Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Hinweis

Beatrix, Friday, 21.06.2002, 04:57 (vor 8573 Tagen) @ Jörg

Als Antwort auf: Re: Hinweis von Jörg am 20. Juni 2002 16:07:42:

Hallo Jörg!

Wir spielen eben einfach nicht dasselbe Spiel und haben demnach auch andere Regeln.
Könntest Du das vielleicht ein wenig näher erläutern? Was meinst Du damit?

Ihr Männer vertraut unheimlich stark auf Zahlen und Fakten. Dabei gibt es kaum etwas, was sich besser manipulieren läßt. Nenn mir Deine Zahlen und ich halte Dir meine Zahlen entgegen. So what? Mit Zahlen allein ist nichts gewonnen. (Trotzdem finde ich Statistiken selber auch faszinierend.)
Aber Ihr seid oft so sehr von unserem Wirtschaftssystem vereinnahmt, daß ihr es geradezu verinnerlicht habt und nicht mehr darüber hinaus denken könnt. Da geht es um Profit, um Effizienz, um Privilegien, um Macht.

Das Denken vieler Frauen funktioniert anders, besonders wenn sie lange Zeit Kinder oder alte Menschen betreut haben. Wenn ein Kind getröstet werden, ein alter Mensch umsorgt werden muß, dann ist Profit und Zahlendenkerei Nebensache. Da geht es darum, zu trösten, auszugleichen, für Gerechtigkeit und die Befriedigung primärer Bedürfnisse zu sorgen, Begabungen zu förder, Kompetenzen zu entwickeln helfen.
Diese unterschiedlichen Erfahrungen beeinflussen den Kommunikationsstil.

Ihr klagt hier über die Diskriminierung von Männern. und wünscht Euch Verständnis von den Frauen. Dachte ich zumindest bisher. Jetzt fürchte ich, ihr wollt gar kein Verständnis, sondern Ihr wollt den Frauen bloß alles wegnehmen, was in Euren Augen ungerechtfertigte Privilegien sind und wollt stattdessen eigene Privilegien einrichten.
Wenn Ihr gleiche Rechte für die Männer fordern würdet, wäre ich die erste, die Euch unterstützt dabei.
Aber wenn Ihr stattdessen den Frauen jedes bißchen an Positivem mißgönnt und es ihnen streitig machen wollt, so daß im Zweifelsfall beide Geschlechter leer ausgehen und wir gemeinsam in der Sch**ße sitzen, dann fehlt mir dafür jedes Verständnis.
Und da frag ich mich, ob ihr denn nicht auch als Kinder gelernt habt, zu teilen und dafür zu sorgen, daß alle zufrieden sind. Ich habe jedenfalls als Kind gelernt, daß es nicht nur um meinen Willen geht, sondern daß die Gruppe zählt. Daß für alle gesorgt werden soll. Anderen etwas wegzunehmen galt als unfein. Es wurde möglichst angestrebt, daß alle zufrieden sind.

Genauso hab ich es in der Erziehung gehalten. Meine Tochter hat gelernt, nicht nur an sich zu denken, sondern auch an andere. Sich sozial verantwortlich zu fühlen. Und auch nicht alles haben zu wollen, was andere hatten, ohne nach dem Grund zu fragen, warum die anderen etwas hatten und sie nicht. Kann ja auch mal ein angemessener Grund vorliegen.

Nun frag ich mich, ob in der Erziehung einiger Männer hier etwas falsch gelaufen ist.

Ich kann jetzt natürlich nur für mich sprechen: Ich kann zwar nicht jeden
Deiner Standpunkte nachvollziehen, aber deswegen fühle ich mich noch lange
nicht gleich in Rage gebracht.

Sei froh. Ich bin leider oft wütend, wenn ich hier lese und schreibe. Weil ich oft das Gefühl habe, hier vor eine Wand zu laufen. Mißachtung und Respektlosigkeit kann ich schwer ertragen.

>Hier gelten eben eure Regeln und nach denen spiele ich nicht. Zum einen, weil ich sie nicht immer verstehe und zum anderen, weil ich sie teilweise ablehne.
Was sind "unsere Regeln"? Geht es denn hier nicht um eine offene Diskussion,
deren Verlauf durch das Verhalten jedes einzelnen Diskussionsteilnehmers
bestimmt wird?

Die Regeln sind z.B., daß ich das marktwirtschaftliche Profit- und Effizienzdenken verinnerlichen und auch gutheißen soll. Daß ich in Zahlen denke. Da mach ich nur in begrenztem Umfang mit.
Mal ein Beispiel für dieses unterschiedliche Denken aus einem Posting von Arne, der u.a. schrieb:
"Es wundert mich wirklich nicht, dass du politisch kaum einen Fuß auf den Boden bekommst. "Ich will einen neuen Abenteuerspielplatz." - "Entschuldigung, die Kommune ist so hoch verschuldet, dass wir nicht mal wissen, wie wir das Geld für die neue Kanalisation zusammenbekommen können." - "GELD? Wie können Sie in solchen Situationen nur von GELD sprechen? Ich spreche von Kindern, von Abenteuern, von Phantasie, Freiheit, Lachen und Blumenwiesen. Unbeschwertheit, Wildheit, glänzenden Augen! Schaukelschwüngen, Blockhütten und Purzelbäumen! Und Sie sprechen von schnödem Mammon! Haben Sie kein Herz? Ist alles frostig starr und kalt
in Ihrer Brust? Ach, was sind Sie nur für ein Mensch!?" Ich glauben, wenn ich politisch mit dir zu tun hätte, würde ich früher oder später auch am Rad drehen."

Mein Kommentar:
(Die Beleidigungen lass ich jetzt mal bei der Betrachtung außen vor.)
Wenn die Kommune nicht mal das Geld für die Kanalisation zusammenkriegen sollte, dann wäre ein Abenteuerspielplatz ein nicht finanzierbares Extra. Bliebe eben ein Traum. Aber normalerweise ist ein gewisses Budget da und wird auf gewisse Weise verteilt. Klar, das sind wirklich eine Menge Sachzwänge und jurist. Verpflichtungen, um die kommt man nicht herum. Aber es bleibt noch eine gewisse Menge Spielraum übrig, was mit dem übrigen Geld geschehen soll. Eine Kanalsanierung, eine Verkehrsberuhigung, eine Straßenpflasterung, ein Brunnen, eine zusätzliche Kläranlage, neue Lampen für die Stadtverwaltung, einen neuen Anstrich für die Realschule usw.
Wie das Geld verteilt wird, entscheiden bisher meistens nur Männer. Und denen liegen leider oft ganz andere Dinge am Herzen als Frauen. Vielleicht hätten die lieber die Verkehrsberuhigung, die Innenstadtsanierung und die Erhöhung des Kulturetats, die Männern wollen dagegen Riesensummen in Hoch- und Tiefbau und Straßenbau stecken. Dadurch, daß die Männern fast immer die Entscheidungsmacht haben, werden die Prioritäten oft einseitig zugunsten von Männern gesetzt. Und die denken vielerorts, so auch in unserer Kommune, viel zu wenig an die Kinder. Bei uns wurden z.B. fast 20 Jahre lang die Spielplätze total vernachlässigt. Defekte Geräte wurden abgebaut, aber nichts hinzugefügt. Das Ergebnis ist eine Riesenmisere mit allein 10 total sanierungsbedürfigen Plätzen und Trostlosigkeit auf den meisten anderen, und das bei inzwischen ziemlich leeren Kassen. Du wurde jahrelang auf Kosten unserer Kinder reingeklotzt und lieber unsere schöne Landschaft mit neuen Wohnsiedlungen und Gewerbegebieten zersiedelt.

Ich finde, da wurden einfach völlig falsche Prioritäten gesetzt. Kinder haben bei uns keine Lobby, leider. Sie sind das schwächste Glied der Gesellschaft und müssen sich alles gefallen lassen. :-(

Um andere Prioritäten zu setzen, braucht man aber Träume und eine konkrete Vorstellung von einer verbesserten Lebenswelt.
Arnes Sätze, auch wenn sie spöttisch gemeint waren, finde ich in Wirklichkeit gut:
"Ich spreche von Kindern, von Abenteuern, von Phantasie, Freiheit, Lachen und Blumenwiesen. Unbeschwertheit, Wildheit, glänzenden Augen! Schaukelschwüngen, Blockhütten und Purzelbäumen!"

Eine solche Vorstellung, in die Herzen der Entscheidungsträger gepflanzt, sollte ein verändertes Denken bewirken. Was wollen wir? Wäre es nicht schön, wenn unsere Kinder einen solchen Ort der Entfaltung hätten? Fühlen wir uns nicht selber gleich wieder jung, wenn wir daran zurückdenken? Ist so ein Angebot für unsere Kinder nicht mehr wert als eine neue Straße? Was ist Asphalt gegen das Glück unserer Kinder?

Wenn man wirklich von einer Idee überzeugt ist, dann kann man auch die Prioritäten anders setzen und die Verteilung der Gelder anders gewichten. Eine neue Straße kostet leicht eine Million, mit Erschließungskosten. Ein Spielplatz ist schon für 50 000 € zu haben. Trotzdem bauen wir lieber 200 m neue Straße als einen attraktiven Spielplatz, der doch auf vielfältige Art ein Ort der Begegnung sein kann, auch für die anderen Generationen, die auf den Bänken den spielenden Kidnern zuschauen, die Sonne genießen und sich unterhalten können.

Nun, ich habe meine Prioritäten gesetzt. Mir sind Menschen wichtiger als Sachen. Ein Kinderlachen wichtiger als eine neue Fassade.
Eine Fassade kostet so und so viel.
Ein Lachen ist unbezahlbar.:-)

ciao
Beatrix


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