Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Mildes Kopfschütteln

Rüdiger, Sunday, 09.03.2003, 20:17 (vor 7739 Tagen) @ Alex

Als Antwort auf: Re: Wie versprochen: Grundsatztext von Alex am 09. März 2003 15:55:03:

Hallo Ihr,

nun mal ein paar Anmerkungen von "Otto Normalverbraucher" (so komme ich mir langsam hier vor, obwohl ich das nicht bin, und ich verstehe langsam wieder, warum ich als Philologie- und Geschichtsstudent mich immer lieber an den "harten" politischen und grammatischen Fakten orientiert hab und verblasen-abgehobene geisteswissenschaftliche Werke wie die Mieselsucht gescheut habe;-) )

Die größsten Hemmnisse am Verstehen der Texte entstehen aber nicht durch das Niveau, sondern dadurch, dass es Euch, Ferdi und Arne (mit leichten Vorteilen bei Arne), schwer fällt einen so gender-losgelösten Standpunkt nachzufühlen, wie ihn Susu einnimmt.

Ja, allerdings. Auch wenn die Geschlechterrollenklischees zweifellos etwas Antiquiertes, Lächerliches und den einzelnen Einengendes haben, so kann ich doch nur den Kopf schütteln über die These, das "Geschlecht" (Sex oder Gender?) sei ein "soziales Konstrukt". Dabei bin ich selber gelegentlich Hobby-TV, aber in meinen "weiblichen Phantasien" suche ich - wie die meisten TVs - ja gerade das Gegenbild zur "harten Männlichkeit", nämlich verschmust-anschmiegsame Weiblichkeit, und ein Gegenbild kann es nur dort geben, wo es ein "Urbild" gibt, sozusagen ;-) Ich glaub auch nicht, daß man "Sex" und "Gender" so einfach voneinander loslösen kann, und diese Debatten über Begriffe wie "queer" oder "ISCHLBHSL" - oder war's "ERLKHJUKRQQ"? - lösen bei mir nur einen Fluchtreflex und den Wunsch aus, nie mehr in Kreisen verkehren zu müssen, die anscheinend keine anderen Sorgen zu haben scheinen als diese ....

Für mich selber ist Männlichkeit und Weiblichkeit eine Illusion, zwei Worte, die über die Eigenarten des damit bezeichneten Menschen nahezu nullkommanichts aussagen.

Meinst Du jetzt "Gender" oder "Sex"? Also bei den biologischen Geschlechtern dürfte doch wohl klar sein, daß es sie gibt, auch wenn es gelegentlich Zwitterwesen gibt.

Bei männlich/weiblich funktioniert sowas aber nicht, da jeder Mensch sein eigenes Metermaß hat.

Bei allen Unterschieden in der individuellen Werteskala gibt es aber doch so eine Art "Mittelmaß des Empfindens", so eine Art gesellschaftlicher Konsensus, ein "Durchschnittsempfinden" - genau jenes Empfinden, über das sich Ferdi mitunter so aufregt. Ein Durchschnittsempfinden, das sich zwar langsam verschiebt, das aber trotzdem da ist und sich nicht wegleugnen läßt.

Der tolle Geschlechterkampf kommt in meinen Augen dadurch zustande, dass die Unterschiede der individuellen "Metermaße" verleugnet werden.

Nö, der Kampf kommt dadurch zustande, daß mal die Menschen eines Geschlechts (biologisch) benachteiligt werden, mal die des anderen. Bist du mit xy-Chromosomen geboren, mußt du zum Bund, egal wie du deine Männlichkeit definierst.

>Und das verhindert damit auch zu erkennen, wie wenig die Begriffe männlich/weiblich überhaupt aussagen.

Vielleicht nicht allzu viel, aber einiges doch.

Aber Menschen sind irrational. Jeder, der sich mit Psychologie mal beschäftigt hat, weiß, dass jede Handlung, und sei sie noch so destruktiv, für den der sie verübt "Vorteile" hat.
<li>Es ist oft schwierig diese "Vorteile" nachzuvollziehen, da sie evtl. nur nach dem Wertesystem desjenigen einen Vorteil darstellen</ul>
Susu hat in dem Grundsatzposting sehr schön ausgearbeitet worin diese Vorteile liegen, und warum die Illusion von "zwei Sorten" Menschen nicht längst im kollektiven Bewußtsein als Illusion erkannt und als solche behandelt wird.

Wieso Illusion? Es GIBT doch nun mal xx- und xy-Träger, das ist doch nicht wegzudiskutieren, und NUR xx-Träger können Kinder gebären - eine Tatsache, die mannigfaltige Konsequenzen nach sich zieht bis hin zu Karrierefragen etc.. Ob die Konsequenzen dieser biologisch bedingten Geschlechterrolle so gewaltig sein müssen wie früher, ob sie überhaupt in der Art sein müssen, wie wir es gewohnt sind, darüber läßt sich streiten, aber sie zu leugnen ist m. E. kein geeigneter Ausgangspunkt für eine Debatte. Denn eine Debatte, die auf falschen Prämissen beruht, kann nichts Gescheites hervorbringen.

Und da dies so ist, ist im kollektiven Bewußtsein nicht nur der biologische Unterschied vertreten (wo es wie Susu schrieb auch schon Ausnahmen gibt und eben nicht nur männlich und weiblich) sondern ein irrsinniges Gespinst von schein-philosphischen Aussagen, wovon KEINE einer objektiven Prüfung standhalten würde.

Wirklich KEINE? WENIGE vielleicht - aber siehe oben ...

So... das war nun erstmal die Grundlage von dem was nun noch fehlt:
Ferdi ärgert sich, wenn jemand aufgrund des Röcketragens auf seine Männlichkeit schließt, das hab ich zumindest einigen Postings aus dem Rocker-Forum entnommen.
Ich, und ich denke Susu auch reagieren kopfschüttelnd, weil der Begriff Männlichkeit schon an sich ein Hirngespinst, eine Illusion ist.

"Männlichkeit" eine Illusion? Dann schau mal nach unten, oder laß einen Gentest machen ... oder meinst Du wieder nur "Gender"? Ihr wollt die Begrifflichkeit klären, vermanscht aber selber pausenlos alles. Beim Begriff "Männlichkeit" denke ich nun mal - wie wohl die meisten Menschen - automatisch zunächst einmal an das biologische Geschlecht (die "sozialen Implikationen" schwingen da allenfalls als Konnotation des Männlichkeitsbegriffs im Hintergrund mit).

Verstehst Du den Unterschied? Ich möchte garnicht männlich oder weiblich sein,

Bist du aber, ob du's willst oder nicht.

weil diese Begriffe keinerlei Aussagekraft haben.

Haben sie doch. Schau mal auf Deine einschlägigen Organe;-)

>Jede Aussagekraft wird ihnen nur angedichtet, hält keiner objektiven Prüfung stand und existiert nur schon so lange, dass sie für viele Menschen zu Axiomen mutiert ist.

Jeder Mathematiker weiß aber, dass sich jede beliebige Aussage beweisen läßt, wenn man nur von den richtigen Axiomen ausgeht.
So ist z.B. 1+1=0, wenn ich einfach festlege "plus" = "minus" und Zweifel an dieser Festlegung nicht zulasse... es zum Axiom erhebe.
Wir sind gesellschaftlich an einem Punkt, wo Zweifel an der Festlegung "Es gibt männlich und weiblich und diese unterscheiden sich" noch sehr selten zugelassen sind.

Wenn Du mit "männlich" oder "weiblich" die Biologie meinst, wäre das auch höchst albern. Dann sind es tatsächlich Axiome, empirisch belegbar.

Und dann kommt auf einmal einer wie der Daniel Küblböck und ist einfach er selbst. Dann auf einmal setzt es wilde, widerliche Drohungen, weil Daniel etwas vorführt, was die Masse im Grunde ihres Herzens auch sein will,

Wirklich? Glaubst Du, daß jeder bi sein will? Also ich will's nicht.

sich aber nicht traut. In dem Ärger über ihre eigene Angst, sich zu entfalten, entlädt sich der Neid dann hasserfüllt auf jenen, der das locker bringt.[/i]
Da ist eine ganze Menge dran! Daniel macht nämlich ANGST!

Warum eigentlich? Ich mußte erst mal nachrecherchieren, wer das eigentlich ist; obwohl ich eigentlich dank Deutschlandfunk, Phönix und SPIEGEL ein relativ gutinformierter Zeitgenosse sein sollte;-), von der Existenz dieser sonderbaren Star-Sendung habe jedenfalls schon vorgestern erfahren. Ob den überhaupt so viele Leute kennen? Und wenn ein paar Proleten ihn anfeinden - na und? Die richten sich doch selber. Ich habe mittlerweile die "offizielle Fanseite" des D. K. gesehen - aber nichts gefunden. Bisexualität holt doch schon lange keinen mehr hinter dem Ofen hervor. Wir haben schwule Tagesschausprecher gehabt und jetzt einen schwulen Präsidenten des FC St. Pauli - na und?

Warum? Nun: Was passiert mit einem Menschen, der seine ganze Selbstdefinition auf einer Illusion aufgebaut hat?
Er weigert sich, diese als Illusion zu erkennen... er wird sie vehement verteidigen mit allen Mitteln. Daniel ist eine personofizierte Bedrohung des Selbstbildes derer, die sich ausschließlich über diese Illusion selbst definieren. Andere dagegen lieben ihn deswegen so, weil sie die eigene Freiheit nicht leben (und glauben sie nicht leben zu können) und projezieren die eigenen Wünsche auf ihn um wenigstens ein wenig dieser Freiheit spüren zu können.
So polarisiert Daniel die Nation.

Die NATION polarisieren? Jo mei o mei, mein Kopfschütteln über diese Thesen wird immer größer. Was interessiert's, was irgendso ein Heini - von dessen Existenz ich bis gerade eben noch nicht mal wußte - im Bett für Präferenzen hat? ICH muß ja nicht SEIN Leben leben ....

Du hast völlig Recht, wenn Du schreibst, dass viele die kecke Frechheit eines Daniel K. besitzen möchten... aber wenige denken darüber nach, warum sie sie nicht haben.

Ach doch, das ist ihnen schon klar. Wenn sie z. B. mit einer Ehefrau gesegnet sind, die solche "Extratouren" nicht dulden würde ...

Ferdi schrieb an Arne:
Finde ich gut, dass Du von "Männlichkeitskonzept" sprichst. Damit drückst Du aus, dass Du das für etwas geplantes und nicht für etwas spontanes hälst. Und was geplantes, konzipiertes, also künstliches ist die "Männlichkeit" ja auch.

Also daß da irgendeine Plankommission sitzt wie im Ostblock und in der xten Sitzung sagt: "So, heute wollen wir mal das neue Männlichkeitsanforderungsprofil erstellen, dem sich jeder Mann in den nächsten 10 Jahren zu unterwerfen hat", das kann ich nun doch nicht glauben. Solche Konzepte entwickeln sich unausgesprochen weiter, ähnlich wie die menschliche Sprache. Ein Geflecht ineinandergreifender Vorstellungen, an denen ständig umgebaut oder weitergewebt wird, ohne daß eine zentrale Instanz das koordiniert. Und wenn z. B. einzelne Menschen in den 60er Jahren ihre negative Wertung der Homosexualität in eine positive kehren, dann reißen sie vielleicht peu à peu andere mit, und auf lange Sicht kann es zu einem Wertewandel in der Bevölkerung kommen.

>Im Übrigen, ob jemand meinen Entwurf für "unmännlich" hält, ist mir einfach nur schnuppe. Ich weiss es besser, ich kenne mich am besten.[/i]

Dadurch dass es Dir egal ist, bist Du geistig schon ein riesengroßes Stück von einem "Otto Normal" entfernt.

Und hier kommt "Otto Normalverbraucher":-). Natürlich lebe ich auch ich gern nach meinem Gusto, und ich mache das vielleicht ungenierter als Otto N.. Nun lebe ich aber nicht allein auf der Welt. Wäre ich z. B. heftig verliebt in eine devote Frau, dann wäre ich mit der Preisgabe meiner Travestie-Phantasien sehr, sehr zurückhaltend, denn sonst ist das Risiko groß, daß ich nur noch eine Staubwolke von hinten sehe. (Alles schon erlebt). Da muß man jedes Mal eine Werteabwägung treffen: Wie viel ist mir diese Frau wert? Soll ich dafür einen Teil meines Ichs verbergen/verleugnen? Solche Abwägungen treffen wir alle, und die "Kompromißlinie" verläuft unterschiedlich, je nachdem wie viel Wert wir auf die Wertschätzung der lieben Mitmenschen und auf Geselligkeit legen. Ich war in früheren Jahren oft recht kompromißlos, aber leider auch oft einsam (und litt mitunter darunter). - Als SMer z. B. ist es mir relativ schnuppe, was die Stino-Öffentlichkeit über meine Leidenschaften denkt, SO LANGE das nicht dazu führt, daß mir und meinem Verlag Gesetzes-Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Mein Verlag und meine Art zu leben ist mir dann doch so viel wert, daß ich in einem solchen Falle an Kampagnen teilnähme, die Otto N. und den Politikern klarmachen, daß wir SMer doch gar nicht so schlimm sind ;-). Denn wie gesagt, wir leben nicht allein auf dieser Welt ....

>Wenn Du jetzt noch anzweifelst, dass das Wort "männlich" überhaupt eine Bedeutung, außer der traditionell gewachsenen Bezeichnung für ein Hirngespinst ist, landest Du ungefär da, wo ich mich (und ich denke auch Susu) befinde.

Das trifft ziemlich genau das, was ich meine, wenn ich von einer Abwertung traditioneller Männlichkeit spreche.

Müßt ihr euch eigentlich so unsympathische Heinis wie den "Hodenlulatsch" (ein Kritiker) Wayne und Arnie aussuchen? Warum nicht Charles Bronson oder Bogey? Oder Bond?;-)

Nun ja... nun landen wir wieder da, wo die Illusion eine größere Rolle, als die Realität einnimmt. Wenn sich junge Männer "femininisiert" fühlen, woran liegt es? Daran, dass sie "umgepolt" werden? Oder daran, dass sie nicht vor den Gender-Axiom-Gläubigen bestehen können?

Es liegt daran, daß sie sich zwischen der (abgewerteten) traditionellen Männerrolle und der von den Frauen geforderten "neuen Männlichkeit" (an die die Frauen aber auch nicht so recht glauben) zerrissen fühlen. Ich glaub nicht, daß die jüngeren Männer krampfhaft an einem antiquierten Männlichkeitsideal à la Wayne festhalten; sie möchten einfach nur sie selbst sein, aber pausenlos nörgelt frau an ihnen herum, sie seien nicht sensibel genug und dies nicht und jenes nicht ...

Es liegt daran, dass sich in den letzten Jahren "Verhaltensregeln" entwickelt haben, die selbst wenn man es wollte unerfüllbar sind! Wenn ich nach Rollenklischees gehe, dürfte man nur weiblich ODER männlich sein UND müßte trotzdem beides gleichzeitig sein, dürfte es aber nicht.

So ungefähr. Sensibel sein, aber kein Weichei. Männlich, aber nicht dominant. Oder dominant, wenn frau es gerade mal wünscht, hart angepackt zu werden. Danach soll im Alltag Männes Dominanz wieder nach Knopfdruck abgestellt werden können, und aus dem Tiger soll wieder ein Bettvorleger werden ;-) - das schaffen nur rückgratlose Männer ...

Wie auch immer sich jemand verhält... an solchen "Regeln" MUSS man(n wie Frau) scheitern!

Eben.

Trotzdem werden diese Regeln nur selten angezweifelt. Ihr seid von der objektiven Ebene nach Susu's letztem Posting wieder in das Regelsystem gerutscht.

Ganz ohne Regeln funktioniert nun mal keine Gesellschaft ....

Und von einem ins System eingebundenen Standpunkt wird es viel schwerer bis unmöglich objektive Aussagen zu treffen. Das kann man nur, wenn man ein System von außen betrachtet.

Ist das jetzt die Illusion der totalen Objektivität;-) ? Auch du bist von diesem System gekommen und kannst dich nicht völlig freimachen davon ....

Gruß, Rüdiger


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