Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Jüngere Entscheidung des BVerfG dazu

Daddeldu, Tuesday, 11.03.2003, 23:54 (vor 7737 Tagen) @ Alex

Als Antwort auf: Re: EuGH weigert sich, Ungleichbehandlung von Männern anzuerkennen! von Alex am 11. März 2003 13:07:14:

Gibts denn schon Verfassungsbeschwerden aus jüngerer Zeit dazu? Und wenn ja, wie wurde eine Ablehnung begründet?

Verfassungsbeschwerden gab es nicht, aber das AG Düsseldorf hat die Frage dem BVerfG vorgelegt, weil es die Wehrpflicht aus verschiedenen Gründen, auch wegen Art 3 Abs. 2 GG, für verfassungswidrig hielt.

Das BverfG drückte sich letztlich um eine substantielle Entscheidung, weil (oder indem) es die Vorlage nicht für zulässig hielt. Das AG hätte genauer darlegen müssen, warum es die Wehrpflicht für verfassungswidrig hält, bevor sich das BVerfG zu einer Entscheidung bequemt. Dies entspricht aber der ständigen Praxis.

Hier die relevanten Auszüge aus der Entscheidung:

2 BvL 2/02 vom 27.3.2002

Die Vorlage betrifft die Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht (§ 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 WPflG) ...

§ 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1 WPflG und § 15 WStG verstießen gegen Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, weil Männer und Frauen im Hinblick auf die Wehrpflicht ungleich behandelt würden. Die Auffassung, dass Art. 12a Abs. 4 GG unter gleichheitsrechtlichen Aspekten eine verfassungsunmittelbare Sonderregelung darstelle, teile das Gericht nicht. Das Grundrecht der Gleichbehandlung von Männern und Frauen weise einen Gesetzesvorbehalt nicht auf. Die Ungleichbehandlung sei auch nicht durch Art. 12a GG als kollidierendes Verfassungsrecht gerechtfertigt. Maßgebend sei, ob im Hinblick auf den Zweck der Regelung ein rechtfertigender Grund für die Ungleichbehandlung vorliege. Das sei nicht der Fall. Bürger der Bundesrepublik Deutschland, deren Verteidigung die Wehrpflicht dienen solle, seien sowohl Frauen als auch Männer. Es seien auch keine Gründe erkennbar, die eine Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer wegen der unterschiedlichen Natur von Mann und Frau erforderlich machten. Das hergebrachte Rollenverständnis, wonach Frauen prinzipiell wehrdienstunfähig seien, habe sich grundlegend gewandelt. Schließlich könne auch der Umstand, dass deutsche Frauen im statistischen Durchschnitt 1,3 Kinder gebären und die dementsprechende Ausfallzeit den Wehrdienst übersteige, die Beschränkung der Wehrpflicht auf Männer nicht rechtfertigen. Denn die Wehrpflicht sei nicht zu dem Zweck des Ausgleichs von Benachteiligungen eingeführt worden. Die Vorschrift des Art. 12a GG sei mithin als verfassungswidriges Verfassungsrecht einzustufen, da sie gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG, das auch für Männer gelte, verstoße.

...

Die Vorlage ist unzulässig.

...

Die Vorlage genügt auch nicht den Anforderungen, die an die Begründung zu stellen sind, wenn eine Norm erneut zur Überprüfung vorgelegt wird, deren Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz das Bundesverfassungsgericht bereits in einer früheren Entscheidung bejaht hat. In einem solchen Fall ist eine erneute Vorlage nur zulässig, wenn tatsächliche oder rechtliche Veränderungen eingetreten sind, die die Grundlage der früheren Entscheidung berühren und deren Überprüfung nahe legen (vgl. BVerfGE 33, 199 <203 f.>; 39, 169 <181>; 65, 178 <181>; 78, 38 <48>; 87, 341 <346>; 94, 315 <323>). An die Begründung einer erneuten Vorlage sind gesteigerte Anforderungen zu stellen. Das vorlegende Gericht muss von der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ausgehen und darlegen, inwiefern sich die für die verfassungsrechtliche Beurteilung maßgebliche Lage verändert haben soll (vgl. BVerfGE 87, 341 <346> m.w.N.).

1. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass die Beschränkung der Wehrpflicht auf männliche Bürger keinen Verfassungsverstoß darstellt (vgl. BVerfGE 12, 45 <52 f.>; 48, 127 <161, 165>). Zur Begründung hat es ausgeführt, dass Art. 73 Nr. 1 GG und Art. 12 Abs. 3 GG gleichen verfassungsrechtlichen Rang mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG hätten (vgl. BVerfGE 12, 45 <52>). Die Literatur ist ihm hierin praktisch einmütig gefolgt (K. Ipsen/J. Ipsen, in: Dolzer/Vogel, Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 12a Rn 32 - Zweitbearbeitung 1976; Heun, in: Dreier, Grundgesetz, Band I, 1996, Art. 12a Rn 36; Gornig, in: von Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Band 1, 4. Auflage 1999, Art. 12a, Rn 24 f.; Kokott, in: Sachs, Grundgesetz, 2. Auflage 1999, Art. 12a Rn 4; Gubelt, in: von Münch/Kunig, Grundgesetz, Band 1, 5. Auflage 2000, Art. 12a Rn 26; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Grundgesetz, 5. Auflage 2000, Art. 12a Rn 3; Scholz, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Band II, Art. 12a Rn 195 - Stand März 2001; a.A. Ekardt, Wehrpflicht nur für Männer - vereinbar mit der Geschlechteregalität aus Art. 79 Abs. 3 GG?, DVBl 2001, S. 1171).

Das Amtsgericht hat diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und den Meinungsstand in der Literatur nicht zur Kenntnis genommen. Es hat lediglich ausgeführt, dass die Änderung des Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl I S. 1755) und die Zulassung von Frauen zum freiwilligen Dienst mit der Waffe eine neuerliche Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht erfordere. Es hätte jedoch darlegen müssen, inwiefern diese Änderungen die Grundlage der früheren Entscheidungen berührt haben sollten.

Das Grundgesetz eröffnet dem einfachen Gesetzgeber - früher in Art. 73 Nr. 1 in der Fassung des Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 26. März 1954 (BGBl I S. 45), jetzt in Art. 12a Abs. 1 in der Fassung des 17. Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968 (BGBl I S. 709) - nur die Befugnis, Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an der allgemeinen Wehrpflicht zu unterwerfen. Auch nach der Neufassung des Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG dürfen Frauen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden. Art. 12a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 GG haben unverändert gleichen verfassungsrechtlichen Rang mit Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Das Amtsgericht setzt sich, indem es Art. 12a GG zu einer verfassungswidrigen Verfassungsnorm erklärt, weil sie gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG verstoße, über diese Ranggleichheit hinweg.

Limbach Jentsch Di Fabio

Seite des BVerfG


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