Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Eine beunruhigende Betrachtung dazu

Chato, Thursday, 22.01.2009, 04:16 (vor 5593 Tagen) @ Maesi

Guten Morgen Maesi!

Dieser Thread hat mittlerweile die Erdumlaufbahn verlassen und wir sind jetzt also sozusagen allein. Alles was wir hier jetzt noch schreiben, ist somit zwecklos. Ich möchte gerne beiläufig anmerken, daß mir persönlich Texte, die völlig zwecklos sind, die liebsten sind… :-)

Die Vaporisierung beginnt natuerlich schon lange vor der physischen
Vernichtung und sie muss keineswegs zwingend zu letzterer fuehren. Miniwahr
arbeitet ja ebenfalls daran, dass jeder Regimegegner vaporisiert wird,
indem diese aus saemtlichen Informationsquellen getilgt werden, die gesamte
Geschichte umgeschrieben wird. Ob Minilieb die medial vaporisierten
Dissidenten auch noch umbringt oder nur umdreht (wie Winston), ist aus
Sicht des Regimes sekundaer. Im metaphorischen Sinne wurde Winston bzw.
seine Persoenlichkeit vernichtet, er existiert nicht mehr als
eigenstaendiges Individuum sondern lediglich noch als dahinvegetierende
Koerperhuelle mit einem vom Regime eingepflanzten 'Geist'. Erinnerst Du
Dich an Dein Bildnis von den Zombies, welche andere Zombies in Rollstuehlen
herumkarren, welches Du dann als Filmrechte an Speven Steelberg verkauft
hast? Winston ist ein solcher Zombie geworden. Er glaubt, dass er noch lebt
und seinen grossen Bruder liebt; aber eigentlich ist er schon tot.

Klar erinnere ich mich. Allerdings hatte ich die Rechte an dich und nicht an Speven Steelberg verscherbelt. Wieviel hast du damals in Tollywood eigentlich damit rausgeschunden? Steelberg war ja ganz versessen darauf, daß der Film nicht gedreht wird. Wenn du da gut gepokert hast, dann sollte ein recht ordentliches Sümmchen zusammengekommen sein… :-)

Die Lust am Zombie-Dasein hat erschreckende Ausmaße angenommen, finde ich. EngSoz ist ja nicht eigentlich eine Vergewaltigung des Volkes durch einen bösen, äußeren Diktator, sondern die freiwillige Selbstorganisation des Volkes als Zombie-Gesellschaft. Deshalb sind wir beide bereits hier und jetzt erwiesene Volksfeinde, Maesi, wenn wir uns über den Großen Bruder lustig machen oder abschätzig von ihm reden. Das Gruselige ist nicht EngSoz, sondern gruselig sind wir, die wir EngSoz gruselig finden. Daß wir so empfinden, beweist es! Der Große Bruder ist nämlich keine fremdartige Monstergestalt, die von außen in die menschliche Gesellschaft eindringt, sondern tatsächlich der geliebte BRUDER von allen Bewohnern Ozeaniens, der ihren Volkswillen idealisiert verkörpert und zum Ausdruck bringt. Der Feind des Volkes ist Emanuel Goldstein. Man muß niemanden zwingen, ihn zu hassen, sondern das geschieht ganz von selbst und ist echt und aufrichtig. Schließlich war er früher einmal ein bedeutender Führer der Partei und hat sie dann verraten. So etwas wird vom Volk niemals verziehen. Deine Sicht auf den Roman ist schlicht verkehrt, Maesi: 1984 beschreibt den Weg der Menschheit in ihr Glück und sollte auch für uns beide Anlaß zu reinster Freude sein, nicht zu Bestürzung oder Abscheu.

Miniwahr ist propagandistisch allmaechtig und konstruiert eine
virtuelle Realitaet, die fuer den gehirngewaschenen Ozeanier die
'Wirklichkeit' darstellt. Solcherart kuenstlich geschaffene Realitaeten
kennen wir heute ja zur Genuege. Sie sind zwar noch nicht so perfekt
konstruiert wie in Orwells Roman, sodass man sie mit ein bisschen Grips
eigentlich durchschauen kann, aber viele Menschen glauben auch hierzulande
nur allzugerne an die schoene virtuelle Realitaet und verabscheuen die
nicht so schoene Wahrheit.

Ich habe da inzwischen so meine Zweifel, ob die künstlichen Realitäten noch mit "ein bißchen Grips" durchschaubar sind. Ich glaube, dafür braucht es mehr Herz als Grips. Man soll natürlich den Eindruck haben, der eigene Grips könne das, gewiß, aber das soll m.E. nur die Eitelkeit der notorischen Grantler killern, auf daß sie sich ihrem Schicksal überlegen fühlen und desto zufriedener einnicken. Sie tun's ja scharenweise. Die nicht so schöne Wahrheit besteht nämlich nicht allein (und gar nicht mal so sehr) darin, daß uns der Kollektivismus von außen bedroht, sondern darin, daß heute fast alle Menschen inbrünstige Kollektivisten sind, die ihr Schicksal nicht mehr in die Hände Gottes legen, sondern in die anderer Leute, und daß ihnen das derart selbstverständlich geworden, daß es ihnen überhaupt nicht mehr auffällt und sie es sich auch bereits gar nicht mehr anders vorstellen können. Wer lacht denn noch, wie es sich gehört, über die wunderliche Idee, das persönliche Glück hänge angeblich von der "politischen Macht" ab – die natürlich sowieso und aus Prinzip immer die Macht anderer Leute und niemals die eigene sein kann. Manndat ist eine Totgeburt von Beginn an, ein waschechter Bolschewismus für Leute, die gar nichts dagegen haben, daß andere sich ihretwegen beschweren. Man faßt es nicht! Wie kann man bloß so drauf sein? Ehrlich gesagt bin ich da inzwischen ziemlich trocken und kühl geworden und habe mich auf den Standpunkt gestellt, daß jeder das Recht hat, den Bolschewismus zu bekommen, für den er sich einsetzt. Die Sucht zum Zombie-Dasein ist für die meisten Leute mittlerweile unwiderstehlich geworden, Maesi.

In einem Deiner Postings hast Du auf Eva Herman hingewiesen. Die
Medienhetze gegen sie war ein hervorragender Indikator, wie weit wir schon
auf dem Weg zur virtuellen Realitaet eines bislang imaginaeren ozeanischen
Staates sind. Die groesseren Mainstreammedien haben die Hetze weitgehend
unterstuetzt, (pseudo-)kritische Toene waren dort hoechstens in der Form
von 'Eva Herman habe diese Hetze so nicht verdient, sie sei ja bloss ein
Dummchen, das von nichts eine Ahnung habe' zu vernehmen. Das aber ist eine
besonders perfide Form von Vaporisierung des Gegners, denn das
Laecherlichmachen gehoert ins Standardrepertoire jedes 'aufrechten'
Hetzpropagandisten in der Tradition Goebbels. Wirklich kritische
Auseinandersetzungen mit Frau Hermans Buechern gab es lediglich in
kleineren, meist einem urspruenglicheren Geist von Journalismus
verpflichteten Zeitungen und v.a. in den zahlreichen unabhaengigen Blogs.
Immerhin war die Flut von empoerten Verlautbarungen aus der Bevoelkerung
ueber das gnadenlose Fertigmachen von Frau Herman in den Mainstreammedien
derart gross, dass man zum ermutigenden Schluss kommt: der
Durchschnittsbuerger ist noch laengst nicht so gehirngewaschen wie die
Medienschaffenden in den Redaktionsstuben der grossen Zeitungen und
Fernsehsender. Da stehen Miniwahr und Minilieb also noch gewaltige
Arbeitspensen ins Haus, bis auch der groesste Teil der Bevoelkerung so
dummdreist und hasserfuellt auf einen erklaerten Klassenfeind reinpruegelt,
wie es die intellektuell-mediale 'Elite' bereits getan hat. Die
Anti-Herman-Hetze zeigte auch exemplarisch auf, dass die Intellektuellen
mindestens so anfaellig auf Propaganda sind wie der einfache Buerger von
der Strasse. Ich bin sogar der Meinung, dass letzterer weit eher bereit
ist, seine Meinung aufgrund von Fakten zu revidieren, als ersterer, der
lieber in seinem offensichtlich faschlen Ideologiegebaeude hocken bleibt
und Fakten ignoriert/leugnet, als zuzugeben, er habe sich mit seiner
Meinung geirrt.

Das sehe ich wie du, Maesi. Die wahre Pest sind die Intellektuellen, nicht die normal tickenden Leute. EngSoz wird am Ende zwar scheitern und Miniwahr und Minilieb fahren zur Hölle. Das ist absolut sicher. Aber an den Intellektuellen wird das dann garantiert nicht gelegen haben. Im Moment entfalten sie sich noch kräftig und dürfen jeden Scheiß aneinander ausprobieren. Warum? Damit sie für immer untergehen. Das können sie nämlich erst, nachdem sie ganz zu sich selbst gekommen sind.

Wie man das aushält? In Gottes Hand, da hält man das prima aus. Wer sich hingegen in den politischen Trubel hineinreißen läßt, hat beste Chancen, ein Zombie zu werden. Nie waren diese Chancen größer als heute. Und die meisten nehmen sie leider wahr.

Freundlicher Gruß
vom Nick

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Wenn wir Toren wüßten, daß wir welche sind, wären wir keine.


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