Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Antwort vom Verteidigungsministerium zum Thema Wehrpflicht

Jörg , Wednesday, 12.03.2003, 23:31 (vor 7736 Tagen) @ Stefan G.

Als Antwort auf: Antwort vom Verteidigungsministerium zum Thema Wehrpflicht von Stefan G. am 12. März 2003 19:57:33:

Hallo Stefan,

wegen der Veröffentlichung der Antwortmail habe ich keine Bedenken.

Ich habe mir einmal erlaubt, den Text der Antwortmail ein wenig optisch
aufzubereiten, so daß er etwas besser lesbar ist. Ich vermute, daß ihn
auch noch einige andere ganz interessant finden.

Gruß, Jörg

<hr>

"Die Bundesregierung sieht trotz des Urteils des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) vom 11. Januar 2000 in Sachen Tanja Kreil ./. Bundesrepublik
Deutschland (allgemeiner Zugang von Frauen zum Waffendienst in den Streit-
kräften) keine Veranlassung, sich für die Ausdehnung der allgemeinen
Wehrpflicht auf Frauen einzusetzen oder aus diesem Urteil Konsequenzen für
die allgemeine Wehrpflicht für Männer zu ziehen. Die Bundesregierung sieht
insbesondere keinen Grund, als Folge des Urteils in Überlegungen über eine
generelle Abschaffung der allgemeinen Wehrpflicht einzutreten. Vielmehr
kann rechtlich an einer allgemeinen Wehrpflicht nur für Männer fest-
gehalten werden.

Der in der Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs von der Bundes-
regierung angestrebte und inzwischen durch Änderung des Art. 12a Abs. 4
Satz 2 Grundgesetz (GG) und weiterer Gesetze ermöglichte gleichberechtigte
Zugang von Frauen zu den Streitkräften hat keine Auswirkungen auf das
Fortbestehen der allgemeinen Wehrpflicht (nur) für männliche Staatsbürger.

Die Beschränkung der allgemeinen Wehrpflicht auf Männer ist die zulässige
Folge einer gleichheitsrechtlichen Sondernorm der Verfassung (Art. 12a
Abs. 1 Grundgesetz), die insoweit eine mit Verfassungsrang ausgestattete
Ausnahme vom allgemeinen Gleichheitssatz konstituiert. Dies ist von der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt.

Letztlich wird durch die Wehrpflicht den Männern auch nicht ? was die
Gleichbehandlungsrichtlinie im Schwerpunkt verhindern will - die Wahl
eines bestimmten Berufs verweigert. Damit ist das von Ihnen erwähnte Gebot
der Freiheit der Berufswahl nach Art 12 Abs 2 GG nicht berührt. Es wird
lediglich zeitlich für die Dauer der Wehrdienstleistung die Berufsausübung
verzögert. Unter Verhaltnismäßigkeitserwägungen erscheint dies zumutbar,
weil auch Frauen ? durch frauenspezifische und auch gesellschaftspolitisch
bedingte Nachteile (Schlagworte sind z.B. geburtsbedingte Ausfallzeiten,
Kindererziehung, gesellschaftliche Unterrepräsentanz) ? Verzögerungen
ihres beruflichen Werdegangs hinnehmen müssen.

Das entscheidende Argument für die Beibehaltung einer allgemeinen Wehr-
pflicht nur für Männer und die gleichzeitige Öffnung zum Zugang zu allen
Truppengattungen der Streitkräfte für Frauen aufgrund freiwilliger Be-
werbung dürfte eine möglichst gleiche Belastung des männlichen und weib-
lichen Bevölkerungsteils durch Verzögerungen des beruflichen Werdeganges
sein. Dabei ist nicht entscheidend, dass z. B. auch Männer Erziehungs-
urlaub beantragen können. Entscheidend ist vielmehr, dass geburtsbedingte
Ausfallzeiten, gesellschaftliche Unterrepräsentanz in vielen Berufen sowie
die tatsächliche "Last" der Kindererziehung in der Lebenswirklichkeit
nach wie vor von Frauen getragen wird. Gleiche Belastungen für Männer sind
teilweise bereits aus biologischen Gründen, teilweise wegen der tatsäch-
lichen Lebensumstände nicht gegeben.

Die Verfassung lässt auch künftig eine sachlich gerechtfertigte Ungleich-
behandlung von Frauen und Männern im Hinblick auf die allgemeine Wehr-
pflicht zu; die gegebene Verfassungslage zwingt die Bundesregierung weder
zur Erweiterung der allgemeinen Wehrpflicht auf Frauen noch zur Abschaffung
der allgemeinen Wehrpflicht für Männern. Maßstab für den Umfang der all-
gemeinen Wehrpflicht ist insbesondere die Funktionsfähigkeit der Streit-
kräfte. In diesem vorgegebenen Verfassungsrahmen steht der Bundesregierung
nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein weiter Ermessens-
spielraum zu, innerhalb dessen sie entscheiden kann, ob den Sicherheits-
belangen der Bundesrepublik Deutschland besser durch eine Wehrpflicht-
oder eine Berufsarmee entsprochen werden kann. Männer können zu den in
Art. 12a Abs. 1 GG niedergelegten Dienstpflichten herangezogen werden,
soweit dies im Sinne des Gemeinwohls notwendig ist; Frauen wird eine eben-
solche Verpflichtung wegen der oben dargelegten Besonderheiten in der
gesellschaftlichen Wirklichkeit nicht auferlegt. Nicht Art. 3 GG, sondern
die gleichheitsrechtliche Sondernorm des Art. 12a Abs. 1 GG ist hier die
maßgebende Vorschrift."


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