Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Gedanken

Nomad Soul, Tuesday, 01.10.2002, 12:50 (vor 8472 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: An Arne Hoffmann von Arne Hoffmann am 30. September 2002 09:36:48:

Hallo nochmal,

zum Thema Sex und Pornos: Ich bin ganz sicher niemand, der anderen nur das nicht gönnt, was er sich selbst nicht zu tun traut. Daß das Interesse für dergleichen da ist, will ich auch nicht abstreiten, und die Sendungen im Fernsehen oder die Zeitungen, die auf dem Schulhof ausgetauscht werden, sprechen wohl dafür.

Aber in meiner Schulzeit haben sich Leute eben auch die unsägliche "Gesichter des Todes"-Videos angeschaut (für die, die es nicht kennen: es handelt sich zumeist um Zufallsaufnahmen von tödlichen Unfällen oder Exekutionen), und wenn ich mich ins Abendprogramm von RTL2 verirre, finde ich dort ebenfalls manchmal bis zu drei Sendungen hintereinander, in denen es ausschließlich um den Tod und die Ermordung von Menschen geht, pseudowissenschaftlich aufgemacht und "getarnt" als kriminalistische Reportage. Die Leute konsumieren auch das, aber bei so offensichtlich unsozialen Sachen fällt es wohl leichter, sich zu distanzieren.

Das Interesse der Leute ist für mich aber nicht zwingend ein Maßstab, wenn es um die Argumentation geht, ob eine Sache richtig ist oder nicht. In den Nachmittags"talk"shows der Privaten (und zunehmend auch der Öffentlich-Rechtlichen) wird fast außschließlich über Sex geredet. Grenzen gibt es da kaum noch eine, aber jeder und jede Moderatorin stilisiert ihre "Arbeit" als "Kampf gegen (vermeintliche) immernoch existierende Tabus" (Barbara Bierach bemerkte mal treffend: Jeder darf im Fernsehen gestehen, daß er gerne Sex mit seinem Schäferhund hat, aber Frauen zu kritisieren ist verboten.) Die Mär von der unterdrückten Sexualität kann der Geschichte von der Frau als ewigem Opfer zweifelsohne das Wasser reichen, und ironischerweise finde ich gerade in der "Frauenliteratur" sehr häufig eine Kombination aus beidem: dort wird dann nämlich die "prüde" und reduzierende Sicht auf den Sex den Männern zugeschrieben ;-)

Über meine persönlich Sicht zu diesem hema möchte ich eigentlich nicht hier diskutieren; sorry - dazu ist mir das zu wichtig, und ich möchte meine Meinung da nicht "zerfleischen" lassen (jap, das könnte man vielleicht wirklich als Angst oder Feigheit bezeichnen). Ich weiß, daß Sexualität in der Form, wie sie vom öffentlichen Diskurs derzeit getragen wird, ein Konstrukt ist, und daß die ihrer eigentlichen Funktionalität entkleidete Sexualität ein subtiles Mittel zur Manipulation der Individuen ist. Das klingt paranoider, als es ist. Zum Lesen kann ich da Foucault empfehlen, aber nur als Anfang und zum selbst Gedanken machen.
Im psychologisierten Diskurs würde man meine Haltung vielleicht voreilig als verklemmt bezeichnen, aber das bin ich nicht: worum es mir geht, ist eine Trennung von Öffentlichem und Privatem - eine Trennung, die scheinbar aufgehoben werden soll. Es wäre interessant, sich zu fragen, wieso - die "Befreiung" des Individuums von seinen Komplexen scheint mir dabei eher ein Scheinargument zu sein (wir "befreien" uns jetzt seit über einem Jahrhundert, aber wir schaffen es einfach nicht, was?!). Aber wenn ich mir den Öffentlichen Diskurs zum Thema Sex ansehe, bin ich immer dicht am k*tzen: die Leute leben die Sache nämlich wirklich so aus, als wäre es "nur" ein Trieb und rein biologisch bedingt.

Und das ist es nach meiner Ansicht eben nicht.

Grüße


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