Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 1 - 20.06.2001 - 20.05.2006

67114 Postings in 8047 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Re: Triebe, Gefühle und Entscheidungsfindung

Andreas (d.a.), Sunday, 10.07.2005, 03:07 (vor 7457 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Triebe, Gefühle und Entscheidungsfindung von susu am 09. Juli 2005 22:06:13:

Hallo susu,

vielleicht reden wir aneinander vorbei, weil wir unterschiedliche Vorstellungen von "Trieb" haben, bzw. nicht zu der Einigung finden, dass Trieb beim Tier und Gefühl beim Menschen das gleiche meint: "Trieb" bedeutet in meinem Verständnis eine gattungsspezifische Notwendigkeit, "Gefühl" impliziert eine individuellen Aspekt. Das Problem ist nicht das Beteiligtsein von Gefühlen an Entscheidungen, sondern ihre vermeintliche Stringenz. Gemäß dieser Auffassung wäre es niemandem möglich, sich gegen seine Gefühle zu einer Handlung zu entschließen, es sei denn, er entschiede sich statt dessen für die Idee von Gefühlen in weiterer Zukunft. Das bewusste Den-Gefühlen-entgegen-Handeln (z.B., wenn die Entscheidung eben jede weiteren Gefühle ausschlösse) fiele hier ebenso als Möglichkeit heraus wie das ziellose Herumexperimentieren. - Okay, zum letzteren Punkt meintest Du, Neugier sei ein Gefühl ... hm. In diesem Punkt würde ich sogar von einem Trieb sprechen (auch wenn es offensichtlich einige Leute gibt, bei denen dieser zum Erliegen gekommen zu sein scheint), aber das beruht auf meiner Unterscheidung, da das zu erwartende Gefühl hierbei eben nicht feststeht. (Aus diesem Grund täte ich mich schwer, Neugier ein "Gefühl" zu nennen - und finde es nach Deiner Theorie ebenfalls schwer, da Gefühl ja Erwartung von Bekanntem zu meinen scheint.)

Worauf fußt die Entscheidung für bestimmte Ideale? Auf Gefühlen. Das Menschen auch gegenüber Abstaktionen Gefühle entwickeln läßt sich einfach durch die pure Existenz von Kunst belegen. Die Fähigkeit zu vorausschauendem Handeln ist nicht perfekt und führt auch zu falschen Hoffnungen. Der Selbstmordattentäter, der sich auf die soundsoviel Jungfrauen freut. Oder der christliche Märtyrer, der ewige Glückseligkeit an der Seite Gottes erwartet.

Ich wusste, dass dieser Gedanke kommen würde; deswegen bin ich gezielt von einem areligiösen Attentäter ausgegangen. Die Anschläge auf Hitler waren sicher nicht alle christlich oder muslimisch motiviert, nicht?! Auf dieser Schiene unterstellst Du, dass das Attentat in unserem Beispiel aufgrund einer (vermutlich) falschen Annahme über die Folgen für den Attentäter selbst ausgeführt würde. Ich ging jedoch von dem Fall aus, dass der Betreffende sich seines Opfers bewusst ist. Dass dabei Gefühle im Spiel sein können, ist nicht der Punkt. Das entscheidende ist, dass das Gefühl dem Mann sagt: "Lauf! Vergiss den Plan. Such Dir eine Insel weit weg und sorg für Dich selbst. Du kannst hier nichts gewinnen." Seine Entscheidung fällt jedoch gegen seine Gefühle. Und vielleicht gegen das, was die Vernunft ihm rät.

Aus diesem Grund finde ich das Beispiel mit den Ratten auch nicht sehr passend. Selbstmordattentate sind in der Regel kein durch rituelle Wiederholung erlerntes Verhalten - die Betreffenden haben selten mehr als einen Versuch. Es sind singuläre Ereignisse, die auch nicht durch Wiederholung eingeübt werden. Der gravierendste Unterschied - und das versuchte ich zuvor schon zu sagen - ist die Bedeutung von Sprache und abstrakten Konzepten im Bezug auf menschliches Denken und Handeln. Wenn wir schon bei den Ratten sind: Die Handlung ist auf das Gegenständliche gerichtet. - Nie wird eine Ratte aber auf den Gedanken kommen, den Futterautomaten durch extreme Überbeanspruchung soweit zu schrotten, dass der Wärter aus Verzweiflung vielleicht dazu gebracht wird, sie in Freiheit auszusetzen oder in einen anderen Käfig (nebst attraktiven Rattenfreundinnen). Oder schlicht den bzgl. des Ziels offenen Gedanken haben: "Hui, mal sehen, was passiert, wenn ich das Ding kaputt spiele ..." - Das wichtigste Gegenargument liegt aber in dem von Dir beschriebenen beobachtbaren Resultat des Versuchs selbst: Mit diesem Experiment reklamiertest Du einen Allgemeinheitsanspruch für die "Funktionsweise" von Ratten. Wenn dieses Resultat einen Ausdruck der Funktionsweise des Triebs darstellen soll, dann funktioniert er bei Menschen ganz offensichtlich nicht. Die empirische Vielfalt menschlichen Handelns scheint doch ganz offensichtlich auf keine zwingende Notwendigkeit hinzudeuten, genauso wie die höchst unterschiedlichen Geschmäcker für Kunst. - Dass jeder Mensch eine andere persönliche Geschichte mit anderen persönlichen Erfahrungen hat, kann man hier nicht gelten lassen - es sei denn, Du sprächst das den Ratten explizit ab (Sheldrake aloha!). Doch auch das würde nur wieder den Unterschied zwischen Menschen und Tieren betonen.

Um mal irgendwie den Bogen zum Forum zurück zu bekommen - Dein Thema hier seit Jahren: die soziale Konstruktion von Geschlecht und deren (Zwangs-?)Aufrechterhaltung; das "doing-gender" als performative Handlung, dessen "Sinn" doch theoretisch eine Beschneidung der Möglichkeiten des Individuums (und in Deinen Augen wohl eine kontinuierliche Verirrung) darstellt - wie passt das in dieses Schema?

~Andreas


gesamter Thread:

 

powered by my little forum