Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: rechtliches

Maesi, Friday, 14.12.2001, 21:05 (vor 8760 Tagen) @ Peter

Als Antwort auf: Re: rechtliches von Peter am 14. Dezember 2001 00:53:27:

Hallo Peter

Es ist IMHO unsittlich, wenn jetzt der Vater zur Erfuellung eines "Vertrags" gezwungen wird (eben der Unterhaltspflicht gegenueber dem Kind), den er nie eingegangen ist oder den er zumindest nie in Kauf genommen hat.

Nach heutigem Recht hat das Kind (nicht die Frau) einen Versorgungsanspruch gegen den Vater. Das Kind hat nichts übles getan und weiß von nichts (natürlich), deswegen sehe ich keine Möglichkeiten, ihm diesen Anspruch ohne Gesetzesänderung zu verweigern. Das geänderte Gesetz müsste gleichzeitig die Versorgung des Kindes anderweitig sicherstellen.

Der Kindesunterhalt dient zur Versorgung des Kindes; er wurde vom Staat durch Gesetze statuiert und die Hoehe richtet sich IMHO nach der Duesseldorfer Tabelle.
Die Intention des Gesetzes ist, dass der Vater seine Verantwortung zur Versorgung gegenueber dem Kind wahrnimmt. Dies gilt richtigerweise selbst dann, wenn er mit der Mutter Geschlechtsverkehr hatte, aber kein Kind zeugen wollte. Allein die Tatsache, dass er den Zeugungsakt vollzogen hat, impliziert, dass er ein Kind als Folge davon in Kauf nehmen musste.
Hier liegt der Fall jedoch anders. Das Kind wurde ohne sein Wissen und Zutun gezeugt; ja, er wurde erwiesenermassen betrogen. Der Staat garantiert die Versorgung des Kindes durch seine Gesetze, deshalb soll er jetzt in diesem Haertefall auch dafuer aufkommen.
Dass das Kind nichts dafuer kann, habe ich in einem frueheren Posting schon geschrieben. Aber es ist fuer das Kind irrelevant, ob der Unterhalt vom Vater oder vom Staat kommt; seine Versorgung ist in jedem Fall gesichert.
Ich finde es betrueblich, dass Menschen moralisch immer wieder mittels Kinder unter Druck gesetzt werden, Ungerechtigkeiten zu schlucken. Ein solches Gebaren bezeichne ich als Noetigung und ist besonders schlimm, wenn es noch von Staates wegen mittels eines die Gerechtigkeit verhoehnenden Rechtsformalismus' gedeckt wird; von der zynischen Instrumentalisierung von Kindern ganz zu schweigen.
Ob Gesetze geaendert werden muessten, kann ich nicht beurteilen. Ich faende es aber eigenartig, wenn bei Unterhaltsanspruechen von minderjaehrigen Kindern keine grobe Unbilligkeitsklausel eingebaut worden ist (bei volljaehrigen Kindern gibt es diese naemlich), welche solche oder aehnliche Extremfaelle beruecksichtigt; sowas gehoert IMHO standardmaessig dazu. Vielleicht sollte man eine Qualitaetssicherung bei neuen bzw. zu aendernden Gesetzen einfuehren sowie die bestehenden Gesetze einem Review unterziehen.
Ausserdem: der Unterhalt steht zwar dem Kind zu, er wird jedoch vom Sorgeberechtigten (hier der Mutter) stellvertretend einverlangt und verwendet. In diesem Fall hat die Mutter in betruegerischer Weise die Grundlagen fuer eine Unterhaltsforderung ueberhaupt erst geschaffen. Der Interessenkonflikt ist offensichtlich; deshalb haette fuer das Kind ein Rechtsbeistand bestellt werden muessen, welcher dessen legitime Rechte von einem neutralen Standpunkt aus wahrnimmt.

Ich bin dagegen, den Staat hier bezahlen zu lassen. Erstens bin ich das, als Steuerzahler, und ich hab dieser Frau das Kind nicht gemacht, und zweitens läd so eine Regelung zum Missbrauch ein. Stelle dir vor, ein Mann und eine Frau behaupteten übereinstimmend, die Frau wäre schwanger vom geklauten Samen des Mannes. Der Mann hat Geld, die Frau nicht, und nun sollen wir zahlen - da will ich doch wissen, ob deren Geschichte stimmt? Soll das Sozialamt in deren Wäsche wühlen? Ich fände eine andere Lösung der Versorgung besser.

Ich bin auch Steuerzahler und ein kritischer noch dazu.
Grundlage von Ermittlungen zu einem mutmasslichen Samenraub waere selbstverstaendlich eine vorherige Anzeige; blosse Andeutungen bei einer Unterhaltsverhandlung bezueglich Samenraub genuegen nicht. Bei einer Anzeige sollen die Behoerden gefaelligst ermitteln (wurde in diesem fiktiven Fall ja auch getan); da besteht IMHO spaetestens dann auch ein oeffentliches Interesse daran, wenn der Steuerzahler allenfalls zu zahlen haette. Das Sozialamt kann sich dann auf diese Ermittlungen abstuetzen.
Fuer die meisten potentiellen Unterhaltsbetrueger waeren wahrscheinlich schon solche Ermittlungen abschreckend; besonders wenn ihnen womoeglich noch eine missbraeuchliche Anzeige nachgewiesen werden koennte. Abgesehen davon: vom Kindesunterhalt wird kaum jemand reich, denn er soll ja lediglich die finanziellen Beduerfnisse des Kindes abdecken.
In der Praxis sind die Faelle von Samenraub ohnehin selten so eindeutig wie in diesem fiktiven Fall; denn selbstverstaendlich sollte der Vater nur bei nachgewiesenem Samenraub (Urteil) aus der Unterhaltspflicht entlassen werden.
Missbrauch mit dem Kindesunterhalt wird in Einzelfaellen schon heute betrieben; das zusaetzliche Unterhaltsmissbrauchs-Risiko schaetze ich, angesichts der hohen Huerden fuer eine Verurteilung zu Samenraub, als sehr gering ein.

Ich erwarte von einem Richter nicht nur, dass er nach dem Buchstaben des Gesetzes richtet sondern auch, dass er den Geist des Gesetzes interpretiert; dazu gehoert aber auch, dass er sich mit den ethischen Implikationen der Rechtsauslegung im Einzelfall auseinandersetzt. Ansonsten braeuchten wir ja gar keine Gerichte.

Eine wichtige rechtsfilosofische Frage, dazu ließen sich Bände schreiben, zuviel für meinen kleinen Beitrag.

Stimmt. Ich erwarte eigentlich, dass das Teil der richterlichen Ausbildung ist. Erwarte ich da womoeglich zuviel?

Gruss

Maesi

P.S. Schreibt man "rechtsfilosofisch" tatsaechlich so? Die neue deutsche Rechtschreibung gefaellt mir nicht. Zum Glueck haben wir in der Schweiz Ausnahmeregelungen. ;-)


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