Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Antiantisemitismus

Nick, Sunday, 02.01.2005, 17:24 (vor 7652 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Das ist sauber argumentiert! von susu am 31. Dezember 2004 13:48:38:

Hi Susu!

"Zu Hohmann schrieb ich aktuell "Der nimmt das zumindest hinterher zurück,[..]"

Stimmt.

"Ohne den letzten Teil der Rede, wäre sie allerdings antisemitisch."

Und mit demselben ist sie's nicht? Richtig, sie wird ja inzwischen überall und durchweg nicht mehr als antisemitisch bezeichnet, sondern als - "unerträglich". Unerträglich zu sein ist natürlich ein ganz schön schlimmes Verbrechen! Da hilft auch kein Grundgesetz und auch nicht diese komische "offenen Gesellschaft" und der ganze andere, lästige Ballast, der ja überhaupt schuld ist an den ganzen Unerträglichkeiten: da muß einfach mal scharf gegen vorgegangen werden, gegen dieses "Unerträgliche"! Alles andere wäre einfach zu unerträglich!

Manche besonders sturen und nickeligen Leute (ich zum Beisiel) stellen sich natürlich trotzdem penetrant eine Frage, die sie allerdings selbstredend sehr verdächtig macht: warum wurden Hohmann und Günzel eigentlich gefeuert? Tja, warum? "Er ist es zwar nicht gewesen. Aber der Vorwurf war dermaßen schwerwiegend, daß die Strafe gerechtfertigt war"? Logisch, nicht wahr? Oder doch nicht? Nun, mir persönlich scheint das denn doch ein - sagen wir mal - reichlich bizarrer Grundsatz zu sein. Den traue ich zwar der SPD-Gerechtigkeitsministerin zu. Aber daß die deutsche Öffentlichkeit bereits derart auf den Hund gekommen ist, daß sie so etwas ohne zu zucken schluckt, ist ein wirklich beunruhigendes Zeichen.

Ob so etwas demnächst vielleicht "konsensethisch" zum neuen Standard beim Rechtssprech avancieren könnte? Ließe sich bestimmt machen. Viele finden ja inzwischen, daß so etwas im Prinzip möglich sein muß: Wenn die Mehrheit das im Konsens so haben will, ja, dann muß man das eben auch so machen. Gerechtigkeit wird schließlich sowieso vom Menschen selbst erfunden, tagesaktuell und je nach Bedarf, denn sie hat ja bekanntlich, wie alles andere auch, überhaupt niemals nie nicht irgendwelche transzendenten, absoluten Quellen. Schließlich gibt es ja keine absoluten Werte, "weil alles relativ ist", sondern es gibt nur noch "vox populi, vox Rindvieh": da läßt sich sowas schon mal ganz fix uminterpretieren, ohne daß man es nachher ungerecht nennen dürfte: wurde ja mehrheitlich so beschlossen. Also nicht daß da jetzt jemand etwa eine "andere Gesellschaft" haben will, mit "Werten" und so 'nem Scheiß! Da muß er sich schon gefallen lassen, daß ihm das Maul verboten wird, wenn er da was ummodeln will. Und überhaupt, so'n bißchen Ungerechtigkeit ist vielleicht garnicht so schlecht, jedenfalls wenn es die Richtigen erwischt...

Ganz direkt die Konsequenz dieser Haltung: was geschieht, wenn eine Mehrheit beschließt, "alle Juden umzubringen"? Die Antwort auf diese Frage ist der Beweis[/u] für die Unhaltbarkeit des Werterelativismus und des absoluten Primats von Mehrheitsentscheidungen!

"Die Rücknahme hat ihn vor diesem Vorwurf geschützt."

Bekanntlich hat sie das nicht. Natürlich auch nicht vor den Konsequenzen. Ich erzähl jetzt einfach mal, wie General Reinhard Günzel diese Konsequenzen erlebt hat: Während eines Interviews in seiner Wohnung haben Frontal21-Reporter den bedrängten Hohmann vollgesülzt, sie seien doch ein äußerst seriöses Magazin und er habe in den letzten Tagen schließlich viel zu leiden gehabt. Jetzt wolle man auch einmal etwas Positives über ihn berichten, und was es denn da so gäbe? Da hat Hohmann auf seinen Schreibtisch gewiesen, wo etliches an Unterstützerpost gelegen hat, u.a auch der Brief von General Günzel. Die Fernsehleute haben darauf bestanden, daß er ihn vorliest, und nachdem sie ihm das Versprechen gegeben hatten, sie würden die Namen der Absender nicht bekanntmachen, las Hohmann vor. In dem Schreiben versichert Günzel dem inzwischen bereits wegen Antisemitismus an den Gartenzaun genagelten Hohmann im wesentlichen seine Solidarität und wünscht ihm viel Glück und alles Gute. Als sie gingen, haben sie dann eine Kopie des Briefes mitgenommen und diese Kopie kurze Zeit später (natürlich ohne Günzels Wissen und Zustimmung) dem Informations- und Pressestab der Bundeswehr zur Authentifizierung vorgelegt - 'Recherche' halt... da hat das Briefgeheimnis zurückzustehen, weiß ja jeder, also was will der Mann eigentlich?

Zwei Stunden später bekommt der ahnungslose General Günzel den Anruf eines Offiziers des Führungsstabes des Heeres, der darum bat, ihm den Brief zuzufaxen, was Günzels Büro sofort erledigte. Dann rief ihn sein Divisionskommandeur an, der wissen wollte, ob die genannten Fakten zuträfen. Schließlich klingelte der Befehlshaber des Heeresführungskommandos an und legte Günzel nahe, seinen Abschied anzubieten. Da der sich aber überhaupt keines Fehlverhaltens bewußt war, lehnte er das ab, beziehungsweise bat sich Bedenkzeit aus. Die Antwort vom Führungsstab: "Gut, rufen Sie mich bis 16 Uhr zurück. Aber bis dahin hat der Minister dann schon entschieden."

Wie der entschieden hat, das sah Günzel kurz darauf im Fernsehen, wo sein zerknautschter SPD-Verteidigungsapparatschik ihn vor laufender Kamera - selbstredend äußerst entrüstet, fassungslos, erschüttert und tief betroffen - als "verwirrten General" beschimpft und für sofort abgesetzt und entlassen erklärt. Günzel fährt daraufhin zu seiner Dienststelle. Im Vorzimmer des Inspekteurs des Heeres wird ihm als erstes rüde mitgeteilt, daß ihm ab sofort das Tragen der Uniform untersagt sei. Sein Fahrer wird demonstrativ nach Hause geschickt. Seine Bitte, sich von seinen Männern verabschieden zu dürfen, wird abschlägig beschieden: das Betreten der Kaserne sei ihm untersagt. Vier Stunden läßt man ihn danach in frostigem Schweigen warten, bis schließlich die Entlassungsurkunde mit dem Flieger aus Berlin eintrifft. Während dieser Zeit taucht irgendwann einmal irgendein völlig subalterner Beamter auf, der General Günzel zu dem Brief und den näheren Umständen befragen will - was der jedoch mit vollem Recht als unzumutbar ablehnt. Struck indes wird später behaupten, Günzel sei ordnungsgemäß zur Sache gehört worden...

Nachdem also endlich der Flieger aus Berlin eingetroffen ist, wird vor Günzels Augen die Formel "Für die dem deutschen Volk geleisteten treuen Dienste ... Dank und Anerkennung" aus der Urkunde herausgestrichen, bevor man sie ihm überreicht (diese Formel entfällt lt. Soldatengesetz nur im Falle "schwerer krimineller Vegehen"; Günzel aber war einer der fähigsten Offiziere, die es in dieser notorisch speichelleckenden Operetten-Armee namens "Bundeswehr" überhaupt gegeben hat. Zuletzt war er der kommandierende General der KSK-Elitesoldaten. Alle Beurteilungen seiner 41-jährigen Dienstzeit waren brillant gewesen). Damit ist der demütigende Exorzismus dann endlich vollständig zuende geführt. Abtreten. Günzel wird zuletzt noch die Schmach angetan, mit der Bahn nach Hause fahren zu müssen. Das war's.

Geile Geschichte, oder? Antiantisemitismus halt. Da kann man überhaupt nichts machen. Wer damit irgendwie in Berührung kommt, der ist unmittelbar und für immer erledigt und braucht sich garnicht erst einzubilden, daß er noch groß was dazu sagen darf. Von "Verteidigung" wollen wir schon mal garnicht reden, nicht wahr? Ich mein: bei diesem Vorwurf! Da verbietet sich das ja wohl von selbst! Ich hab's schließlich schon oben erklärt: "Er ist es zwar nicht gewesen. Aber der Vorwurf war dermaßen schwerwiegend, daß die Strafe gerechtfertigt war"

Für mich gehört diese aufmunternde Geschichte zum Thema "Antisemitismus in Deutschland" zwingend dazu. Wenn Antisemitismus nämlich bloß noch "irgendwas" bedeutet, dann entsteht daraus halt auch "irgendwas" - bloß nichts Gutes. In Deutschland ist die niederträchtige Meinung sehr verbreitet, daß, wenn eine Ungerechtigkeit jemanden trifft, den man nicht leiden kann, das eigentlich keine echte Ungerechtigkeit ist, gegen die man gar etwas unternehmen müßte, sondern eigentlich eine ganz spezielle Form der Gerechtigkeit - die selbstredend mit der jeweiligen Selbstgerechtigkeit des Betreffenden kongruent ist.

Das Thema "Kampf gegen den Antisemitismus" hat viele Dimensionen. Ich habe von einer berichtet, die deutlich macht, daß nur ein ungeteiltes Einstehen für Gerechtigkeit gerecht ist. Geteilte Gerechtigkeit ist Selbstgerechtigkeit.

Gruß vom Nick


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