Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Was im Geschlechterdiskurs falsch läuft

Roslin, Thursday, 25.12.2008, 13:29 (vor 6208 Tagen) @ Tigresa
bearbeitet von Roslin, Thursday, 25.12.2008, 13:40

Hallo Roslin,

inwieweit sind die Geschlechterrollen (und die Ausnahmen) Deiner Meinung
nach durch Erziehung beeinflußbar? In meiner Familie gibt es so viele
"männliche" Frauen, daß ich das nicht mehr für einen Zufall halten kann,
sondern eher an eine "Weitergabe durch Erziehung" denke.
In anderen Kulturen sind die Rollen ganz anders verteilt und die Menschen
sind trotzdem nicht unglücklicher. Vielleicht ist die soziale Disposition
viel stärker, als die biologische.

Gruß
Tigresa

P.S.: ich hab zwar mehr Werkzeug als Töpfe im Küchenschrank, aber mein
Schuhregal ist 2,50 breit und 1,90 hoch und die High Heels darin sind nach
Farben (!) geordnet und obwohl ich eigentlich ein Zusatzzimmer für meine
Garderobe bräuchte, stehe ich jeden Morgen vor dem selben Problem: Hilfe,
ich hab nichts anzuziehen! (Bevor Du jetzt auf falsche Gedanken kommst: das
ist alles selbst bezahlt und ich habe auch keinen armen Mann zum Einkaufen
mitgeschleppt) - Sorry ich bin schon etwas angetütert *hicks* ;-)

In den Biowissenschaften ist heute Konsens, dass der Mensch 50/50 von soziokulturellen und biologischen Faktoren geformt wird.
Intelligenz scheint aber z.B. sehr viel stärker vorgegeben als soziokulturell "erzeugt".

Die 50/50 Formel ist daher nur als müder Kompromiss nach jahrzehntelangem Streit zu verstehen, weil man bisher die Einflüsse (nurture versus nature heißt es im Englischen so schön) schlicht nicht exakt genug gegeneinander abgrenzen kann, so eng interagieren Umwelt und Biologie eines Menschen bei seiner Ausformung.
Nur die Vorstellung, die Geschlechterrollen seien völlig konstruiert und unterschiedliches männlich/weibliches Verhalten liesse sich demzufolge, behandelte man Mädchen und Jungen nur gleich genug, auch völlig dekonstruieren und nivellieren, ist absurd, kann nur noch von Gender Studierten aufrecht erhalten werden, die von Biologie keine Ahnung haben.
Die Tatsache, daß es viele "männliche" Frauen in Deiner Familie gibt, kann sowohl mit dem bei euch über Generationen gepflegten Erziehungsstil zu tun haben, kann aber auch eine Erbkomponente aufweisen, die in eurer Familie an Frauen weitergegeben wird, weshalb es zu diesem Erziehungsstil überhaupt erst kam.
Wahrscheinlich ist beides der Fall, wirkte beides zusammen, ohne daß sich sagen ließe, wie groß der jeweilige Beitrag von Nurture oder Nature in eurer Familie nun ist.
Die durch bestimmte genetische Vorgaben auf seiten des Kindes, durch besondere hormonelle Verhältnisse auf seiten der Mutter während der Schwangerschaft, die ja ihrerseits wieder genetisch vorgegeben sein können, sehr "männlich" geratenen Mädchen werden, wenn sie Mütter von Mädchen werden, instinktiv ihrem eigenen "männlicheren" Verhaltensrepertoire folgend, eher einen "männlicheren" Umgang mit ihren Töchtern pflegen.
Das meinte ich z.B., wenn ich davon sprach, daß die Natur eines Menschen sich die Umwelt schafft, die ihr gemäß ist.
Eine "männliche" Mutter wird ihre Tochter nicht zum rosa Prinzesschen erziehen, zumal die genetisch-biologisch "männlich" geprägte Tochter das auch mit sich nicht machen lassen würde.
Denn das Kind sendet ja auch Signale aus, die Eltern unbewußt aufnehmen und die ihren Umgang mit dem Kind steuern.
Wenn also Töchterlein zu erkennen gibt, daß es weniger von Puppen als von Werkzeugen aller Art angezogen wird, werden die Eltern schon irgendwann auf die Bedürfnisse des Kindes eingehen.
Die klügste Antwort auf die Frage, was den Menschen mehr präge, Erbe oder Umwelt, gab ein amerikanischer Evolutionspsychologe.
Er fragte zurück: "Was definiert die Fläche eines Rechtecks mehr, Länge oder Breite?"
Die Frage ist letzten Endes unbeantwortbar.
Beide Faktoren sind ungeheuer wichtig.
Man sollte ganz einfach jedem Menschen das Recht geben, die Rolle zu leben, die er leben will.
Tut man das, wird man meiner Meinung nach feststellen, daß sich, frei gewählt, die große Mehrheit von Männern und Frauen für verschiedene Lebenswege entscheiden wird, die gar nicht so sehr verschieden sind von den klassischen Rollenmodellen.
Aber jedes Individuum hat das Recht, seinen Weg frei zu wählen, Männer wie Frauen gleichermaßen.
Man kann mit der besten Förderung der Welt aus einem durchschnittlich begabten Kind keinen Einstein machen und keinen Paganini.
Aber man kann ein Kind, das zu einem Einstein hätte werden können, sicher durch verheerende Lebensbedingungen gründlich verderben.


gesamter Thread:

 

powered by my little forum