Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Fahrenheit 68

Maesi @, Saturday, 23.09.2006, 19:47 (vor 6476 Tagen) @ susu

Hallo susu

Du windest dich raus. Niemand hat hier behauptet, dass das Private

keine

Auswikungen hätte, die über das Private hinausgehen. Daraus schliesst

du

eben mal so, dass es damit dem Bereich der Politik zugeordnet werden
muss.

Genau davon reden wir doch die ganze Zeit, nämlich vom daraus

zwangsläufig

resultierenden Anspruch, sämtliche Bereiche des menschlichen Lebens
politisch zu gestalten.


Ich widerhole mich: Das ist keineswegs ein "zwangsläufig daraus
resultierender Anspruch". Der Satz "Das Private ist Politisch" stellt eine
Aussage über die Realität dar. Ein Anpruch, muß durch eine Ethische (!)
Aussage gerechtfertigt werden. Ein Ist-Satz ist kein Soll-Satz und aus
einer Aussage über die Realität kann keine Handlung begründet werden (das
wäre ein naturalistischer Fehlschluß).

Das Wort 'Politik' (bzw. dessen Adjektiv 'politisch') stammt aus dem Griechischen und leitet sich von 'polis' (Stadt) her. Politik beinhaltet alles, was von der Polisgemeinschaft geregelt wird; was nicht von der Polisgemeinschaft geregelt wird, ist demgegenueber privat. Der 'idiotes' war der Privatmann, der sich bloss um seine eigenen Angelegenheiten ('idios') aber eben nicht um die Belange der Polisgemeinschaft kuemmerte; das Wort hatte uebrigens schon in der Antike eine abwertende Bedeutung.

Dass das Private manchmal Auswirkungen auf die Polisgemeinschaft hat, ist eine Binsenweisheit. Trotzdem ist es nicht der Regelungskompetenz der Oeffentlichkeit unterworfen und deshalb nicht Bestandteil der Politik. Insbesondere die athenische Demokratie hatte teilweise erstaunlich moderne und liberale Vorstellungen, was die Polisgemeinschaft regeln darf und was nicht. Diese strikte Trennung zwischen dem Oeffentlichen und Privaten war bereits damals ein wichtiger Schutz des Individuums vor einem uebermaechtigen (modern ausgedrueckt 'totalitaeren') Staat. Wenn man das Adjektiv 'politisch' nun im Satz 'Das Private ist politisch' verwendet, drueckt man damit aus, dass das Private in die Regelungskompetenz der Polisgemeinschaft (d.h. der Oeffentlichkeit) faellt. Mag schon sein, dass die 68er das mehrheitlich nicht so meinten. Das Missverstaendnis liegt dann aber bei ihnen, weil sie sich schlichtweg fashcl ausdrueckten.

Fazit: Wenn man den Satz 'Das Private ist politisch' als (logische) Aussage ueber die Realitaet auffasst, dann kann man nur sagen, dass diese Aussage faschl ist. Politik und Privatsphaere schliessen sich als abstrakt definierte Idealzustaende gegenseitig aus. Wenn man Privates oeffentlich durchkaut, wird es deshalb noch lange nicht politisch, es handelt sich dann bloss um Klatsch und Tratsch; wenn Klatsch und Tratsch gelegentlich zur Grundlage der Politik werden, dann handelt es sich um (unerwuenschte) Abweichungen vom definierten Idealzustand. Wahr wuerde die Aussage erst dann, wenn man das Private systematisch an die Oeffentlichkeit zerrte und dem Staat eine Deutungs- und Regelungskompetenz darueber zugestuende. Das waere dann aber ein totalitaeres System, das die 68er ja nach eigener Darstellung gar nicht wollten.

Fuer die Geschichte nach den 68er-Unruhen sind diese uferlosen Auslegungsdiskussionen darueber, was die 68er denn nun gemeint haben mochten, jedoch voellig bedeutungslos. Die (Gleichstellungs-)Politik mischt sich laengst ins Privatleben ein; der Satz 'das Private ist politisch' wird also in der Realitaet laengst im Sinne der klassischen griechischen (und IMHO korrekten) Auslegung verstanden - nicht zuletzt auch von den Gruenen, die sich in ihrem ideologischen Selbstverstaendnis auf die 68er-Bewegung zurueckfuehren.

Irgendwo in diesem Fred hast Du behauptet, dass die meisten ideologischen Gegner der 68er deren Position nicht kapiert haetten. Du schriebst:

'Die 68er Bewegung war keine Massenbewegung, sondern eine vor alem studentisch geprägte. Klar, Parolen bleiben, Positionen kennt hinterher keine Sau mehr. Das ist aber auch - und vieleicht vor allem - eine Frage der Rezeption. Ein Flugblatt ist eben schneller verdaut als ein 100 seitiges Thesenpapier und wenn du dir Medienberichte ansiehst, dann belibt eben nur die Parole'.

Hier stellt sich unweigerlich die Frage, ob und inwieweit die 68er selber denn eigentlich die eigenen Positionen kannten; ob die Mehrheit von ihnen wirklich irgendein '100 seitiges Thesenpapier verdaut' hatte oder sich ihrerseits auch bloss auf die mundgerechten Parolen und Flugblaetter ihrer Wortfuehrer stuetzte. Wenn man sieht, wie sich die Politik seither weiterentwickelte, als je laenger je mehr Repraesentanten der einstigen studentischen 68er-Elite und ihre Epigonen in der Politik mitmischten und/oder als Waehler auftraten, muss man das wohl verneinen. Die grosse Masse der 68er-Aktivisten halte ich fuer tumbe Mitlaeufer; eben jenes geistige Mittelmass, welches hquer in seinem Ausgangsposting erwaehnte.


Gruss

Maesi


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