:

Diese Abwertung ist die patriarchale (um bei der Nomenklatur der Theorie aus dem die Gedanken ursprünglich stammen zu bleiben) Abwertung. Schlüsselpositionen gesellschaftlicher Macht und Anerkennung erforden Praxen, die geschlechtlich männlich besetzt sind.

Es wäre mir schon wichtig festzuhalten, dass meiner Einschätzung nach diese Abwertung auf einer Ebene geschieht, die ich jetzt mal "gesellschaftliche Makrostruktur" nennen möchte. Ich habe nämlich den Eindruck, dass auf anderen Ebenen, die nicht weniger grundlegend sind, der Mann und nicht die Frau abgewertet wird, beispielsweise auf der familiären und der sexuellen. Die Mutter wird als "höherwertig" betrachtet und hat auch mehr Macht über Kinder als der Vater, kann dadurch mindestens momentan auch mehr Macht über den Vater selbst ausüben als umgekehrt, im sexuellen Bereich erscheint die Frau per se als zärtlich und rein, der Mann hingegen als triebhaft und animalisch. Wenn es Abweichungen von diesem Idealbild gibt, werden sie entsprechend deutlich gemacht ("Schlampen", "Weicheier" etc.) Beides führt zu einer Sozialisation in Kindheit und Jugend, die wiederum dazu führt, dass viele Frauen und Männer die Frau an sich als (mindestens moralisch) überlegen sehen und ihr deshalb besondere Zuwendung zukommen lassen. Das aber nur als Exkurs, ich wollte hier keine eigene Debatte aufmachen.

1) Einen Feminismus (oft Essentialistisch geprägt), der versuchte weibliche Werte auf eine Stufe mit männlichen Werten zu stellen. Im Zentrum stand leider oft ein Sozialisationsfatalismus, der Männern und Frauen gar nicht zutraute anders zu handeln als es ihrem Geschlecht entsprach. Trotzdem hat dieser Ansatz die Diskussion darüber eröffnet, welche Eigenschaften eigentlich gewollt sein sollten, auch wenn er zu einigen bedenklichen Entwicklungen geführt hat.

Zu welchen?

3) Die emanzipatorische Männerbewegung (von mir auch echte Männerbewegung genannt). Sie zeigt auf, das die neuen Männer von beiden Abwertungen dirket betroffen sind und nimmt daher eine Position ein, die zwischen beiden Feminismen liegt. Nicht zuletzt versteht sich das Autori als Teil der emanzipatorischen Männerbewegung und formuliert daher eine Geschlechterpolitik auf der Basis des Geschlechtsverständnisses beider Feminismen.

Okay, das ist also meine eigene Fraktion. Wobei ich mich noch daran gewöhnen müsste, als "das Autori" bezeichnet zu werden. ;-)

4) Die anti-emanzipatorische Männerbewegung (oder "echte Männer"-Bewegung). Die anti-emanzipatorische Männerbewegung richtet sich gegen die Bestrebungen der anderen 3 Bewegungen. Die sich hier beteiligenden Männer sind die alten Männer und von keiner der beiden Abwertungen betroffen. Sie sehen keinen Grund zur Veränderung (höchtens zum Rückschritt in einen füheren Zustand) und argumentieren oft essentialistisch. Die anti-emanzipatorische Männerbewegung richtet sich im besonderen gegen die emanzipatorische Männerbewegung und versucht diese zu ursupieren, in dem sie sich auf ihre Texte stützt, diese aber inhaltlich aushöhlt.

Wobei den Verfassern dieser Texte, also den emanzipatorischen Männern (wie jetzt beispielsweise mir), von den beiden Feminismen der Vorwurf des "Beifalls von der falschen Seite" gemacht wird. Also nach dem Motto: "Wenn Arne sowas schreibt, braucht er sich nicht zu wundern, wenn irgendwelche reaktionären Knacker das als Material gegen die Emanzipation verwenden." Was ich als höchst unfaire Argumentation empfinde. Genausogut könnte man sich dagegen wenden, dass Gruppen wie Amnesty Menschenrechtsverletzungen an den Palästinensern thematisieren, weil das den Nazis Futter für ihr Bild vom bösen Juden gibt.

Hier werden die von der emanzipatorischen Männerbewegung aufgezeigten gender troubles von Männern gegen die von Frauen aufgerechnet, um dann zu sagen "Seht her, die Ungerechtigkeit ist gerecht verteilt, was wollt ihr eigentlich."

Richtig. Diese Bestrebungen gab es leider schon, seit die emanzipatorische Männerbewegung aufkam. Sobald zum Beispiel in den USA bekannt worden war, dass Männer im gleichen Ausmaß Opfer häuslicher Gewalt werden wie Frauen, haben konservative Kreise das als Rechtfertigung für Kürzungen von Geldern für Frauenhäuser benutzt. Solange das mit diesem Argument geschieht, muss man sich dem natürlich entgegenstellen. (Ob es nicht andere Gründe für solche Kürzungen geben kann, etwa dass die Notwendigkeit sich als nicht so hoch herausstellt wie zuvor angenommen, bleibt dahingestellt.)

Auf der Sachebene finden sich viele Beispiele, in denen die Thesen der emanzipatorischen Männerbewegung mit denen einer der beiden Feminismen zusammenfallen.

Definitiv. Exakt darum arbeiten in den USA ja schon Teile der emanzipatorischen Männerbewegung etwa mit den "individual feminists" zusammen. Ich sage voraus, dass wir hierzulande in ein paar Jahren auch so weit sein werden.

DV (domestic violence) wurde zunächst von 1 thematisiert und zwar ausschließlich als Gewalt, die von Männern gegen Frauen ausgeübt wurde.

Klar. Das war in der "Emma" sogar noch 2002 der Fall.

Es ging darum, das Schweigen der Opfer zu brechen und Möglichkeiten zu schaffen, ihnen zu helfen (Frauenhäuser, Beratungsstellen, etc.). 2 griff das Thema auf und stellte die Frage nach weiblichen Tätern und männlichen Opfern. Kritisiert wurde, daß die Eigenschaft Opfer bzw. Täter zu sein geschlechtlich fixiert wurde und damit den Opfern von Gewalt durch Frauen (Lesben und heterosexuelle Männer) und männlichen Opfer von Gewalt durch Männer (Schwulen) die Möglichkeit genommen wurde, ihr Schweigen zu brechen. 3 nahm sich der männlichen Opfer an und versucht nun, ebenfalls Beratungsmöglichkeiten und "safe spaces" zu schaffen, dabei orientiert 3 sich am praktischen Ansatz von 1 übernimmt aber die theoretischen Voraussetzungen von 2. 4 versucht derweil das Thema kleinzureden, indem erklärt wird, daß, wenn es Täter und Opfer beiderlei Geschlecht gibt, das Thema nicht mehr relevant sei. Dies müssen die anderen drei Gruppen scharf zurückweisen.

Zustimmung.

3 weist darauf hin, daß männliche Opfer von beiden Abwertungen betroffen sind, denn Opfer zu sein, heißt schwach zu sein, heißt weiblich sein = doppelte Abwertung.

Stimmt. Oder plakativer: "Zur Hölle mit den Jammermaskus in der Opferrolle - ich will richtige Männer!" Auch diese doppelte Abwertung muss natürlich bekämpft werden. Männliche Opfer brauchen denselben Schutz wie weibliche. Und da die Gesellschaft ihnen diesen Schutz nicht freiwillig gibt, werden sie ihn lautstark einfordern müssen, statt sich ein weiteres Mal durch Diffamierung zum Opfer machen zu lassen.

Erziehung (...) Im Endeffekt verläuft die Diskussion zwischen 1/4 und 2/3, d.h. jeweils eine Frauen- und eine Männerbewegung vertreten ein gemeinsammes Anliegen.

Deine Argumentation macht Sinn.

Trotzdem werden andere Gender gelebt, nur sind sie weitestgehend Stimmenlos (Schwule und Lesben sind noch die Privilegierteren Formen von Queer, was für den Rest nichts gutes heist).

Definitive Zustimmung. Ein weiterer Bereich, wo Diskriminierung daraus resultiert, dass man/frau sich der gesellschaftlichen Zustimmung von Geschlechterrollen entzieht. Eine Diskriminierung, die natürlich bekämpft werden sollte.

"It´s the biology, stupid!" Oder auch "What about the body?" Was soll schon sein? Aber ich weis was gemeint ist. Nämlich: Es gibt eben zwei biologische Geschlechter und die haben eben unterschiedliche Physis und Psyche. Das Problem mit dieser Ansicht ist folgendes: Schon bei den primären Geschlechtsteilen gibt es Ausnahmen, bei den sekundären gibt es schon mehr Ausnahmen als nicht-Ausnahmen und bei den sogenannten tertiären liegt der Gausskurvenpeak des einen Geschlechts in einem Bereich, in dem die Gausskurve des anderen Geschlechts noch größer als das 2^-0,5-Fache des Peakwertes ist und das entspricht den Erwartungen für ein nicht mit dem Geschlecht korreliertes Merkmal.

Das könnte man vielleicht etwas weniger kompliziert formulieren, aber ich verstehe, was du meinst. Und das führt mich zu den Schlussfolgerungen: (I) Es gibt keine klare biologische Grenze zwischen Mann und Frau, sondern ein Kontinuum. (II) Das Geschlecht ist nur begrenzt biologisch bestimmt. Wobei dur mir vermutlich bei (II) schon widersprechen würdest, weil es deiner Auffassung nach vermutlich "das Geschlecht" überhaupt nicht gibt, da also auch nix biologisch bestimmt sein kann. Ganz so weit würde ich persönlich nicht gehen. Aber den biologischen Essentialismus, wie er momentan dank Alan und Barbara Pease wieder Hochwasser hat, finde ich viel unsinniger und verheerend.

Was bleibt? Sozial konstruierte Regeln, die die Freiheiten einzelner Menschen beschneiden. Geschlechterpolitik steht vor zwei großen Herausforderungen, die miteinander verwoben sind. Und wenn alle, die diese Politik wünschen an ihrer Durchsetzung mitarbeiten, dann ist sie nicht nur eine Utopie, sondern tatsächlich realisierbar. Und das letzte, was eine Bewegung braucht, die sich unter anderem gegen die Unterscheidung der Geschlechter wendet, ist diese Unterscheidung in sich selbst und interne Steitereien. Diskussion heist immer auch miteineander zu reden, anstatt gegeneinander. Wenn das mal überall ankäme, dann wäre schon viel gewonnen. Denn beim derzeitigen Kampf zwischen Männerbewegten und Frauenbewegten gibt es einen ganz klaren Verlierer: Die Sache.

Auch das sehe ich genauso, und vermutlich geht es anderen ähnlich. Wobei wir ja gesehen haben, dass die praktische Umsetzung schwierig ist und der Streit um die Sache immer wieder auf die persönliche Ebene gerät, weil (a) bei vielen Diskutanten persönliche Hintergründe eine Rolle spielen (wir sind nun mal alle keine Roboter oder Androiden), weil (b) anti-emanzipatorische Strömungen eben auch gehört werden wollen und sogar ein Recht darauf haben und (c) immer mal wieder ein paar Leute in der Diskussion herumwüten, die an einem sachlichen Gespräch so ziemlich überhaupt kein Interesse haben, sondern sich vor allem persönlich profilieren und ihre Aggressionen ablassen möchten. Diese drei Dinge sehe ich als größten Hemmschuh in einer konstruktiven Geschlechterdebatte.

Lieber Gruß

Arne


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