Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Gedanken

Arne Hoffmann, Wednesday, 02.10.2002, 18:54 (vor 8471 Tagen) @ Nomad Soul

Als Antwort auf: Gedanken von Nomad Soul am 01. Oktober 2002 09:50:40:

Hi Nomad,

sorry, dass ich mich jetzt erst melde, aber ich hatte gestern eine Lesung (aus SfBM), und das muss man immer ein bisschen vor- und nachbereiten.

Die Mär von der unterdrückten Sexualität kann der Geschichte von der Frau als ewigem Opfer zweifelsohne das Wasser reichen ...

Wozu mir ein Zitat des Männerforschers Sam Keen einfällt: "Alles aus Freuds unterdrückter Libio sieht man heute auf MTV. Die Suche nach dem perfekten Orgasmus wurde die Suche nach dem heiligen Gral. Das heute in unserer Psyche Unterdrückte ist das Spirituelle und das Bedürfnis nach einer seelenvollen Sexualität." Die befreite Sexualität existiert demnach heute nur auf der Oberfläche. Wenn du Foucault gelesen hast, kennst du ja das Prinzip des "Ausgrenzens durch normierendes Zu-Tode-Quatschens".

Ich weiß, daß Sexualität in der Form, wie sie vom öffentlichen Diskurs derzeit getragen wird, ein Konstrukt ist, und daß die ihrer eigentlichen Funktionalität entkleidete Sexualität ein subtiles Mittel zur Manipulation der Individuen ist. Das klingt paranoider, als es ist. Zum Lesen kann ich da Foucault empfehlen, aber nur als Anfang und zum selbst Gedanken machen.

Dazu haben ja auch schon andere geschrieben, beispielsweise der vielleicht bekannteste deutsche Filmwissenschaftler Georg Seeßlen. Wenn ich ihn richtig verstehe, geht seine Kritik in die Richtung: "Die Pornographie bietet den Menschen eine Utopie, aber nicht im Sinne gesellschaftlicher Veränderung, sondern im Sinne sexueller Fluchtwelten." Insofern wäre sie lähmend und reaktionär, sozusagen ein Teil von "Brot und Spiele".

Aber wenn ich mir den Öffentlichen Diskurs zum Thema Sex ansehe, bin ich immer dicht am k*tzen: die Leute leben die Sache nämlich wirklich so aus, als wäre es "nur" ein Trieb und rein biologisch bedingt. Und das ist es nach meiner Ansicht eben nicht.

Nein, da stimme ich dir ausdrücklich zu, und das schreibe ich ja auch in meinem Buch: Unsere Sexualität ist in ganz weiten Teilen sozial konstruiert.

Nur könnte man nach all dem zwei Einwände machen:

1. Gilt deine Kritik wirklich dem GENRE Pornographie oder nicht vielmehr der weit überwiegenden Mehrzahl pornographischer Texte/Medien? Wäre das Ziel nicht eher eine bessere Pornographie, statt keiner Pornographie, also: Hin zu einer Pornographie, die Normen hinterfragt, Menschen wieder etwas zu sagen hat etc.? Daran arbeite ich ja selbst auch schon seit ich Autor bin. Ich kann mal auf eine Rezension zu meinem letzten "pornographischen" Werk verweisen; vielleicht wird darin am besten klar, wie ich persönlich mir das vorstelle: <a href=http://www.domantik.de/advice/buchtipp.php?action=detail&btid=27 >FOX[/link]

2. Vielleicht ist auch alles, was ich unter 1. geschrieben habe, elitärer Quatsch, der sowieso niemanden interessiert. Muss denn selbst Pornographie noch eine Botschaft mit sich herumschleppen, kann sie nicht einfach l´art pour l´art sein, ein Genre, das sich Ideologien und Nützlichkeits-Ansprüchen entzieht? Haben Menschen nicht auch ein Recht auf ihre kleinen Fluchtwelten, ohne dass sie diese politisch bis ins Letzte hinterfragen müssen? Gibt es nicht etliche Medienprodukte, die in ihrer versteckten reaktionären Grundhaltung weit schädlicher wirken als ausgerechnet die Pornographie?

Herzlicher Gruß

Arne


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