Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Nachtrag...

Maesi, Saturday, 15.06.2002, 03:26 (vor 8579 Tagen) @ carlos

Als Antwort auf: Re: Nachtrag... von carlos am 12. Juni 2002 20:26:08:

Hallo carlos

„> [snip] Mich interessiert nur, DASS er es getan hat. Deine Denkweise ist ein typisches Produkt der sogenannten „Großen Strafrechtsreform“ aus den 70-er Jahren, die das irrige Denken kolportiert, niemand sei wirklich am selbst begangenen Verbrechen schuld, sondern letzten Endes die „Gesellschaft“: als Selbstläufer ist ein riesiger, überflüssiger und sündhaft teurer Gutachterzirkus entstanden, der gegebenenfalls doziert und gutachtet, aus einem gewöhnlichen Schwerstkriminellen sei halt plötzlich ein bedauernswerter Kranker geworden.<
„Zwischen den beiden Extremen (nur der Taeter ist schuld/der Taeter ist krank und kann nichts fuer seine Tat) gibt es viele Zwischenstufen. Das Strafrecht ist so schlecht nicht, auch wenn es gelegentlich zu seltsamen Gerichtsentscheiden kommt. Das Gericht muss letzten Endes jeweils nach den vorliegenden Fakten und Indizien urteilen. Dazu gehoert, dass dem Taeter seine Tat nachgewiesen werden muss. Dazu gehoert auch, dass allenfalls mildernde Umstaende beruecksichtigt werden muessen.“

Das bestreite ich nicht. Das hat auch das Strafrecht vor seiner „Großen Reform“ nicht bestritten.

Das ist richtig. Mir ging es nur darum die beiden Extreme aufzuzeigen sowie die Tatsache, dass dazwischen noch eine grosse Grauzone liegt; so habe ich uebrigens auch Odins Beitrag verstanden.
Deine Ansicht, dass das heutige Strafrecht die Schuld an einem Verbrechen jeweils der Gesamtgesellschaft aufbuerdet, kann ich nicht teilen. Waere es so, wuerde gar niemand mehr verurteilt. Wenn jemand eines Verbrechens schuldig gesprochen wird, ist er in der Regel dafuer auch hauptsaechlich verantwortlich.

„Auch wenn Du es nicht wahrhaben willst: bei Ersttaetern ist die Rueckfallquote nicht so hoch...“
Ob Ersttäter oder Wiederholungstäter: Wo liegt denn für das OPFER der Unterschied? Glaubst Du ernsthaft, es interessiert sich dafür?

Fuer das Opfer macht es wahrscheinlich keinen Unterschied, ob es sich um einen Ersttaeter oder einen Wiederholungstaeter handelt. Hier kommen aber auch oekonomische Belange ins Spiel. Einen Taeter moeglichst lange wegschliessen, ist ja nicht gerade billig. Und sofern er nicht waehrend Strafvollzugs verstirbt, kommt er irgendwann wieder raus. Je besser es gelingt, Ex-Straeflinge zu resozialisieren desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie wieder vor Gericht landen und erneut abgeurteilt werden. Natuerlich ist dieses Vorgehen nicht bei jedem Straftaeter erfolgreich. Wir muessen uns damit abfinden, dass es einen gewissen Prozentsatz gibt, der nicht resozialisierbar ist oder zumindest nicht mit vertretbarem Aufwand. Da aber gerade Ersttaeter besonders erfolgreich resozialisiert werden koennen, macht es fuer die Gesellschaft durchaus einen Unterschied, ob Erst- oder Wiederholungstaeter. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass manchmal allzu lange Resozialisierungsversuche durchgefuehrt werden, bis ein Taeter endlich als 'hoffnungsloser Fall' abgeschrieben wird.
Nur, was soll man mit den 'hoffnungslosen Faellen' anfangen? Lebenslang hinter Gitter sperren? Bei Gewaltverbrechern mag das ja noch eine gangbare Loesung sein. Was ist jedoch mit Kleinkriminellen? Ist es verhaeltnismaessig, jemanden zu 'lebenslaenglich' zu verknacken, nur weil er das fuenfte Mal wegen Taschendiebstahls vor dem Richter steht?

Auch bei Ersttätern: ich frage mich, WIE NUR kann man in einen dermaßen entmenschten Zustand gelangen, um einem Artgenossen Grausamkeiten vom Schlage einer Vergewaltigung oder sonstigen Gewalttat –wie eben auch Ehefrauen, die ihrem Ehemann das Auge ausschlagen; der Fall war letztens im Fernsehen-- anzutun?

Ich nehme an, das ist eine rhetorische Frage. Angesichts all der Greueltaten in der Geschichte der Menschheit, sei es im Kleinen (Gewaltdelikte), sei es im Grossen (Kriege, Massenmorde), kann man nur zum Schluss kommen, dass es in der Natur des Menschen liegt, gewalttaetig zu sein. Die Sozialisierung befaehigt uns, unsere Gewaltneigung zu kontrollieren. Offensichtlich funktioniert diese Kontrolle jedoch nicht immer, und manchmal hat auch die Sozialisierung versagt.
Aber auch ein gute Sozialisierung ist laengst keine Garantie dafuer nicht, gewalttaetig zu sein. Wesentlich wichtiger ist IMHO das soziale Umfeld, in dem man aufwaechst und lebt.

Genau dies ist ja auch einer der Punkte des heutigen (Un-)Rechts: Man verwendet Zeit und Geld im Übermaß für den Täter, und um das Opfer kümmert sich, trotz Opferschutzgesetz, keine alte Sau, ganz im Gegenteil. Es hat jetzt einen Haufen Probleme am Hals, die es nie gewollt hat: Es wird durch behördliche Mühlen gedreht, muß haufenweise Zettel, Formulare und Anträge, möglichst noch in dreifacher Ausfertigung ausfüllen, und dergleichen schöner Sachen noch viel mehr.

Diese Probleme des Opfers sind keineswegs neu und schon gar nicht auf die Resozialisierungsbemuehungen beim Taeter zurueckzufuehren. Frueher wurden die Taeter einfach weggeschlossen, und das war's. Irgendwann hatte der Taeter seine Strafe abgesessen und er kam wieder raus. Dem Opfer half ebenfalls niemand, es musste selber mit den Folgen fertig werden.

Als Schweizer kenne ich das Opferschutzgesetz in D nicht. In der CH gibt es ein Opferhilfegesetz, welches einem Opfer eine gewisse Unterstuetzung der oeffentlichen Hand zusichert; die administrativen Probleme scheinen dieselben zu sein wie in D. Aber es ist immer noch besser als gar nichts.
Zu guter Letzt kann aber auch die allerbeste psychologische Therapie und die allergroesste Schadenersatzsumme dem Opfer nur teilweise ueber das erlittene Unrecht hinweghelfen. Die meiste Arbeit muss das Opfer selber verrichten, d.h. es muss mit der Tat irgendwie selber fertigwerden. Weder Psychologen noch Geld koennen ihm diese Buerde voellig abnehmen.

Verdammte Scheiße, kann ich da nur sagen: werd´ nur ja nie Opfer in diesem Staat, weder als Mann, noch als Frau! Die beiden Bereiche darf ich nicht vermischen, sagst Du? Aber klar darf ich das! Zeigt sich doch, wie ideologisiert und verbohrt dieser Staat in ein und derselben Sache mit zweierlei Maß mißt.

Taeter und Opfer sind durch die Tat untrennbar miteinander verbunden. Deshalb kann man das natuerlich nicht trennen. Die Strafe aber auch die Resozialisierungsstrategie haengen von der Art der Tat ab. Welcher Art soll jedoch die Opferhilfe sein? Dies haengt immer vom Opfer ab. Aber auch diese Hilfe kann eine Tat nie ungeschehen machen.
Inwiefern misst der Staat mit zweierlei Mass? Das verstehe ich jetzt nicht.

„> ...Und ich flüstere dir: ich habe keinen Bock darauf, verarscht zu sein; erreiche ich mit meiner Drohung obendrein auch noch mein Ziel, daß nämlich niemand meine Kinder anfaßt, na, dann sind Mittel und Zweck geheiligt, niemandem geschieht was, und alles ist paletti. Alles klar? <
Was Du oben beschreibst, ist nichts anderes als Rache...“
Nein, es geht mir gar nicht um Faustrecht und Rache, mir geht es um Gerechtigkeit, und die kann mir (Un-)Recht eben nicht liefern. Ich gebe nochmals zu: ich sehe diesen Punkt durchaus auch emotional, weil ich, wenn es z.B. um meine Kinder geht, nicht emotionslos bleiben will und kann.

Das Problem ist, dass Du moeglicherweise unter Gerechtigkeit nicht dasselbe verstehst wie jemand anderes. Was denn waere die gerechte Strafe fuer einen Vergewaltiger, was waere die adaequate Hilfe fuer ein Vergewaltigungsopfer? Das haengt immer von den konkreten Umstaenden der Tat ab. Was Dir gerecht erscheinen mag, ist fuer jemand anderes ungerecht und umgekehrt. Das Strafrecht ist letztlich ein Kompromiss zwischen Anspruechen von Opfern, Taetern und der Gesellschaft insgesamt und unterliegt natuerlich auch gewissen Modestroemungen.
Wenn Du daran etwas aendern willst, musst Du Dich in den Bundestag waehlen lassen; dort kannst Du direkt auf die Gesetzgebung Einfluss nehmen. Noch besser waere es, wenn Du Mitglied der Bundesregierung wirst (am besten Bundeskanzler).
Dass Du, wenn es um Deine Kinder oder sonst um Dir nahestehende Personen geht, nicht emotionslos bleiben kannst, ist voellig natuerlich; das waere bei mir genauso. Aber gerade dadurch wird auch Deine Objektivitaet beeintraechtigt. Natuerlich kannst Du harte Strafen fordern oder mehr Geld fuer das Opfer, beides geschieht beispielsweise in den USA (lange Freiheits und teilweise sogar Todesstrafen sowie hohe Schadenersatzsummen). Die Verbrechen passieren aber trotzdem weiterhin.

Auch der von Dir formulierte Abschreckungsgedanke –wie auch der Gedanke der „Resozialisierung“ des Straftäters-- ist Bestandteil besagter „Großer Strafrechtsreform“. Mich aber interessiert nichts davon, weil ich im Strafrecht grundsätzlich andere Schwerpunkte, z.B. Opferfürsorge an allererster Stelle, gesetzt sehen möchte.

Wie soll die Opferfuersorge denn aussehen?

Hohe Schadenersatzsummen als Genugtuung? Wenn der Taeter kein grosses Vermoegen hat, kann er auch kaum etwas bezahlen. Dann muesste jemand anderes einspringen (Versicherung? Staat?)

Harte Strafen fuer den Taeter als Genugtuung fuer das Opfer und dessen Angehoerige? Die Genugtuung ist nur voruebergehend.

Umfassende medizinische und psychologische Versorgung? Die notwendigen medizinischen Massnahmen werden in der Regel ergriffen; bei bleibenden physischen Schaeden muss das Opfer damit leben lernen.
Bei der psychologischen Versorgung ist oftmals ungewiss, wieviel die wirklich nuetzt. Lange Therapien werden manchmal selbst zur Belastung und sogar zum Selbstzweck, da sich das ganze Leben des Opfers um das erlittene Leid dreht. Es ist dann gar nicht mehr in der Lage, sich davon zu loesen; wie eine Wunde, die immer wieder aufs neue aufgerissen wird und somit nie verheilen kann. Damit will ich nicht die ganze Psychologenzunft in Misskredit bringen, aber mir scheint, dass manchmal die Moeglichkeiten von Psychotherapien ueberschaetzt werden. Auch bei bleibenden seelischen Wunden muss das Opfer damit leben lernen. Psychologen und Psychiater koennen ihm allenfalls dabei helfen; die Hauptarbeit muss das Opfer aber selbst leisten. Alles andere ist Wunschdenken.
Die zahlreichen Selbsthilfegruppen sind ja auch Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit, wie Opfern geholfen werden kann und soll. Denn von den institutionalisierten und professionellen Helfern bekommt man offensichtlich nicht genuegend Hilfe, sonst entstuenden diese Gruppen ja gar nicht. Es gibt aber etliche Leute, die von einer Gruppe zur anderen pendeln und nirgends die erhoffte Hilfe erhalten.
Da stellt sich dann die Frage, ob ueberhaupt jemand in der Lage ist, deren Hilfsansprueche zu befriedigen.

Die Staaten Südamerikas sind Chaoten auf der ganzen Linie: demographisch, sozial, infrastrukturell und in jeder anderer Hinsicht auch. Es interessiert sich niemand für nichts. Auch die Gerechtigkeit, i.e. das Recht, wird daher oftmals in die eigene Hand genommen, weil der Staat sich nicht dafür interessiert.

Da ich die Zustaende in den suedamerikanischen Staaten kaum kenne, kann ich dazu keine Stellung nehmen. Aber offensichtlich haben sich die meisten der dort lebenden Menschen irgendwie damit arrangiert, ansonsten wuerden sie es aendern.

Auch unser Deutschland ist auf dem Wege einer peu-à-peu-Verwahrlosung, verschlingt aber immer mehr Gelder für milliardenschwere Sinnlosigkeiten, dunkle Kanäle und in flächendeckender Korruption. Der Unterschied von dort zu hier: der Staat dort kostet mich per Saldo nur einen Bruchteil dessen, was er mich hier kostet.

Ich habe den Eindruck, dass dem Staat vieles aufgebuerdet wird, das er gar nicht erfuellen kann. Manchmal erscheint mir die Einstellung, wie jene bei einem Kalten Buffet: Man bezahlt einen gewissen Betrag (Steuern) und erwartet dafuer, sich nehmen zu koennen, was und sowiel man will.
Wo Geldmengen hin- und hergeschoben werden, sind natuerlich auch gewisse Unregelmaessigkeiten wahrscheinlich, und wenn grosse Geldmittel umverteilt werden, wachsen entsprechend auch die zweckentfremdeten Betraege. Ganz zu schweigen davon, dass bei grossen Umverteilungsaktionen kaum mehr jemand einen Gesamtueberblick hat; Folge davon: enorme Betraege versickern in Doppelspurigkeiten oder dubiosen Kanaelen. Dem Buerger muss bewusst sein: Jede staatliche Unterstuetzung beinhaltet auch Missbrauchsmoeglichkeiten. Deshalb sollten immer auch alternative Finanzierungsmodelle oder Unterstuetzungsmoeglichkeiten in Betracht gezogen werden.

Ich bin auch beileibe kein Verfechter der Todesstrafe; ...

Ich bin ebenfalls kein Verfechter der Todesstrafe. Auch wenn sie mir bei bestimmten Faellen manchmal angemessen erscheint.

Gruss

Maesi


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