Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Pornographie etc. [@ Garfield}

Nomad Soul (nn), Wednesday, 02.10.2002, 00:53 (vor 8472 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Naja, aber ... von Garfield am 01. Oktober 2002 16:03:43:

Hi @ all,

@ Garfield: "Scheint so, daß du einer unserer eher romantischen Zeitgenossen bist." - Vom Sinn her muß sich dieser "Verdacht" darauf beziehen, daß es für mich wichtig ist, zu wissen, mit wem ich schlafe. Ich würde das noch nicht unbedingt als romantisch bezeichnen, aber wenn dieser Begriff für Dich eine Abgrenzung zum rein körperlich ausgelebten Sex bedeutet, bin ich wohl "romantisch". Wenn ich von mir behaupte, nicht mit jemandem ins Bett gehen zu können, den ich weder respektiere noch kenne, ist das eigentlich auch nicht "romantisch", ich kann einfach nicht anders. - Nicht verstehen kann ich, wenn du sagst, es gäbe "[...] eben nun einmal Menschen, die weniger romantisch sind [...]" und für die "[...] eben guter Sex wichtiger ist als eine tiefe emotionale Bindung oder das Gefühl gegenseitigen Verstehens" - ich denke nicht, daß auf Gefühl und Respekt aufbauender Sex besser sein kann als das Gegenteil. Aber natürlich gibt es Menschen, denen das egal ist oder die sich mit einer reduzierten Variante von Sexualität abgefunden haben. - Genau darum geht es mir aber doch.

Die Vorstellung, sich von allen Normen befreien zu können, ist illusorisch. Ein Charakteristikum unserer Zeit (vielleicht auch früherer, aber das ist in diesem Fall nicht von Bedeutung) ist es, jede von irgendeiner Instanz vorgegebene Norm in stillschweigender Übereinkunft als Unterdrückung des Individuums anzusehen. Die Bestrebungen, sich von jeglicher Norm in horizontaler Skalierung zu befreien, verschleiern, daß wir statt dessen eine Norm in vertikaler Richtung aufgestellt haben, die ihre Forderungen nicht an die Form, sondern an die Intensität (die Normerfüllung) richtet. Der Sex seit W. Reich, W. Masters und V. Johnson ist ein nicht mehr an das Allianzdispositiv der Familie bzw. Paarbindung gebundener "Trieb", der ausgedrückt werden muß, da er identitätskonstiuierend ist. Es geht nicht mehr nur darum, die Sexualität frei ausleben zu können und Sex zu geniessen, wie Jolanda schreibt, sondern darum, die Sexualität "öffentlich" auszuleben bzw. zu thematisieren oder zu demonstrieren. Wichtig: die "neue Norm" konstituiert sich nicht mehr an lokalisierenden Begriffen wie "innerhalb" und "außerhalb", sondern an der Frage, "wie gut" man die Norm erfüllt. Das hat u.a. zur Bedingung, daß die Sache - Sex - objektiv erfaßbar ist, was die Sexualität selbst nicht nur der gesamten Individualität ihres Ausdrucks enthebt, sondern zudem die Notwendigkeit des Vergleichs mit anderen erforderlich macht. Sex ist dann nicht mehr etwas heiliges zwischen zwei Individuen, sondern eine Art "Allgemeingut", die uns selbstverständlich alle etwas angeht. Unter diesem Gesichtspunkt sollte man vielleicht die "Sexualisierung" des öffentlichen Diskurses etwas kritischer betrachten.

Abschließend noch ein Wort zur Toleranz: Du bemerkst ganz richtig, es gäbe durchaus unterschiedliche Menschen und Ansichten, die man zu tolerieren habe. Im Prinzip ist dieser Forderung zuzustimmen. Allerdings beschleicht mich bei der Forderung nach Toleranz neben dem Problem einer eindeutigen Definition in letzter Zeit immer ein leichtes Gefühl der Übelkeit. Zum einen, weil die Forderung nach Toleranz meist auf eine Akzeptanz von Verhältnisse größerer Ungerechtigkeiten abzielen, deren Veränderung man mit dem Vorwurf der Intoleranz im Keim ersticken kann. Zum anderen, weil wirkliche Toleranz sich per Defintion eben auf die Dinge bezieht, die man für sich selbst eben nicht akzeptiert (sonst wäre keine Toleranz von Nöten ;-), was im Endeffekt die meisten Leute zwar als sehr unkritisch, aber nicht eben wirklich tolerant auszeichnet. Ich glaube nicht, daß man in der Realität soetwas wie Toleranz oder Intoleranz anhand irgendwelcher Kriterien objektiv festmachen könnte. Vielmehr handelt es sich dabei um Begriffe der Polarisation, z.B. um den Anhänger einer gegenteiligen Meinung als "intolerant" zu diskreditieren. Die "Toleranz" hat dann etwas mit dem individuellen Wohlfühlen zu tun, und Sachverhalte, die für mich persönlich eine Qualitätsminderung bedeuten, kann ich nicht "tolerieren", ohne dabei krank zu werden. Die Forderung nach Toleranz ist in solchen Situationen konsequent verfolgt eine Forderung nach dem Nichtvertreten der eigenen Interessen.

Was mich zu der Sache mit der Pornographie bringt. Ich werde versuchen, das Ganze an einem Beispiel auszudrücken, weil ich fürchte, die Äußerung, die Pornographie verletze "das Wesen der Sexualität", mich nicht sehr viel weiterbringen würde. - Ich unterstelle zu diesem Zweck einmal, Du bist durch Arnes Buch zu dieser Seite gekommen; zumindest aber, weil Dich die fortschreitende Entrechtung und Kriminalisierung von Männern im öffentlichen Diskurs betroffen (ärgerlich, verzweifelt etc.) macht. Deine Forderung, in Bezug auf die Pornographie und den in den Medien omnipräsenten Voyeurismus geäußert und auf das Thema des "Geschlechterkampfes" übertragen, würde bedeuten, der Diskriminierung keine Bedeutung beizumessen. Immerhin gibt es völlig unterschiedliche Leute, und die von den Feministinnen propagierten Ansichten spiegeln ebenfalls nicht die Ansichten der gesamten Bevölkerung wieder. "[...] Die Medien walzen nun einmal manche Dinge besonders aus, um die Neugierde der Menschen zu wecken." - Wer weiß, ob diese Meinungen nicht vielleicht noch weniger Adressaten finden als das allnachmittägliche Talkshow-Gedöns?! Deiner Argumentation zufolge müßtest Du Dir in einer solchen Situation also nur eine Frau suchen, die diese fatale Meinung über Männer nicht teilt und die Meinungen der Radikalfeministinnen einfach tolerieren. - Wenn Du das kannst, hast Du vermutlich einen ruhigeren Schlaf als ich. Falls Du in dieser Beziehung ähnlich wie ich denken solltest, dann liegt das vielleicht daran, daß diese Äußerungen zum einen aufgrund ihrer Omnipräsenz nicht zu umgehen sind, zum anderen aber "das Wesen einer Sache" (in diesem Fall die männliche Natur) angreifen. Die Behauptung, Deine genetische Disposition mache Dich von Natur aus zu einem potentiellen Vergewaltiger, wird Dir vielleicht eines Tages auch dann zuviel, wenn deine Freundin felsefest davon überzeugt ist, daß das "Vergewaltiger-Gen" bei Dir unterwegs irgendwo verloren gegangen ist.

Dieses Propagandagerüst, das sich leider auf allzuviele Bereiche des öffentlichen Lebens erstreckt, wird Dir jedoch vermutlich nicht die Forderung nach Toleranz, sondern nach Veränderung entlocken. Selbstverständlich kannst du nicht erwarten, das Bewußtsein aller Frauen zu revolutionieren. Aber Du könntest zum Beispiel verlangen, daß diese an sich privaten Meinungen nichts im öffentlichen und stark die allgemeinen Ansichten manipulierenden Diskurs zu suchen haben.

Mag sein, daß auch die in der Pornographie dargestellte Auffassung von Sexualität die einer großen Masse Menschen ist. Aber es gibt auch eine Menge guter Gründe, sich diesen Darstellungen und eventueller Ansichten zu verweigern, was jedoch durch die vermehrt die Medien und Öffentlichkeit durchdringenden Darstellungen nahezu unmöglich ist. An diesem Punkt sollte man sich noch einmal die Frage stellen, ob es sich bei der "Sexualisierung" des öffentlichen Diskurses und der Förderung und Verbreitung der Pornographie wirklich um eine "Befreiung" handelt, oder ob die "Freiheit des sexuellen Ausdrucks" nicht in Wahrheit nur eine neuere Verkleidung für Exhibitionismus ist. - Es liegt mir fern, den Leuten vorzuschreiben, wie sie ihre Sexualität leben sollen. Aber wenn ich mich auf dem Weg zu meiner Lieblingsserie prinzipiell über zehn Kanäle mit Sendungen zum Thema "Lederdildo, Gummipümpel oder Besenstil" zappen muß, kommt mir das Kotzen!

MfG, Saut (Nomad Soul)


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