Karrieredenken
Als Antwort auf: Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend von Maesi am 13. Oktober 2002 20:26:55:
Hallo Maesi!
Die Benachteiligung liegt aber in der fehlenden Entscheidungsfreiheit und der fehlenden Chancengleichheit. Eine Frau kann heutzutage eben nicht Chirurgin werden und gleichzeitig eine Familie haben. Entweder oder. Aber nicht sowohl als auch.
Natuerlich kann eine Frau das auch; weshalb sollte eine Frau heutzutage nicht Chrirurgin werden und gleichzeitig eine Familie haben koennen? Die Frage ist dann jedoch: wieviel hat sie als Chirurgin von ihrer Familie? Wahrscheinlich hat sie dasselbe Problem, wie viele Maenner auch, die Karriere gemacht haben: das Familienleben kommt zu kurz.
Eben drum. Und deshalb kann eine Frau eben nicht gleichzeitig Chirurgin sein und Familie haben. Weil (hoffentlich) keine Frau so verrückt ist und die derzeitigen familienfeindlichen Arbeitszeiten für Chirurginnen akzeptiert. Sie wird sich also entscheiden müssen: Entweder ist ihr der Beruf so wichtig, daß sie die unmöglichen Arbeitsbedingungen in Kauf nimmt, dann wird sie aber auf Familie verzichten und kinderlos bleiben.
Außerdem wird sie kaum einen Partner finden, der dann eben alleine Haushalt und Kidner versorgt und auf eine eigene Karriere verzichtet. Selbst wenn sie sich also auf eine so familienfeindliche Lebensweise einliße, hätte sie kaum die Chance, unter diesen Umständen eine Familie zu gründen.
Den "Mann an ihrer Seite" gibt es nicht.
Oder ihr ist ein Familienleben wichtiger, dann wird sie eben einen anderen Beruf ergreifen.
Warum Männer so verrückt sind und aufreibende zeitintensive Jobs ausfüllen, obwohl sie dadurch weder ein richtiges Privatleben haben noch Zeit für eine Familie, das hab ich noch nie richtig begriffen.
Auch ein Mann muss sich ein Stueck weit zwischen Familie und Karriere entscheiden. Somit sehe ich hier kaum einen Chancenvorteil fuer Maenner.
Natürlich muß sich ein Mann ebenso entscheiden. Aber verrückterweise entscheidet er sich eher für die Karriere als für eine ausgewogene Mischung aus Beruf und Privatleben. Die Benachteiligung liegt IMHO darin, daß in der Wirtschaft, auf dem Arbeitsmarkt aber genau diese Verrückten gefordert werden, die sich für ihren Job aufreiben. Wenn Männer nicht immer noch diese menschenfeindlichen Arbeitsbedingungen akzeptieren würden, wären sie ja vielleicht schon abgeschafft. Aber jeder Karrieremann, der bis zum ersten Herzinfarkt oder Bandscheibenvorfall nur mit seiner Firma verheiratet ist, fällt praktisch den Menschen mit anderen Prioritäten, sprich der großen Mehrheit der Frauen und einer Minderheit der Männer, durch sein Verhalten in den Rücken.
Ah, jetzt kommen wir auf den Kern der Sache. Nach Deiner Aussage wollen Frauen gar nicht dasselbe wie Maenner. Sie wollen Karriere machen UND ein erfuelltes Familienleben haben. Waehrend die weniger 'anspruchsvollen' Maenner sich offenbar tendenziell eher mit einer Karriere zulasten des Familienlebens begnuegen. Fragt sich bloss, wie der Staat das mittels Gesetzen garantieren soll.
Ganz einfach: indem er die Wirtschaft veranlaßt, Arbeitsplätze so zuzuschneiden, daß sie familienfreundlich sind. Wer trotzdem mehr arbeiten will, kann ja einen zusätzlichen Job annehmen oder sich selbstständig machen.
Und obwohl es durchaus machbar wäre, all diese Wünsche zu realisieren - durch partnerschaftliche Teilung der Aufgaben, durch familiengerechte Teilzeitarbeit, durch zusätzliche qualifizierte Kinderbetreuung während der Berufstätigkeit der Eltern - wird all dies bisher eher hintertrieben als gefördert.
Ich weiss nicht genau, was Du fuer Vorstellungen hast ueber Karrierejobs. Aber Fuehrungsfunktionen in Teilzeitarbeit sind aeusserst selten.
Na und? Was ist das für ein Argument? Nur weil es bisher selten ist, heißt das noch lange nicht, daß es nicht realisierbar ist.
Ich könnte dir massenhaft praktische Beispiele nennen, wo es längst funktioniert. In allen möglichen Branchen. In Kleinbetrieben, im Mittelstand, in großen KOnzernen.
Ich kenne keinen einzigen Chef, der in Teilzeit angestellt ist.
Es geht aber.
Aber alle Chefs, die ich kenne, nehmen bisweilen (oder auch oefters) mal uebers Wochenende zusaetzliche Arbeit zur Erledigung nach Hause, was dann aber wieder zulasten des Familienlebens geht.
Eben. Und was hat er dann davon? Nichts.
Dort wo ich arbeite, wird von Kaderpersonen verlangt, dass sie eine bestimmte Anzahl von Stunden pro Jahr zusaetzlich leisten muessen, ohne dass eine entsprechende Abgeltung (z.B. als Ueberstunden) erfolgt. Das ist die Realitaet, liebe Beatrix.
Ja, das weiß ich. Und? du läßt Dir das alles so einfach gefallen? Und die anderen Mitarbeiter auch? Warum seid ihr nicht längst auf die Barrikaden gegangen?
Weil ihr erpreßt werdet? Weil ihr sonst Angst um Eure Arbeitsplätze habt? Weil euch der Chef sonst sagt "Wenn Ihnen das nicht paßt, können sie ja gehen."?
Ich sage: man sollte sich das nicht länger gefallen lassen, sich solidarisieren, sich organisieren, gemeinsam andere Arbeitsbedingungen einfordern!
Man will den Frauen nicht zugestehen, daß sie die Lebensprioritäten anders setzen. Und den Männern, die bereits "aufgewacht" sind und die nun ihre Prioritäten ebenfalls anders setzen möchten, fällt man ebenfalls gesellschaftlich in den Rücken. Alles soll sich an altertümlichen und schädlichen Lebensmodellen - besonders an der traditionellen Arbeitsteilung mit einmal ununterbrochener Erwerbsbiographie plus einmal Vollzeithausfrau - orientieren, egal ob das Sinn macht oder nicht.
Niemand hindert irgendwen daran, die Lebensprioritaeten anders zu setzen.
Was nützt das, wenn auch andererseits kaum jemand wirtschaftlich BERÜCKSICHTIGT, daß die Mehrheit der Menschen, mit Sicherheit schon mal alle Frauen, die einen Kinderwunsch haben, schlicht und ergreifend andere Prioritäten hat?
Stell Dir vor, Du bist Chefkoch eines Nobelhotels und fast alle deine Gäste sind Vegetarier. Du aber kochst weiterhin Fleischgerichte. Würdest Du da bei Beschwerden auch argumentieren, daß ja niemand die Vegetarier zwingt, Fleisch zu essen, daß sie ja auch nur die Beilagen wählen können? Oder würdest Du Dich bei der Menuewahl nicht doch auf die Wünsche der Gäste einstellen und anfangen, Hauptgerichte nur mit Gemüse zu kochen?
Doch wohl eher letzteres.
Auf dem Arbeitsmarkt ist es dagegen so, daß ein großer Teil der Menschen inzwischen kapiert hat, daß die jetzigen Arbeitsbedinungen total ungesund sind, daß sie das Familienleben und die eigene Gesundheit ruinieren. Trotzdem verlangen viele Firmen von ihren Mitarbeitern noch mehr Flexibilität und Mobilität und Einsatz als früher. Das ist doch hirnrissig!
Warum lassen wir uns so verheizen?
Du moechtest jedoch den Fuenfer und das Weggli (wie wir in der Schweiz zu sagen pflegen). Du moechtest eine Karriere und ein starkes Engagement in der Familie gleichzeitig. Oftmals besteht aber gerade zwischen diesen beiden Bereichen ein erheblicher Zielkonflikt.
Dann muß man eben verstärkt daran arbeiten, diese beiden Ziele unter einen Hut zu bringen.
Ich werde hier mal ein Beispiel aufzeigen, wie es in der Praxis vorkommen koennte:
Mueller-eins und Mueller-zwo sind beide Leiter je eines Teams in der Marketingabteilung eines multinationalen Unternehmens mit Hauptsitz in London; beide haben in etwa die gleiche Qualifikation und beiden ist ihre Karriere wichtig.
.....Natuerlich ist Mueller-zwo bereit fuer diese neue Herausforderung. Nach zwei Jahren harter Arbeit mit nur wenig Freizeit hat er es geschafft: Er ist Marketingleiter fuer die Westkueste, den Mittleren Westen und British Columbia.
Na und? Was hat Müller-zwo jetzt davon? Wahrscheinlich ist ihm inzwischen seine Frau weggelaufen, weil er ja sowieso nie Zeit für sie und die Kinder hatte und weil sie inzwischen findet, daß sie ohne ihn besser dran ist.
Seine Kinder sind ohne ihn groß geworden, er weiß nichts über sie, sieht sie nur in den Ferien. Seine Gesundheit ist auch angegriffen, denn durch die vielen Überstunden stand er schon mehrfach vor dem Burn-out. Sein Rücken macht ihm Probleme, sein Appetit leidet, durch das viele fastfood, das er aus Zeitmangel in der Firma in seinen kurzen Pausen runtergeschlungen hat und die Schokoriegel, die ihm kurzfristig noch mal Energie bringen sollten, hat er inzwischen einiges an Übergewicht und sein Herz funktioniert nicht mehr so gut wie früher. Außerdem hat er sich seitdem unter Druck gesetzt und hetzt trotz der Überstunden noch 2-3 mal wöchentlich ins Fitnessstudio, um die Pfunde wieder loszuwerden. Denn bei seinem neuen Leitungsjob will er ja eine gute Figur machen.
Seit er viel mehr Geld verdient, hält auch seine Exfrau verstärkt die Hand auf und will für sich und die Kinder mehr Geld rausschlagen. Wenn sie sonst schon nichts von ihm hatten all die Jahre, kann er wenigstens was springen lassen. Außer Geld ist bei ihm ja sowieso nichts zu holen....
Und seine Geliebte stellt auch immer größere Forderungen an ihn, finanzielle und im Bett. Der arme Kerl kommt aus dem Leistungsdruck gar nicht mehr heraus. Und obowohl er in den letzten Jahren immer mit der Hoffnung lebte, daß nach 2 Jahren Verzicht auf Privatleben endlich die große Belohnung kommt und er dann ein besseres Leben haben wird, merkt er in dem neuen Job schnell, daß er auch in Zukunft genauso viel und so lange wird schuften müssen wie bisher.
Mueller-eins wurde gar nicht mehr erst gefragt, denn er waere mit seiner Familie offensichtlich zu unflexibel gewesen, die Aufgabe in den USA zu uebernehmen.
Na und? Dafür pflegt er seit Jahren ein interessantes Hobby und beschäftigt sich ehrenamtlich. Der Fußballverein, den er trainiert, ist kürzlich aufgestiegen. Und auch sein Sohn ist bereits in der Jugendgruppe der freiwilligen Feuerwehr. Einmal in der Woche gehen er und seine Frau mit befreundeten Ehepaaren kegeln, und die Ferien verbringen sie schon seit Jahren mit einer befreundeten Familie zusammen auf demselben tollen Campingplatz. Den Wohnwagen pflegt er gerne, außerdem hat er sich auf seine alten Tage noch mal ein neues Motorrad gekauft. Einmal im Monat macht er mit seinen besten Freunden einen Männerabend und jedes Jahr fahren er und seine Kumpels ein paar Tage zum Bergwandern nach Tirol. Er kann zwar finanziell keine so großen Sprünge machen, aber seit die Kinder zur Schule gehen, arbeitet sein Frau wieder verstärkt in ihrem Beruf. Und zusammen schaffen sie es dann doch, ihre Hobbies und ihren ganzen Lebensstil zu finanzieren.
Diese kleine Geschichte soll aufzeigen, dass jemand der nahezu frei ueber seine Zeit verfuegen kann, einen nicht zu unterschaetzenden Chancenvorteil hat gegenueber jemandem, der zeitlich stark gebunden ist. Jemand, der der Karriere hoehere Prioritaet einraeumt als der Familie (ja vielleicht sogar noch Single oder nur lose gebunden ist), wird tendenziell eher Karriere machen koennen, als jemand der stark in der Familie engagiert ist.
Und wo soll da der Vorteil sein? Ich sehe nur, daß es die Müller-zwos dieser Welt sind, die den Fortschritt aufhalten und dafür sorgen, daß die arbeitende Bevölkerung weiterhin ausgebeutet und als Arbeitskraft verheizt wird. Um des lieben Profits willen.
Wir schaffen ja schon keine artgerechte Tierhaltung und sollten uns schämen, wie wir unsere Mitgeschöpfe behandeln. Aber ich finde, auch die Arbeitsbedingungen der meisten Menschen sind alles andere als artgerecht.
Und jeder, der sich trotzdem drauf einläßt, behindert Veränderungen und zementiert lieber den status quo.
Flexibilitaet (sowohl zeitliche als auch raeumliche) ist heute ein Muss fuer karrierebewusste Menschen.
Und? Findest Du das etwa richtig? Ich nicht!
Nicht, wenn es auf Kosten des Privatlebens geht.
ciao
Beatrix
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- Böse Buben, kranke Knaben: 2.Teil LESEN! -
Stefan G.,
09.10.2002, 11:28
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
-
Meckermax,
09.10.2002, 13:37
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Stefan G.,
09.10.2002, 14:29
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Odin,
09.10.2002, 15:53
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Stefan G., 09.10.2002, 19:05
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend -
Odin,
09.10.2002, 15:53
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- Re: Veröffentlichen von E-Mails - Meckermax, 09.10.2002, 17:12
- Re: Veröffentlichen von E-Mails - Manfred, 10.10.2002, 01:04
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XRay,
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Beatrix,
10.10.2002, 03:55
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Meckermax,
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- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Meckermax, 10.10.2002, 23:16
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11.10.2002, 00:43
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14.10.2002, 01:32
- Re: Antwort des Ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - XRay, 15.10.2002, 00:38
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12.10.2002, 04:41
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Beatrix,
10.10.2002, 16:34
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- Re: Böse Buben, kranke Knaben: 2.Teil LESEN! - pit b., 09.10.2002, 17:29
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