Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Die legale Rechtswidrigkeit

Flint ⌂, Sunday, 19.11.2006, 14:29 (vor 6957 Tagen) @ Rainer

Hallo

Weil juristisch das Leben eines Menschen mit der Geburt beginnt (ist
zumindest in der Schweiz so).


Im juristischen Alltag verschwimmt der Beginn des menschlichen Lebens.
Wenn man sieht, welche Strafen Frauen für das Töten ihrer Säuglinge
bekommen, müsste man in der Sprache der Justiz von "legaler,
nachgeburtlicher Abtreibung" reden.

Rainer

Die legale Rechtswidrigkeit
Von Dr. Knut Wiebe, Köln
In seinem Kommentar berichtet Walter Seitz von sich widersprechenden Entscheidungen der Oberlandesgerichte Karlsruhe und Stuttgart und setzt sich mit dem beiden Verfahren zu Grunde liegenden Verhalten eines Abtreibungsdemonstranten auseinander, der auf Flugblättern vor nahe gelegenen Arztpraxen darauf aufmerksam machte, dass dort ?rechtswidrige Abtreibungen? vorgenommen würden, und der wegen der hohen Zahl der Abtreibungen insgesamt von einem ?Babycaust? sprach. Dies alles stuft Seitz als ?Meinungsfundamentalismus? ein. Deshalb kritisiert er auch die Entscheidung des OLG Karlsruhe (NJW 2003, 2029), die das Verhalten des Abtreibungsdemonstranten als von der Meinungsfreiheit gedeckt angesehen hat. Demgegenüber verteidigt Seitz die zum selben Verhalten desselben Demonstranten vor einer anderen Arztpraxis ergangenen Entscheidungen des OLG Stuttgart und des BGH (Nichtzulassung der Revision: NJW 2003, 2011), durch die das weitere Verteilen der Flugblätter mit Hinweis auf deren Prangerwirkung untersagt wurde. Seitz verwirft die Wortwahl ?Babycaust? und die Bezeichnung ?rechtswidrige Abtreibungen? für legales Tun, auch wenn das BVerfG die straflos möglichen Abtreibungen als rechtswidrig eingestuft habe. Der Gesetzgeber habe die Abtreibung in § 218 a StGB aber inzwischen legalisiert, weshalb sie ?kaum rechtswidrig? sein könnten. Die Flugblätter seien in ihren Aussagen überzogen und nicht hinnehmbar, schon weil der jeweils namentlich erkennbare Arzt legal handeln würde. Die Formulierungen, so das Resümee, seien mit einer ?Kalaschnikow? (einem russischen Schnellfeuergewehr) herausgeschossen und hätten mit sachlicher Kritik nichts zu tun.

Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass auch der BGH (NJW 2003, 2011) von rechtswidrigen Abtreibungen spricht und seine ?Kind als Schaden?-Rechtsprechung danach ausrichtet, ob die erfolgte oder unterbliebene Abtreibung rechtswidrig war oder gewesen wäre (Müller, NJW 2003, 696). Entscheidend kommt aber hinzu: Nicht die Flugblätter sind der Skandal, sondern die Gesetzgebung der §§ 218 ff. StGB ist es. Hiernach sind Abtreibungen, also die Tötung ungeborener Kinder, ohne Angabe und Vorliegen von Gründen innerhalb der ersten Schwangerschaftswochen straffrei möglich, wenn nur die Abtreibung von einem Arzt durchgeführt wird und die Frau zuvor eine Pflichtberatung besucht hat. Dabei soll, so § 219 StGB, die Beratung dem Schutz des ungeborenen Lebens dienen und der schwangeren Frau das Lebensrecht des ungeborenen Kindes auch ihr gegenüber deutlich machen. Setzt sich die Frau dennoch über das Lebensrecht ihres Kindes hinweg, wird sie gleichwohl nicht bestraft, § 218 a I StGB. Damit schützt die Beratungsregelung nicht das Kind vor seinem Tod, wohl aber die Frau vor Strafe.

Dieses Dilemma hatte das BVerfG (NJW 1993, 1751) durchaus gesehen. Wenn es diese unbefriedigende Situation dennoch hingenommen und als verfassungsrechtlich vertretbar bezeichnet hat, so erklärtermaßen nur in der Erwartung, die Zahl der Abtreibungen werde nach Einführung der Beratungsregelung deutlich zurückgehen. So ist es aber nicht gekommen. Die Zahl der Abtreibungen ist unverändert hoch. Damit hat sich die Beratungsregelung von selbst als verfassungswidrig herausgestellt. Es ist deshalb erforderlich, dass der Bundestag der ihm gerade für diesen Fall vom BVerfG aufgegebenen Korrekturpflicht nachkommt und das Abtreibungsrecht ändert.

Auf die Verletzung des Lebensrechts (Art. 2 GG), die mit dem geltenden Abtreibungsstrafrecht verbunden ist, hinzuweisen, muss im Rahmen der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) erlaubt sein. Wenn man schon ?Soldaten sind Mörder? nach der Rechtsprechung des BVerfG (NJW 1995, 3303) formulieren darf und diese Formulierung für Ärzte auf den hier fraglichen Flugblättern nicht übernimmt, muss man wenigstens, wie hier geschehen, bestimmte Arztpraxen namhaft machen dürfen, in denen ?rechtswidrige Abtreibungen? durchgeführt werden. Zu berücksichtigen ist hierbei auch, dass § 12 I 1 SchwKG ausdrücklich bestimmt, dass niemand, also auch kein Arzt, verpflichtet ist, überhaupt an Abtreibungen mitzuwirken, an rechtswidrigen schon gar nicht. Tut ein Arzt dies dennoch, so handelt er zwar legal, zugleich aber rechtswidrig. Die ein solches Ergebnis ermöglichende Gesetzgebung und Rechtsprechung hält ein Rechtsstaat auf Dauer nicht aus.
Die Folgen sind auch schon sichtbar: das Bewusstsein, dass Abtreibungen Unrecht sind, ist weithin verloren gegangen und das, obwohl der Schwangerschaftsabbruch als Straftatbestand, § 218 StGB, nach wie vor im Strafgesetzbuch enthalten ist und zwar im Abschnitt ?Straftaten gegen das Leben?. Außerdem dient der eingeschränkte Lebensschutz des geltenden Abtreibungsstrafrechts häufig als Vorwand für die Rechtfertigung der verbrauchenden Embryonenforschung. Der Embryo ?in vitro? könne nicht besser geschützt sein als der Embryo ?in vivo?. Dass der Embryo nach der Rechtsprechung des BVerfG sich als Mensch entwickelt und dementsprechend als Mensch ? es sei in vivo oder in vitro ? von Anfang an unter dem Schutz des Grundgesetzes steht, wird dabei entweder übersehen oder aber dadurch umgangen, dass der Beginn des menschlichen Lebens auf den Zeitpunkt der Nidation oder Implantation verlegt wird. Dies freilich widerspricht jedweder biologischen und medizinischen Erkenntnis. Überdies zieht, wie auch sonst, ein Unrecht häufig ein anders nach sich. Hier folgt auf die Verletzung des Lebensrechts (Art. 2 GG) nunmehr die Verletzung der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Denn nach den genannten Entscheidungen von OLG Stuttgart und BGH darf man das, was rechtswidrig ist, nicht mehr als rechtswidrig bezeichnen und die Ärzte, die legale, aber rechtswidrige Abtreibungen durchführen, nicht mit ihrem Tun in Zusammenhang bringen. Wenn man dann auch noch demjenigen, der auf Flugblättern die umschriebenen rechtlichen Missstände und deren Folgen aufzeigt, Meinungsfundamentalismus, zumal unter Einsatz einer gedanklichen ?Kalaschnikow? vorhält, so geht dieser Vorwurf nicht nur ins Leere, sondern legt vor allem offen, wie weit die Fehlentwicklung schon fortgeschritten ist: derjenige, der auf rechtswidriges Handeln hinweist, muss dies unterlassen, während derjenige, der rechtwidrig handelt, das Recht auf seiner Seite hat. Dies ist es, was nicht hingenommen werden kann: die legale Rechtswidrigkeit.

Anmerkung der Redaktion:
Gegen die Entscheidungen von OLG Stuttgart und BGH (NJW 2003, 2011) ist Verfassungsbeschwerde eingelegt, die unter dem Aktenzeichen 1 BvR 1139/03 geführt wird.

http://www.babycaust.de/meinung/mein_24.htm


und hier:

Ist die Tötung eines unschuldigen, ungeborenen Menschen nach deutscher Rechtsauffassung nun:


Rechtswidrig = rechtmäßig, und erlaubt ?

Rechtswidrig = rechtmäßig, aber nicht erlaubt ?

Rechtswidrig = nicht rechtmäßig, aber erlaubt ?

Rechtswidrig = nicht rechtmäßig, und nicht erlaubt ?

Welcher Richter kann bei einem solchen Durcheinander qualifizierte, juristische Entscheidungen treffen ?

http://www.babycaust.de/eins_ind.htm


Gruß
Flint

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