Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Genderqueere Sprachkritik

susu, Saturday, 22.02.2003, 19:32 (vor 7737 Tagen) @ Arne Hoffmann

Als Antwort auf: Re: Genderqueere Sprachkritik von Arne Hoffmann am 21. Februar 2003 09:24:16:

Hallo Arne.
Ich wollte eigentlich schon gestern antworten, aber ein grippaler Infekt stieg mir in die Nebenhöhlen und beeinträchtigte mein Denkvermögen (heftigste Kopfschmerzen).

>Ja. Wobei ich mitlerweile davon ausgehe, daß es irgendeinen Zusammenhang zwischen Trans* und BDSM gibt. Zumindest wurde mir eins deiner Bücher bei Amazon deswegen empfohlen, weil ich bereits Bücher von Sandi Stone und R.A.Wilchins bestellt hatte ...<<

Eine letztgültige Antwort, woran das liegt, habe ich aus dem Stand auch nicht. Aber ich weiß natürlich, warum ich z. B. in mein SM-Lexikon auch die Begriffe "genderflux" und "Gender-Play" hineingenommen habe. Es ist Bestandteil vieler erotischer Unterwerfungsspiele, dass dabei durch Cross-Dressing etc. die Geschlechterrollen getauscht werden. Entsprechende Tipps und Erläuterungen findest du in zahlreichen US-amerikanischen SM-Ratgebern für Paare. Auch in deutschen SM-Erzählungen findest du Transgender-Elemente, beispielsweise in Rüdigers "Ins Röckchen gezwungen". Da geht BDSM und Transgender ja schon im Titel ineinander über.[/i]

Sehe ich nicht so. Gender-Play funktioniert in diesem Sinne im Transgender Kontext eher schlecht, wenn sowiso jedes zweite Beinbekleidungsstück in meinem Schrank ein Rock ist, und ich damit auch auf die Straße gehe, gibt es da wenig Möglichkeiten, das im SM-Sinn zu sexualisieren. Schon die Männerrock-Männer müßten, wenn sie SM betrieben ja eher ins Höschen gezwungen werden :)

Solche Dinge widersprechen allerdings den klassisch-hegemonialen Vorstellungen davon, wie Sexualität "sein sollte". Nicht umsonst werden sowohl Transgender als auch Sadomasochisten vom reaktionären Teil des Bürgertums als "Perverse" abgelehnt. In den USA hat sich daraufhin eine pansexuelle Bewegung gebildet, weil ihre Mitglieder es als sinnvoll ansehen, in einer starken, einigen Front gegen gesellschaftliche Diskriminierungen anzugehen, Klischees zu zerstören und Aufklärung zu betreiben. Aus demselben Grund findet man Transgender vermutlich sowohl in der Frauen- als auch in der Männerbewegung. Das hat dann wieder Einfluss auf die Buchveröffentlichungen: In meinem "Lexikon der Tabubrüche" gibt es nicht umsonst Einträge zu Transgender, Homosexualität und Sadomasochismus gleichermaßen (und zu noch ein paar Spielarten mehr). All das wird halt auch auf einer höheren philosophischen Ebene reflektiert: die ganzen Poststrukturalisten und ihre Nachfolger eben.

Ich kann mich daran erinnern, daß die Veranstalter des CSD in Hamburg letztes Jahr laut überlegt haben, ihren Begriff von Queer auch auf SM im heterosexuellen Kontext auszuweiten. Interessant auch, daß das LFT sich zeitgleich für Transfrauen und lebsche SMlerinnen geöffnet hat. Die Argumentation, mit dem sich bestimmte Strömungen des Feminismus gegen Trans* und BDSM einsetzen, sind außerdem fast identisch. Die Zeichenkette mit der die Queerbewegung sich selbst beschreibt, wird derweil immer länger (hast du eine Ahnung was das zweite Q, daß letztens oftmals drin ist bedeutet?)

Ein sehr hübsches US-amerikanisches Buch ist in diesem Zusammenhang das Benimmbuch (!) "The Bride Wore Black Leather ... and He Looked Fabulous! An Etiquette Guide for the Rest of Us" von Drew Campbell und Donna Barr, erschienen 2000 bei Greenery Press. Es widmet sich dem korrekten Umgang mit den Angehörigen der verschiedensten sexuellen Minderheiten und beantwortet Fragen wie "Wie schreibt man Einladungen an Dreierbeziehungen?", "Wie stellt man seinen Sexsklaven dem Chef vor?"; "Wie reagiert man höflich, wenn man für das falsche Geschlecht gehalten wird?", "Darf man andere Menschen direkt nach ihrer sexuellen Orientierung fragen?" und viele andere. Ich finde das ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass hier in den letzten Jahren immer mehr Grenzen verwischen und nach einer neuen Orientierung gesucht wird.

Das Buch merke ich mir mal direkt vor. Hört sich Klasse an.

>... außerdem die Retextualisierung von Handlungen als sexuell, die zwangsweise zu der Konstruktion von einer geschlechtslosen, d.h. nicht genitalbezogenen, Sexualität dazugehört mit den theoretischen Methoden aus dem BDSM Bereich durchführbar ist.<<

Hui, das ist ein heftiger Satz, aber beim dritten Lesen habe ich ihn verstanden. :-) Zustimmung. BDSM kommt halt z. B. ohne penetrativen Sex aus und ist trotzdem lustvoll. (Vgl. dazu Catherine Breillats "Romance".)[/i]

Genau.

Das finde ich schon mal sehr gut. Gegen den Dekonstruktions-Gedanken hätte ich übrigens auch bei der feministischen Sprachkritik nie etwas einzuwenden gehabt. Was mich nervt, sind verbindliche (politisch korrekte) Sprachvorschriften.

Zustimmung. Es geht bei P.C. zu oft um die Form anstelle des Inhalts.

Ja, wobei ... Wenn ich selber Transgender wäre, wäre ich vermutlich etwas unbefriedigt, wenn ich nur Fragen hätte und noch keinen Entwurf eines funktionierenden Modells. Aber so etwas zu erstellen wäre vermutlich enorm schwierig. Ich hätte auch keine Ahnung, wo man da ansetzen könnte.

Es gibt schon Antworten auf diese Fragen, nur lassen die sich nicht so leicht verbalisieren.

susu


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