Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

PhilosophInnen waren auch mal besser

susu, Saturday, 11.11.2006, 18:56 (vor 6966 Tagen) @ Besserwisser

Ein Problem bei Butler ist, dass zwischen ihrer Theorie des
diskursvorgängig, geschlechtslosen Individuums und ihrer Wahrnehmung des
Ist-Zustandes der Individuen ein Spalt klafft, von dem ich nicht weiß, wie
sie ihn überbrücken möchte: Einerseits bricht sie mit
essentialistisich-feministischen Vorstellungen und sagt eben, die
Kategorie Frauen gebe es nicht, da es keine universellen Kriterien für
eine genaue Bestimmung gäbe. Das ist ihre poststruktualistische Seite. Auf
der anderen Seite ist sie feministin, die sich selbst - wenn auch in
anderer Form - den selben Zielen verpflichtet sieht, bzw. ihr
Gesellschaftsverständnis auf der selben Basis aufbaut wie ihre Vordenker
und -innen. Auch bei Butler (im von Dir zitierten Buch) liegt die Macht zu
Definieren in den Händen der Männer, den Frauen gemeinsam ist die
Erfahrung, in von Männern geschaffenen Diskursen gefangen zu sein.

Dem würde ich widersprechen. Du hast diesen Einwand vor einiger Zeit schon einmal vorgebracht und ich hatte geantwortet Butler unter diesem Aspekt nochmals zu lesen. Das habe ich getan. Ein Beispiel wäre
"Dennoch ist ein großer Teil feministischer Literatur davon ausgegangen, daß hinter der tat ein 'Täter' existiert." (S.49)

Darüber hinaus zeichnet sich Gender Trouble dadurch aus, daß er gerade den Diskurs analysiert, der innerhalb der Feministischen Theorie geführt wird und der eben die "Frau" als feministisches Subjekt hervorbringt. Die Diskurse in denen die "Frauen" nach Butler gefangen sind, werden von de Beauvoir, von Wittig und Iragaray geführt. Und letztenendes entspringt die Macht des Diskurses nicht den Tätern, auf deren nicht-existenz Butler hinweist, sondern den Taten, die die Teilhabenden Identitäten konstituieren.

Butler
hat ein erkenntnisinteresse, dass vielleicht deinen Vorstellungen
entspricht. Aber sie unterstellt dieses erkenntnisinteresse der
politischen Mission, und die geht nach wie vor von einem Patriarchat aus,
zwar weniger melodramatisch in seiner Macht und Wirkungsweise, mehr in
linguistischen Kategorien agierend, aber von der Sache her das selbe. Bei
aller Beachtenswürdigkeit ihrer Gedanken kommt auch sie über diesen Punkt
nicht hinaus, und legt - auch wenn sie gerade dies offiziell verneint -
damit wieder so etwas wie die Vorstellung einer universellen
Opfererfahrung der Frauen nahe.

Ich finde dazu bei Butler keine Stelle, mit der man das belegen könnte.

Auch Männer werden durch die
Repräsentationsdiskurse in ein Korsett gezwungen. Aber bei Butler sind sie
es selbst, die diese Diskurse schaffen, und deshalb würde ich behaupten,
sie zerstört nach einem guten Ansatz den starken Punkt ihrer eigenen
Theorie und hebt den klassischen Feminismus auf eine lediglich höhere
sprachlich und theoretischere Ebene.

Was mir dabei interessant erscheint ist die Rezeptionsgeschichte Butlers. Gender Trouble ist eben nicht als weiterführung des klassischen Feminismus gelesen worden, weder von dessen Vertreterinnen, noch von jenen für die gender trouble ein zentraler Text ist. Anders gesagt: Schwarzer kann mit Butler nichts anfangen, R.W.Cornell, Rikki Wilchins und David Gauntlett schon.

susu


gesamter Thread:

 

powered by my little forum