Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: nunja...

Andreas (d.a.), Saturday, 09.07.2005, 03:37 (vor 7458 Tagen) @ Altschneider

Als Antwort auf: Re: nunja... von Altschneider am 08. Juli 2005 21:02:

Nabänd!

Was du verwechselst, ist Reflex - eine quasi automatische, immer gleiche Reaktion auf einen Reiz und Instinkt, der mit Maschinen so gar nichts zu tun hat. Das wird vielleicht klar, wenn du daran denkst, dass das, was bei Tieren, weil von außen betrachtet, Instinkt heißt, beim Menschen, in der Innenwahrnehmung, Gefühl ist.

Diese Vergleiche mit Tieren sind immer ein bisschen problematisch: Weißt Du, was ein Tier fühlt, oder welche Form der Reflexion stattfindet, bevor es sich zu einer Handlung entschließt - wenn es sich denn "entschließt"? Reflexion - im Bezug auf Menschen - ist sehr stark an Sprache gebunden, bzw. durch deren Struktur geprägt; ich glaube nicht, dass ich nachvollziehen kann, wie Tiere "denken" oder was auch immer, auch wenn ich sicher bin, dass sie mehr als nur Reiz-Reaktions-Maschinen sind.

Das selbe Problem beim "Instinkt": Wie können wir ihn methodisch festmachen? Dein Beispiel:

Wenn du nachts durch eine dunkle Gasse gehst und siehst vor dir eine Gruppe Leute rumlungern, wirst du dich vielleicht beklommen fühlen (der Gefahreninstinkt) besonders aufmerksam sein oder die Straßenseite wechseln - oder mitten durch laufen.

Das wäre doch mal eine interessante Fragestellung. Könntest Du Dein Konzept von "Instinkt" in diesem Zusammenhang etwas näher ausführen? Warum sind hier die Artgenossen eine Bedrohung? Ich denke, im Bezug auf die Einschätzung dieser konkreten Situation sind kulturelle Einflüsse wesentlich bedeutsamer, denn Du nimmst nicht automatisch vor Menschen reißaus. Was hier viel mehr eine Rolle spielen dürfte, ist das Bewusstsein, z.B. über die Kriminalstatistik, vielleicht eine Einschätzung ihrer Kleidung, mit der eine bestimmte, für Dich gefährliche Gesinnung zum Ausdruck gebracht wird, usw.

Demzufolge finden Frauen wie Männer bestimmte Partner attraktiv oder nicht

Joah, aber zum Glück scheinen die Geschmäcker doch recht unterschiedlich zu sein, und deshalb haben auch wir hässlichen, am Hungertuch knabbernden Studenten manchmal Glück ... :-)

...und wenn es weltweit die gleichen Verhaltensmuster gibt (wie dass, das Frauen erfolgreich und damit resourchenstarke Männer bevorzugen oder eben während der fruchtbaren Zeiten eher zum Seitensprung neigen, wenn sie denn schon einen festen Partner gefunden haben), kann man schon davon ausgehen, dass dort eher instinktives Verhalten eine Rolle spielt.

In diesem Fall wäre erst einmal zu klären, ob diese Verhaltensweisen denn wirklich universal sind; unerlässlich wäre, hierbei die Begleitumstände zu berücksichtigen. Mit Deiner These hast Du damit schon mal mehrere größere Probleme:

Erstens gehst Du implizit vom Prinzip der freien Partnerwahl aus, das bezogen auf die Geschichte eine eher relativ neue Entwicklung darstellt und, im ethnologischen Kontext betrachtet, auch heute nur eine Möglichkeit neben vielen ist. Viele Heiratssysteme funktionieren jedoch nach anderen Prinzipien; kleinere Gesellschaften unterteilen beispielsweise Heiratsklassen, und die Paarbindungen geschehen nach speziellen Schemata, die es innerhalb dieser Gesellschaften unmöglich machen, einen Partner frei aus einer Gruppe zu wählen, die für diese Wahl "tabu" ist. (Claude Lévi-Strauss hat zu den "elementaren Strukturen der Verwandtschaft" eine interessante Arbeit veröffentlicht). Die kulturelle Komponente findet sich aber nicht nur bei kleineren Ethnien - sie fällt den Ethnologen hier nur aufgrund der Andersartigkeit der untersuchten Gesellschaften meistens eher auf. - Partnerwahl also auf einen rein "biologischen" Standpunkt begrenzen zu wollen, wirft die Frage auf, wie mit den jeweiligen kulturspezifischen Einflüssen umzugehen ist. Denn diese gibt es nun mal, und ich fürchte, um die "evolutionäre Formel" hier passend machen zu können, bedürfte es einer moralischen Bewertung.

Zweitens wäre zu untersuchen, ob in Gesellschaften, in denen eine freie Partnerwahl möglich ist, Frauen sich wirklich immer so entscheiden (z.B. sich einen erfolgreichen und ressourcenstarken Partner suchen). - Ein Gegenbeispiel, das mir auf Anhieb einfällt, sind die Mosuo (z. Naxi) im Südwesten Chinas. Bei den Mosuo werden keine Ehen geschlossen, die Frauen haben die Wahl des Partners und die Vaterschaft ist weder an Rechte oder Pflichten gebunden. Um die Kinder speziell kümmert sich statt dessen der Bruder der Mutter. Die Mosuo werden immer als Beleg für Überbleibsel eines ehemaligen Matriarchats angeführt (die marxistische Geschichtsschreibung brauchte einfach ein Matriarchat), aber sie sind eigentlich kein Matriarchat; es handelt sich einfach um eine andere Form von Verwandtschaftsstruktur. Im Fall dieser Ethnie kommen daher aber die oben genannten Faktoren, die im Rahmen unserer Gesellschaft bei der Partnerwahl eine Relevanz haben, nicht zum Tragen. Auch hier stellte sich die Frage, wie man im Rahmen einer "evolutionären" Theorie mit den Fakten umginge ...

Zuletzt müsste auch die Frage gestellt werden, ob weitverbreitete Ähnlichkeiten im Verhalten nicht auch den vielerorts ähnlichen Lebensumständen und den Möglichkeiten, die diese nahelegen, geschuldet seien könnten. Diese Ähnlichkeiten wäre in einem soziokulturellen Erklärungsmodell vermutlich leichter zu erklären als die Ausnahmen in einem evolutionären Modell "wegzuerklären".

So much to say, so wenig Zeit ...

Grüße,

Andreas


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