Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Vom Denken und vom Tun

roger, Thursday, 26.04.2007, 13:29 (vor 6812 Tagen) @ Chato

Hallo Nick!

Du hast m.E. die Sachlage und die wesentlichen Punkte dieses Themas so ausgeführt, so dass ich das, so wie es ist, auch so stehen lassen möchte. Auf einige Punkte möchte ich jedoch noch eingehen:

Mögliche sein, auf gar keinen Fall aber Buddhist oder Buddhistin." Ich
möchte das gerne dahingehend erweitern und verallgemeinern wollen, daß der
Gedanke, überhaupt etwas zu sein, was man sich vorstellt, damit
unvereinbar ist. Oder nicht? :-)

So ist es. Wir können eben alle aus unserem empirischen Käfig hinausdenken. Aber das Wissen darum sollte uns die Freiheit geben, sogar dem "Ich", besser dem "Nicht-Ich" einerseits gelassen andererseits aber auch skeptisch gegenüber zu stehen ? genau an dieser Stelle setzt ja Glaube und Hoffnung ein.

eigentliche Auslöser meiner Einmischung) - sie seien Buddhisten, oder sie
fänden den Buddhismus irgendwie "prima", oder sie kokettieren damit albern
und wichtigtuerisch herum wie Mathieu Carrière oder sie benötigen es
irgendwie als Zutat in ihrem ideologischen Esoterik-Cocktail usw. usf.

Ich habe es mir angewöhnt, dieses Phänomen mit der gebotenen Güte (Metta) zu betrachten und finde es - bis auf die schlimmsten Auswüchse - amüsant-folkloristisch.

Ein anderes Massenphänomen beim "real existierenden Westbuddhismus" sind
z.B. Großtreffen mit dem Dalai Lama.

Das hat er ja auch selber sehr dezidiert und öffentlich zum Ausdruck gebracht.

unterscheidende Besonderheit besteht, daß Christen sich ja nicht selber
befreien, sondern dies geschenkt bekommen in der Taufe, was für dich
wiederum irreal sein wird, andernfalls du ja nicht Zuflucht bei der Lehre
des Buddha genommen hättest.

Das ist die Bruchstelle zwischen Ideologie und Glaube. Der eine sagt, da hatte jemand in grauer Vorzeit eine Idee, und "Geschichte" hat im Laufe der Jahrtausende diese Idee zur Religion, zur "Ideologie" transformiert.
Der andere wird diesen "Ideologieverdacht" entrüstet von sich weisen, indem er sagt, dass dies keine Idee sondern "wahres Gotteswort" ist. Fortan wird Begriffsverwirrung zwischen beiden herrschen. Lass mich mal raten ? das ist dir bestimmt schon öfters passiert?

Und wie ich vor 20 Jahren zum Buddhismus (Theravada) gekommen bin? Im Hinblick auf Sinn und Zweck dieses Forums in der gebotenen Kürze:
Umständehalber war es mir möglich, ein wenig von der Welt zu sehen, so auch Teile Asiens.
Auf einem dieser Rückflüge aus Asien wusste ich dann ebenso ahnungs- wie literaturlos, dass ich Buddhist bin bzw. sein möchte (so was gibt es tatsächlich).
In der Folge habe ich dann regelmäßig "gesessen" und alles gelesen (und nach und nach auch verstanden), was zum Thema Buddhismus zu bekommen war.
In einigen dieser Büchern waren archäologische Skizzen über die Wirkungsstätten des Buddha vor 2.500 Jahren in Nordindien und Nepal. Die ließen sich leicht auf den Maßstab aktueller Karten hochkopieren und auf diese mittels Folie übertragen.
Dann habe ich mir ein Ticket gekauft, bin nach Delhi geflogen, habe ein Auto indischer Produktion (Ambassador ? ein Erlebnis!) gemietet und bin anhand dieser und anderer Unterlagen 3.000 Km durch Nordindien und Nepal gefahren - sozusagen auf Buddhas Spuren. Danach war ich immer noch Buddhist und habe das dann auch meine Umgebung wissen lassen ? so man mich danach gefragt hat. Das soll's dazu gewesen sein.

Mein grundsätzlicher Ideologievorbehalt, der jede Lehre oder Philosophie,
natürlich auch christlich begründete Philosophien, betrifft, ist, wie du
sagst, tatsächlich die Konsequenz meines Lebensweges. Ich behaupte
natürlich nicht, Philosophie sei per se eine Ideologie, aber in
jeder ist diese Möglichkeit unausweichlich enthalten. Das, meine ich, kann
nicht prinzipiell bestritten werden, für die buddhistische Philosophie so
wenig, wie für jede andere.

Doch, soweit es den Buddhismus betrifft, bestreite ich das. Buddhismus ist ja gerade der einigartige Weg, die Phänomene des Seins in ihrer erfahrbaren Qualität zu erkennen und je nach Erfordernis "aufzulösen", also auch und gerade Ideologien, Weltsichten, Tunnelblicke, Menschenbilder etc. Wie weit das dem einzelnen Buddhisten dann in der Tagesaktualität möglich ist, hängt von seinen Lebensumständen und den persönlichen Fortschritten auf dem Weg der Erkenntnis ab

"die Lehre des Buddha in die Tonne kloppen" bezeichnet hast. Im Zen
gibt es ein Koan (das sind diskursiv nicht auflösbare Paradoxa, auf daß an
ihnen das Denken scheitern und zerbrechen möge): "Wenn du auf dem Weg dem
Buddha begegnest: töte ihn!" Genau das habe ich gemacht, nach neun harten
Jahren, und es war wirklich die beste Tat überhaupt, die ich je begangen
habe... :-))

Das ist nach meinem Verständnis kein Paradoxon ? das ist für mich buddhistisches Grundverständnis (s. Gleichnis von der Schlange), und Du sagst es ja auch selber:

Was mir seither geblieben ist und mich nie mehr verlassen hat, ist freilich
ein prinzipielles Mißtrauen und eine hartnäckige Abneigung gegen alle
lediglich gedachten Erkenntnisse...

So ist es, so geht es mir auch, und zwar nicht nur als Gefühl sondern vor allem als "Einsicht".

1. entsteht im Westen nicht, wie es sonst immer und überall in der
Geschichte der Fall gewesen ist, eine spezifische, konkrete, neue
Ausformung dieser Lehre, sondern es bestehen all die vielen (genauer:
alle) Richtungen, die es bereits gibt, nebeneinander, bleiben als
solche aber getrennt und mehr oder wenig das, was sie eben vom jeweiligen
Ursprung her sind, bzw. sinken zum Teil direkt in Beliebigkeit und
degenerativen Zerfall (Stichworte: "Mathieu Carrière", Esoterik, Exotik,
"Südseeparadies", intellektualistische Zeitgeistmode, Dalai Lama als
Ersatzmessias etc.). Das schließt die Ernsthaftigkeit im Einzelfall
natürlich überhaupt nicht aus, aber als eine eigenständige, originär
europäische, kulturelle Erscheinung gibt es den Buddhismus m.E. eben
nicht.


Immerhin gibt es eine Deutsche Buddhistische Union und eine buddhistische Religionsgemeinschaft, deren Mitglied ich bin.

4. Auch Philosophie und Wissenschaft gehen im Westen in die genau
entgegengesetzte Richtung, die der Buddhismus eingeschlagen hat. Man
könnte sehr viel darüber sagen. Ich greife hier nur ein einziges Beispiel
heraus, um anzudeuten, was ich in etwa meine. Das wesentliche, für die
buddhistische Philosophie wahrlich konstitutive Konzept der wechselseitig
bedingten Entstehung der Phänomene, trifft hier nicht nur auf den
entgegengesetzten Gedanken der Schöpfung mit einem Beginn und einem Ende,
sondern es handelt sich bei letzterem ja wirklich um eine schlichte,
wissenschaftliche Tatsache.

Wissenschaftliche Theorien gelten immer nur solange, bis das Gegenteil bewiesen ist. Und wenn man zu Kenntnis nimmt, wie sich die Theorien vom Anfang der Welt im Großen wie im Kleinen im letzten Jahrhundert verändert haben, wie sich die Vorstellung vom Anbeginn der Welt mittlerweile zu einem "subatomaren Flimmern" verflüchtigt hat, dann sehe ich den weiteren Theorien mit buddhistischer Gelassenheit entgegen.
Hinzu kommt, dass sich mit jedem neuen wissenschaftlichen Erkenntniszuwachs der Erkenntnishorizont weiter hinaus schiebt, oder mal so ausgedrückt: Macht die Naturwissenschaft einen Schritt nach vorne, entschwindet das Objekt der Begierde um zehn ? es wird immer unwirklicher und nur noch über abstrakte Formeln "verstehbar"???

Die "Ungelesenheit" meiner Texte wird hier ja immer wieder mal beklagt -
freilich komischerweise stets von Leuten, die das Zeug dann eben doch
lesen. Wahrscheinlich ergreifen sie da bloß freundlich und mitfühlend
Partei für andere :-)

Meinst Du mit "Ungelesenheit" = "Unlesbarkeit"? Ich kann weder das eine noch das andere bestätigen. :-)

alles roger

fight sexism ? fuck 12a GG


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