Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Genderqueere Sprachkritik

Arne Hoffmann, Friday, 21.02.2003, 11:24 (vor 7738 Tagen) @ susu

Als Antwort auf: Re: Genderqueere Sprachkritik von susu am 20. Februar 2003 23:35:16:

Hi Susu,

Ja. Wobei ich mitlerweile davon ausgehe, daß es irgendeinen Zusammenhang zwischen Trans* und BDSM gibt. Zumindest wurde mir eins deiner Bücher bei Amazon deswegen empfohlen, weil ich bereits Bücher von Sandi Stone und R.A.Wilchins bestellt hatte ...

Eine letztgültige Antwort, woran das liegt, habe ich aus dem Stand auch nicht. Aber ich weiß natürlich, warum ich z. B. in mein SM-Lexikon auch die Begriffe "genderflux" und "Gender-Play" hineingenommen habe. Es ist Bestandteil vieler erotischer Unterwerfungsspiele, dass dabei durch Cross-Dressing etc. die Geschlechterrollen getauscht werden. Entsprechende Tipps und Erläuterungen findest du in zahlreichen US-amerikanischen SM-Ratgebern für Paare. Auch in deutschen SM-Erzählungen findest du Transgender-Elemente, beispielsweise in Rüdigers "Ins Röckchen gezwungen". Da geht BDSM und Transgender ja schon im Titel ineinander über.

Solche Dinge widersprechen allerdings den klassisch-hegemonialen Vorstellungen davon, wie Sexualität "sein sollte". Nicht umsonst werden sowohl Transgender als auch Sadomasochisten vom reaktionären Teil des Bürgertums als "Perverse" abgelehnt. In den USA hat sich daraufhin eine pansexuelle Bewegung gebildet, weil ihre Mitglieder es als sinnvoll ansehen, in einer starken, einigen Front gegen gesellschaftliche Diskriminierungen anzugehen, Klischees zu zerstören und Aufklärung zu betreiben. Aus demselben Grund findet man Transgender vermutlich sowohl in der Frauen- als auch in der Männerbewegung. Das hat dann wieder Einfluss auf die Buchveröffentlichungen: In meinem "Lexikon der Tabubrüche" gibt es nicht umsonst Einträge zu Transgender, Homosexualität und Sadomasochismus gleichermaßen (und zu noch ein paar Spielarten mehr). All das wird halt auch auf einer höheren philosophischen Ebene reflektiert: die ganzen Poststrukturalisten und ihre Nachfolger eben.

Ein sehr hübsches US-amerikanisches Buch ist in diesem Zusammenhang das Benimmbuch (!) "The Bride Wore Black Leather ... and He Looked Fabulous! An Etiquette Guide for the Rest of Us" von Drew Campbell und Donna Barr, erschienen 2000 bei Greenery Press. Es widmet sich dem korrekten Umgang mit den Angehörigen der verschiedensten sexuellen Minderheiten und beantwortet Fragen wie "Wie schreibt man Einladungen an Dreierbeziehungen?", "Wie stellt man seinen Sexsklaven dem Chef vor?"; "Wie reagiert man höflich, wenn man für das falsche Geschlecht gehalten wird?", "Darf man andere Menschen direkt nach ihrer sexuellen Orientierung fragen?" und viele andere. Ich finde das ein sehr deutliches Zeichen dafür, dass hier in den letzten Jahren immer mehr Grenzen verwischen und nach einer neuen Orientierung gesucht wird.

... außerdem die Retextualisierung von Handlungen als sexuell, die zwangsweise zu der Konstruktion von einer geschlechtslosen, d.h. nicht genitalbezogenen, Sexualität dazugehört mit den theoretischen Methoden aus dem BDSM Bereich durchführbar ist.

Hui, das ist ein heftiger Satz, aber beim dritten Lesen habe ich ihn verstanden. :-) Zustimmung. BDSM kommt halt z. B. ohne penetrativen Sex aus und ist trotzdem lustvoll. (Vgl. dazu Catherine Breillats "Romance".)

Es geht um Aufmerksamkeit, ganz klar. Es geht darum einen Denkprozess anzustoßen, der die Leute dazu bringt darüber nachzudenken was Geschlecht bedeutet und was es bedeuten kann.

Das finde ich schon mal sehr gut. Gegen den Dekonstruktions-Gedanken hätte ich übrigens auch bei der feministischen Sprachkritik nie etwas einzuwenden gehabt. Was mich nervt, sind verbindliche (politisch korrekte) Sprachvorschriften.

Wenn mich jemand fragt, ob ich schwul oder lesbisch sei, ist das ja mal eine interessante Frage, weil sie vorraussetzt, daß ich sowohl Mann als auch Frau sein könnte. Oder was wäre, wenn ich mit einem anderen genderqueeren Menschen eine Beziehung habe? Sind wir dann weder schwul, noch lesbisch, aber trotzdem homosexuell? Die Mehrzahl der Texte nach Butler stellt nur noch Fragen, anstatt Ergebnisse zu liefern. Ich finde das ist eine gute Methode zum Weiterdenken anzuregen. Sehr Neo-Sokratisch :)

Ja, wobei ... Wenn ich selber Transgender wäre, wäre ich vermutlich etwas unbefriedigt, wenn ich nur Fragen hätte und noch keinen Entwurf eines funktionierenden Modells. Aber so etwas zu erstellen wäre vermutlich enorm schwierig. Ich hätte auch keine Ahnung, wo man da ansetzen könnte.

Herzlicher Gruß

Arne


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