Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Brief von Hermann Hesse an Schwester Luise...

Flint ⌂, Sunday, 06.04.2008, 23:34 (vor 5866 Tagen) @ Nihilator

Hallo Nihi,

Mir ist betreffend des Gottes der Juden, Christen und Muslime das
keineswegs klar. Er ist nicht weniger ausgedacht als all die anderen. Ja,
noch viel mehr, beruht er sogar auf weit älteren Vorbildern z.B. der
Ägypter und Perser.
Allerdings ist mir natürlich klar, daß Du das leugnen mußt und warum.

Hatte vor 2 Jahren im blauen Forum einen Beitrag (Brief von Hermann Hesse an eine Schwester Luise (von 1950)) reingesetzt, den ich hier nochmal reinsetzen will:

"Sie haben mir ein paar erbauliche Schriften zugeschickt und dazu geschrieben: >Es gibt einen lebendigen Gott. Wo steht es geschrieben, daß ich nicht auch Ihnen dies mitteilen darf? Die anderen Götter sind alle tot. «

Es sieht natürlich nirgends geschrieben, daß Sie mir diese Mitteilung nicht machen dürfen. Nur mutet sie mich, wie alle ins Blaue unternommenen Bekehrungsversuche, etwas wunderlich und im Grunde unnötig an. Sie teilen ihr Wissen um die Existenz Gottes einem alten Manne mit, dessen Eltern und Großeltern nicht nur dem Namen nach, sondern in Leben und Tat Christen waren und ihr ganzes Leben in den Dienst des Reiches Gottes gestellt haben. Von ihnen bin ich erzogen! von ihnen habe ich die Bibel und Lehre vererbt bekommen, ihr nicht gepredigtes, sondern gelebtes Christentum ist unter den Mächten, die mich erzogen und geformt haben, die stärkste gewesen. Darum klingt Ihre Mitteilung mir ein wenig überflüssig, etwa so, wie wenn jemand mir im April mitteilen würde, es sei jetzt Frühling, und im Oktober, es sei jetzt Herbst geworden.

Das ist das eine, was mich an Ihrem so gut und freundlich gemeinten Gruß ein wenig befremdet hat. Aber es ist in Ihren wenigen Zeilen nicht das einzige, und es hätte längst nicht genügt, um mich zu einer Antwort zu bewegen.

Nein, da steht in Ihrem winzigen Briefchen noch ein anderer Satz, ein falscher und nicht zu verantwortender Satz, und der nötigt mich zu einer Antwort. Der Satz lautet: > Die andern Götter sind alle tot.«
Ich weiß nicht, in wie vielen Ländern der Welt Sie gelebt haben, wie viele Völker, Sprachen und Literaturen Sie kennengelernt haben. Aber auch wenn Sie zehn oder zwanzig Sprachen. Religionen und Literaturen bis zum Grunde erforscht hätten, wären Sie zu diesem falschen, törichten und überheblichen Satz nicht berechtigt.

Sie stellen fest: >Es gibt einen lebendigen Gott«, und ich gebe Ihnen darin recht. Aber welcher Gott es sei, den Sie den allein lebendigen nennen, während alle andern tot seien, das sehe ich aus den Traktätchen, die Sie mir zusandten Es ist der Gott protestantischer Christen, bestenfalls der einer Kirche, vielleicht auch nur einer Sekte, einer kleinen Gemeinschaft von frommen, denen es mit ihrem Christentum ernst ist. Dieser Gott ist für Sie der >lebendige« und alle anderen erklären Sie, hoch von oben herab, Für tot.

Nun, es gibt außer Ihrer Gemeinschaft, oder wenn Sie wollen, außer der Kirche, der Sie angehören, noch viele hundert Millionen von Menschen aller Rassen und Sprachen, die ebenfalls an einen lebendigen Gott glauben und ihm dienen. Der Gott dieser Gläubigen, die an Zahl denen Ihrer Kirche um das Vielfache überlegen sind, ist wahrscheinlich für viele seiner Diener (nicht für alle) genau so wie der Ihre ein Gott, der einzig lebendig und gültig ist, und neben dem alle anderen Götter, also auch der Ihre, verehrte Schwester, >tot« und ungültig sind.

Der Gott der frommen Juden zum Beispiel ist keineswegs der Ihre, denn er ist zwar das Vorbild nach dem der Ihre geformt ist, aber er ist keineswegs jener Gott, der seinen Sohn hat Mensch werden lassen. Und so sind die Götter alle, die von frommen Mohammedanern, von frommen Indern, Tibetanern, Japanern verehrt werden, von dem Ihrem sehr verschieden, und dennoch ist jeder von ihnen sehr lebendig, sehr wirksam, jeder von ihnen hilft Unzähligen das Leben zu ertragen, das Leben heiligen, sich ins Leiden zu ergeben und den Tod gut zu bestehen.

Allen diesen Millionen von frommen, trostsuchenden, nach Würde und Heiligung für ihr armes Leben strebenden Gläubigen, denen sich der eine lebendige Gott auf etwas andre Weise offenbart hat als Ihnen und Ihrer Kirche, sprechen Sie unerschrocken und allwissend ihre Götter, ihre Lehren, ihre Glaubensformen ab. Dazu gehört ein Mut ohnegleichen, um den ich Sie bewundern könnte, wenn es nicht ein trauriger und billiger Mut wäre. Er beruht nicht auf Überlegenheit, sondern auf Unkenntnis der Wirklichkeit, auf Parteigeist.

Ich werde, verehrte Schwester Luise, nach wie vor an den lebendigen Gott glauben, und werde von seiner Existenz gerade darum stets überzeugt sein, weil er sich nicht einmal und irgendwo offenbart hat, sondern hundertmal und in hundert Formen? Bildern und Sprachen.

Nein, die andern Götter (die, die anders aussehen als Ihrer) sind nicht tot, dessen kann ich Sie versichern. Gott sei Dank leben sie, und wenn eine dieser vielen Erscheinungsformen des Einen verbraucht und altersmüde wird, dann hat der Lebendige längst schon neue Gestalten bereit, in denen er erscheinen kann. Er überlebt die Völker, er überlebt Religionen und Kirchen, auch die Ihre."

Hermann Hesse
(Brief, 1950 an Schwester Luise)

Gruß
Flint

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