Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Wer solche Nachbarn hat, braucht keine Feinde mehr!

Rainer ⌂, Friday, 15.01.2010, 15:57 (vor 5233 Tagen) @ DschinDschin

Ich sehe den Willen zur Versöhnung weder bei Polen noch bei Tschechen. Die
Art und Weise, wie sie mit den Vertriebenen umgehen ist schäbig!

Ich habe dazu noch einen Text gefunden. Etwas länger, aber lesenswert, wie ich finde.

DAS LETZTE TABU
von David Gress

Die Vertreibung aus dem östlichen Deutschland und Osteuropa in den Jahren 1944 - 50 ist die größte Ausradierung von Menschen und des 20. Jahrhunderts letztes großes geschichtliches Tabu. Daher ist es unbedingt nötig, dass Europa sich dieser grossen Tragödie stellt. Es ist jetzt bitter notwendiger denn je - schreibt der dänische Historiker David Gress. Die Fakten in seinem Artikel basieren unter anderem auf Forschungen, die der Jurist und Menschenrechtsexperte Heinz Nawratil präsentiert hat - in seinem "Schwarzbuch der Vertreibung 1945 - 48" (München, UNIVERSITAS - Neuausgabe 2000)

David Gress , Professor für Geschichte und alte Sprachen an der Aarhus-Universität in Dänemark, schreibt:
"Die Vertreibung der Deutschen in dem Zeitraum von 1944 bis 50, ist die gewaltvolle Grundlage für unsere gegenwärtige Europakarte und ein großes, schweigsames Gespenst hinter der Deutsch-Osteuropäischen Realsituation in der Gegenwart. Eine vorurteilsfreie Debatte hat bisher total gefehlt - in Jahrzehnten.

Diese Auseinandersetzung ist dringend notwendig, jetzt - wo die EU-Osterweiterung mit der Aufnahme von Ländern, wie Tschechien und Polen, bevorsteht, - mit Ländern also, die vor einem halben Jahrhundert dafür sorgten, dass grosse Teile der deutschen Bevölkerung in diesen Gebieten ausgerottet wurden, als diese Länder unter die Macht von Tyrannen kamen. Es wird Zeit, dafür zu sorgen, dass da der Schleier gelüftet wird.

Zwischen 1944 und 50 wurden 20 Millionen, hauptsächlich Kinder, Frauen und alte Greise, von ihren Heimen vertrieben - mitten in Europa. Circa 3 Millionen kamen ums Leben - während der Flucht und deren Folgen. Die meisten Überlebenden trugen für immer physischen und psychischen Schaden davon.

Warum ist die Vertreibung kein Thema in unserer Zeit? - in einer Zeit, die sich der Durchsetzung der Menschenrechte, der Verdammung von Kriegsverbrechen rühmt? Warum also? - Weil die Opfer der Vertreibung 1945 bis 50 Deutsche waren und deshalb "selber schuld" sind. Dieses "selber schuld" gilt nur, wenn man über die Kollektivschuld für die Verbrechen der Nazis spricht. Die meisten Opfer der Vertreibung 45 - 50 waren aber weder Soldaten, noch Nazifunktionäre. Der Ausdruck "Kollektivschuld" ist Nazi-Gedankengut, wonach alle Mitglieder eines Volkes zur Rechenschaft gezogen werden können. Dies ist aber keine gesunde Grundlage für die Geschichtsschreibung oder die politische Analyse, - und eine gerechte Geschichtsschreibung und Analyse ist notwendig, im Verhältnis zu diesem furchtbaren und gewaltigen Stoff.

Sehr viel Grundlegendes dazu liegt bereit in grossen, ungeöffneten, ungesehenen Archiven, - aber im Gegensatz zu der sorgfältigen Aufarbeitung der Naziverbrechen, gibt es fast keine wissenschaftliche Behandlung dieses umfangreichen Materials.

Im Oktober 1944 besetzten Sowjettruppen deutsches Territorium in Ostpreussen vor der Provinzhauptstadt Königsberg, deutsche Truppen eroberten das Gebiet im November 44 wieder und entdeckten dadurch, dass alle nicht geflohenen Bewohner in Nemmersdorf und Umgebung auf bestialische Weise von den Sowjets abgeschlachtet worden waren. Es waren Frauen, Kinder und alte Männer. Von diesen wurden nur ganz wenige durch Genickschüsse ermordet, kleinen Babies hatten die entmentschten Horden einfach die Schädel eingeschlagen, mit harten Gegenständen. Das berichtete Karl Potok, er war der Leiter einer Patroullie des Volkssturms, die Nemmersdorf und die umliegenden Ortschaften, nach der Rückeroberung als Erste betraten. An Türen und Toren hingen nackte Leichen von Frauen, die gekreuzigt worden waren, darunter auch kleine Mädchen und eine alte Frau von 84 Jahren. Alle waren von den Russen vergewaltigt worden.
Die Greueltaten versetzten die Bevölkerung in Panik, und danach begann die Flucht aus den östlichen deutschen Provinzen. Aber der Nazichef in Königsberg, Erich Koch, wollte nicht erkennen, dass der Krieg verloren war, und er verweigerte daher der Bevölkerung die Flucht, denn damit würde die Kampfmoral geschädigt. Auf diese Art und Weise trug das Regime selbst dazu bei, dass die Tragödie für die deutsche Bevölkerung noch grösser wurde.

Der Winter 45 war sehr hart , bei 18 bis 25 Grad minus schleppten sich grosse Kolonnen von Menschen über die Landwege von Ostpreussen, Pommern und Schlesien. Viele Kinder und alte Menschen kamen hier ums Leben, und die Flüchtlingskolonnen waren ein beliebtes Ziel für die sowjetischen Tiefflieger.

Gottseidank froren die Niedrigwasser der grossen Haffs vor Königsberg, Memel und Danzig zu. Nachdem die Sowjettruppen im Februar 45 die Landwege gesperrt hatten, kamen nun viele Flüchtlinge in Sicherheit, durch die grossen Landarme, die die Haffs von der Ostsee trennen. Von hier aus, konnten sie, wenn sie Glück hatten, vielleicht ein Schiff bekommen - von Pillau und Hela nach den Häfen im Westen, auch nach Kopenhagen.

Insgesamt gelang es den deutschen Handelsschiffen, Passagierschiffen und Kriegsschiffen etwa 2.4 Millionen Deutsche in Sicherheit zu bringen, - sowohl Flüchtlinge, als auch verwundete Soldaten. Dies war in der Weltgeschichte die größte gelungene Evakuierungsaktion.

Der russische Autor Alexander Solzenyschin war bei der Invasion Ostpreussens dabei. Er schrieb später den Gedicht-Zyklus "Preussische Nächte" über seine grauenhaften Erlebnisse:
"Jungfrauen wurden zu Frauen.
Die Frauen wurden bald zu Leichen.
Mit blutigen Augen baten sie:
-bitte Soldat, bitte töte mich..."

Wegen seiner kritischen Äusserungen wurde Solzenyschin inhaftiert und verbrachte 8 Jahre im stalinistischen Gulag. Er geisselte die grausame Behandlung der deutschen Zivilisten beim Vormarsch der Sowjettruppen.

Am schlimmsten waren die Zustände im russisch besetzten Nordtteil von Ostpreussen. In der Heimatstadt des Friedens-Philosophen Immanuel Kant, Königsberg, hielten sich bei der Kapitulation im April 45 noch etwa 100 000 Einwohner auf, von diesen verstarben in den Wochen danach - an Hunger und Krankheit - noch 75 000, der Rest wurde in die deutsche Ostzone, die spätere DDR, deportiert. Noch im Jahre 47 hatten die Deutschen im russisch besetzten Osten kein Recht auf Nahrung, - es wurden ihnen aber auf dem Luisenmarkt in Königsberg Königsberger Klopse angeboten, - nur... diese waren aus Menschenfleisch hergestellt.

Der amerikanische Diplomat und Historiker George F. Kennan, der von 1945 bis 47 in Moskau stationiert war, flog im Sommer 45 über das verlassene, verödete, total menschenleere Ostpreussen. "Der Katastrophe, die dieses Gebiet durch den Einmarsch der Sowjettruppen erleiden musste, ist keine andere in der neueren europäischen Geschichte vergleichbar", schrieb er. "Ich sah ein total ruiniertes und verlassenes Land, ohne ein einziges Lebenszeichen - vom einen Ende bis zum anderen. Die Russen fegten einfach die deutsche Bevölkerung weg - auf eine Art und Weise, die man nicht gesehen hat, seit den Tagen der Asiatischen Horden."

Fast genauso komplett war die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, aus Polen, Ungarn und Jugoslawien. Von einst 20 Millionen deutschstämmigen Einwohnern blieben nur ein paar Tausend zurück. 700 Jahre Kultur und Identität wurden einfach ausgelöscht. Die mittelalterliche Universitäten von Königsberg und Breslau gab es nicht mehr, deutsche Kirchen im Sudetenland dienten als Schiessscheiben für tschechische Panzer.

Von den Vertriebenen lebten vor dem Kriege 10,5 Millionen innerhalb der deutschen Grenzen, 6 Millionen lebten in Polen, in der freien Stadt Danzig, in Ungarn, in Jugoslawien. Die größte Einzelgruppe bewohnte das Sudetenland in den gegen Deutschland und Oesterreich grenzenden Gebieten Böhmen und Mähren. Ein Teil der Oesterreichisch-Ungarischen Doppelmonarchie kam im Frieden nach dem ersten Weltkrieg 1919 unter die Oberhoheit des neuen Staates Tschechoslowakei. Die deutsche Bevölkerung wünschte, aber bekam nicht, das Recht unter deutsche Souveränität zu kommen. Dies führte zu Spannungen, die wiederum dann ein Hitler ausnutzte und 1938 England und Frankreich veranlasste, die Tschechen zu zwingen, das Sudetenland abzugeben.

Nach dem Krieg wurden die 3.5 Millionen Sudetendeutschen einfach ausgetrieben und 270 000 von ihnen bestialisch ermordet. Das geschah im Laufe eines Jahres nach dem Mai 45. Die Vertreibung ging in drei Wellen vor sich. Die erste Welle bestand aus jenen, die in den letzten Kriegsmonaten mit den retirierenden deutschen Truppen flüchteten. Die zweite Welle waren die, die versucht hatten, zu bleiben, oder auch einige, die versucht hatten, in ihre Heimat zurückzukehren. Dies galt für die meisten Einwohner jener deutschen Landesteile, die Polen sich angeeignet hatte.
Josef Stalin verlangte, dass Polen nach Westen verschoben würde. Er wollte keine Diskussion über jene 35 % polnischen Gebietes, die Stalin im Zusammenwirken mit Hitler 1939 bekommen hatte. Um also jede Erörterung über dieses heikle Thema zu verhindern, brachte Stalin auf der Potsdamer Konferenz im Juli 45 England und Amerika dazu, die polnische Westgrenze um 100 Kilometer westlich zu verschieben. Dadurch bekamen die Polakken gepflegten deutschen Ackerboden, als Ersatz für das polnische Brachland, das Russland in 1939 annektiert hatte. Die polnischen Kommunisten des "neuen Polen" waren total sowjethörig und wagten nie ein Wort der Kritik an dem Raubzug Stalins gegen das östliche Polen.

Die zweite Welle der Vertreibung war noch elender, als die erste. Polnische und tschechische Funktionäre kommandierten die Deutschen raus aus ihren Häusern, pferchten sie in Güterwägen und expedierten die, die sie nicht vorher ermordet hatten, in das besetzte Restdeutschland. Verpflegung unterwegs gab es nicht. Güterzüge, vollgestopft mit ausgehungerten Menschen, dazwischen viele Leichen, rollten täglich in die Ruinen der ausgebombten Bahnhöfe. Wie immer, verstarben die Alten und die Kinder zuerst. Die, welche in den verlassenen Gebieten noch zurückgeblieben waren, wurden von den Tschechen und Polen eingesperrt. In diesen Ländern gab es nach dem Mai 45 etwa 3 000 Konzentrationslager, welche die deutschen Gefangenen aufnahmen. Die Sterblichkeit in diesen Lagern war sehr gross. Etwa 75 000 sind hier umgekommen. Die Todesursachen waren Hunger, Flecktypus und Folter.

Die dritte Welle der Vertreibung fand in der Periode von 1946 bis 1950 statt. Sie umfasste Personen, welche die Behörden in Polen, in der Tschechoslowakei, in Jugoslawien noch hatten brauchen können. Aber nun waren ihre Dienste nicht länger erwünscht. Einige Historiker entschuldigen die Vertreibung mit der Begründung, dass sie notwendig war, um den Frieden zu sichern. Die Deutschen waren ja, nach der Ansicht dieser Wissenschaftler, so kriegerisch und mussten deshalb "umgesiedelt" werden - über die Grenzen, die die Siegermächte 1945 gezogen hatten. Die Deutschen hatten sowieso kein Recht, sich zu beklagen, sie waren ja besiegt und hatten selber so viel Elend gemacht, heisst es.

Zu der strategischen Begründung kam also noch eine pseudo-moralische. Die Vertreibung war demnach eine "berechtigte Rache" für Agression und für Holocaust. Martin Broszat, der deutsche Geschichts-Nestor schrieb 1986,- "die ideologisch-rassistische Grundlage für die nationalsozialistische Eroberungspolitik, führte dazu, dass die Augen der Umwelt trocken blieben, im Angesicht der ("selbstverschuldeten") Liquidierung der deutschen Kultur im Osten".

Ja - trockener kann man es wohl nicht formulieren: Massenvergewaltigungen, Massenmorde, ethnische Säuberungen kann man kaum kamouflieren, entschuldigen oder legitimieren. Aber die wohlfeilen Racheargumente plaziert man einfach im Schatten der "Kollektivschuld" des ganzen deutschen Volkes, indem man sagt, die Deutschen hatten den Krieg ja angefangen, hatten anderen Tod und Leid zugefügt und hatten damit eine grausame Rache über sich selbst gelegt.Die Vertreibung aber traf meistens nicht die wirklich Schuldigen sondern die Nicht-Nazis, einfache Menschen, die nur etwas gemeinsam hatten: Sie waren Deutsche.

Die Vertreibung wurde auch im Eigentlichen nicht ausgeführt als "Rache" für die Untaten der Nazis, - sie baute vielmehr auf Plänen auf, die angelegt worden waren, weit, bevor Hitler Sowjetrussland angriff, weit vor dem Holocaust. Schon in der Zwischenkriegszeit sprach die polnische Regierung offen über die beabsichtigte Eroberung von Pommern und Schlesien, - die nachträgliche Vertreibung war also keine Reaktion auf die nationalsozialistische Herausforderung, - nein, sie entsprach eher Vorstellungen, die ein weit älteres Datum hatten.

Während des Krieges schrieb der Historiker Andreas Hillgruber, dass der russische Autor Solzenyschin gemeldet hatte, dass jeder Sowjetsoldat nach drei Wochen auf deutschem Boden wusste, dass er die Erlaubnis hatte, alle deutschen Frauen und Mädchen zu vergewaltigen und sie danach zu erschiessen. Das alles galt damals noch als "gute" kriegerische Handlung. Solzenyschins Offizierskollege Lev Kopelev, landete später ebenfalls im Gulag, weil er sich den Deutschen gegenüber zu human verhalten hatte. Er redete über archaische Instinkte, wie sie sich in dieser Aufhetzung zur massenhaften Vergewaltigung und Ermordung ausdrückten.

Für die Tschechen ist es aber ebenfalls schwer, sich zu rechtfertigen und zu behaupten, dass Mord, Vergewaltigung und grausame Tortur nur eine berechtigte "Rache" seien. Im Kriege bekamen die Tschechen ja von den Deutschen eine viel bessere Behandlung, als jedes andere besetzte Land - mit Ausnahme von Dänemark. Trotzdem waren es dann im Mai 45 zuerst die Tschechen, die eine totale Austreibung der Deutschen verlangten, und sie bekamen nachträglich dafür auch noch die Erlaubnis der Alliierten.

Schon im Jahre 1938 hatte der tschechische Präsident Benesch es als Ziel erklärt, das Sudetenland von den Deutschen zu säubern. Das war seine vorgezogene Vergeltung dafür, dass die Sudetendeutschen unter deutscher Souveränität sein wollten, und dass dies auch so gekommen war. Im Jahr 1943 sprach Benesch über die radikale Endlösung seines "deutschen Problems". In 1945 verlangte er dann sogar die hundertprozentige Liquidierung der Deutschen.

Im Gegensatz zur Tschechoslowakei hatte Polen sehr viel unter deutschen Besatzung gelitten. Dies gilt vor allem für die 2.5 Millionen polnischer Juden, die ermordet wurden. Aber es waren dann nicht die Juden, sondern sogenannte gute Christen, die die Ermordung und Vertreibung der Deutschen nach 45 ausübten. Die polnischen Kommunisten versuchten die Todeszahlen der nichtjüdischen Polaken richtig hochzuschrauben, damit sie einen besseren Grund für die Ermordung und Vertreibung der Deutschen hatten. Man findet in Polen oft Todeszahlen der nicht jüdischen Polaken, die angeblich so hoch wie die der Juden sind. Das stimmt nicht, es ist nur Lüge und Propaganda. Die wirkliche Zahl der von den Nazis getöteten Polaken beträgt 570 000. Das sind weniger Tote, als bei der sowjetischen Besetzung Ostpolens im Jahre 1939 entstanden. Hier dreht es sich um 750 000, aber nur sehr wenige Polen haben sich getraut, das den Russen vorzuwerfen.

Die polnischen Behörden begründeten die barbarische Behandlung der Deutschen mit der Behauptung eine berechtigte Rache nehmen zu müssen, in Wirklichkeit brauchten sie die, von den Deutschen "befreiten", und geraubten deutschen Gebiete als Kompensation für die, an die Russen verlorenen, Ländereien im Osten. Der dort in Ostpolen betroffene polnische Bevölkerungsanteil betrug aber nur 1.5 Millionen - gegenüber 10 Millionen Deutschen, die deshalb vertrieben werden mussten. Hinzu kommt, dass 1 Million Deutsche, die innerhalb der deutschen Vorkriegsgrenzen lebten, ebenfalls vertrieben wurden. Ebenso hat Polen damals 500 000 Ukrainer deportiert. Das neue Polen hatte so viel geraubtes Land aber kaum nötig und konnte es auch nicht bewirtschaften.

Der Hauptverantwortliche für all das war Stalin. Für ihn bedeutete die Vertreibung von 20 Millionen Deutschen einen doppelten Sieg - sie sicherte ihm die Macht über die Tschechen und die Polen und ausserdem hoffte er, dass die überlebenden Vertriebenen einen destabilisierendes Element im Nachkriegsdeutschland sein würden. Die Not dieser Menschen würde den Wiederaufbau verzögern und das dadurch wachsende politische Verlangen nach Wiedergutmachung würde Stalins Macht über Zentraleuropa befestigen.

Aber da wurde er bitter enttäuscht - 1950 beschlossen die Repräsentanten der Ost-Vertriebenen eine "Charta der Heimatvertriebenen". Sie verzichteten im Namen des Friedens auf jede Rache für ihre Toten und alle Leiden. Sie verzichteten aber nicht auf ihr Anrecht einer Wiedergutmachung. Sie erkannten, das etwas Derartiges im friedlichen Rahmen geschehen musste und im Einverständnis mit jenen, die ihre Häuser jetzt bewohnten.

Im Jahr 1950 waren die Spuren der Vergewaltigungen, des Hungers, der Misshandlungen noch frisch. Es gibt nicht viele Exempel in der Geschichte dafür, dass eine ganze Bevölkerungsgruppe, die unmenschliche Leiden erdulden musste, die ihre Häuser, ihre Heime, ihr ganzes Eigentum, ihre Heimat verloren hatte, so ethisch gehandelt hätte. Die meisten Überlebenden waren Frauen und Kinder. Sie verzichteten auf Rache, baten um Gespräche, und waren noch dazu imstande, Verständnis aufzubringen, für ihre Peiniger, die Mörder ihrer Verwandten.

Natürlich war diese Charta der einzig richtige Weg, Revanche war ja ausgeschlossen, West-Deutschland hatte weder den Willen, noch die Mittel, die geraubten Gebiete zurückzuerobern. Rachelust hätte nur der kommunistischen Propaganda recht gegeben. Man braucht aber nur dieses Verhalten zu vergleichen mit dem anderer Gruppen, die von einer ethnischen Säuberung betroffen wurden - etwa mit dem der Serben, der Kroaten, der Albaner, der Kurden. Da kann man sehen, dass diese Charta ein hohes Niveau der Humanität repräsentiert, von Respekt für einen Frieden, der auf Übergriffen gebaut wurde.

Die Vertreibung als solche fehlt total im deutschen Geschichtsbewusstsein und in der öffentlichen Kultur. Das ist ein grosser schwarzer Fleck in der Erinnerung und in der Forschung.Hier liegt ein gewaltiges und in Archiven wohl dokumentiertes, aber eben total unbeleuchtetes, Thema sozusagen auf der Strasse. Ein Thema voller menschlicher Tragödien, von Gemeinheit aller Art, von Drama, Tod und Lebenswille.

Es ist sehr wichtig, dass diese Vergangenheit nicht einfach weiter unter den Teppich gekehrt wird, als etwas das 3 Millionen Frauen und Kindern und alten Menschen den Tod, 20 Millionen den Verlust ihres Heimes, ihrer Heimat gebracht hat. Ihre Identität wurde einfach weggewaschen , - mit dem kalten und zynischen Hinweis, sie wären ja selber an ihrem Elend schuld und verdienten es deshalb nicht besser und würden auch deshalb das Interesse der Historiker nicht bekommen.

Sollte man wirklich meinen, dass die grösste ethnische Vertreibung irgendwie berechtigt wäre, so kann es einen doch wundern, dass die Historiker nicht in einer Schlange anstehen, um das gewaltige Material in den Archiven auszunutzen. Es ist eine einzigartige Sammlung von Dokumenten über ein besonders düsteres Kapitel in der düsteren Geschichte des 20. Jahrhunderts. Das ragt weit hinein in unsere Tage.

Es warten viele spannende Bücher darauf geschrieben zu werden, - nicht nur über Ursachen, Verantwortung und Verlauf der Tragödie, sondern auch über die vertriebenen Bevölkerungsgruppen, über deren Zusammensetzung und Kultur und ihre Integration in das restdeutsche Gemeinwesen. Das ruft nach Dichtern, nach Filmleuten.

Die Vertreibung ist eine einzige grosse menschliche Katastrophe. Aber: Es gibt sie nicht, sie wird nicht erinnert, nicht beschrieben - in Romanen, in Filmen, im TV. Ausser den Dokumenten in den Archiven, ausser dem Buch des Amerikaners Alfred de Zayas, gibt es nur einen unprätentiösen Film "Nacht fiel über Gotenhafen" von 1958, der die Flucht über die Ostsee an Bord des Passagierschiffes WILHELM GUSTLOFF beschreibt. Dieses grosse Kreuzfahrtschiff wurde von einem russischen U-Boot torpediert, bei 18 Grad Kälte im Januar 1945. Es gingen dabei in den Tod sehr viel mehr Menschen, als mit der "Titanic" versanken. Für diesen gewaltigen Untergang gibt es aber im Unterschied zum Titanic-Desaster keinen Primo Levi, keinen Steven Spielberg, keinen Claude Lanzmann. Dabei ist die Vertreibungsgeschichte doch voll von derartigen unbekannten und unbeschriebenen Stoffen.

Das öffentliche deutsche Schweigen über die grösste, dieses Land betroffen habende, Katastrophe seit dem dreissigjährigen Krieg, ähnelt einer hilflosen Verlegenheit. Man darf in Deutschland nur ja keinen Kummer oder gar Wut zeigen über das Unrecht der Vertreibung von 20 Millionen, denn ein derartiges "Fehl"-Verhalten kann dann so ausgelegt werden, als wolle man das Böse relativieren, das Böse, das einzelne Nazis etwa mit dem Holocaust begingen.

De Zayas spricht von übertriebener Selbstkritik, viele Deutsche hätten ihren Sinn für die Wirklichkeit verloren, ihr Verständnis für die eigene Geschichte - und, noch viel schlimmer, viele Deutsche litten wahrscheinlich unter dem Wahn, die grössten Verbrecher aller Zeiten zu sein, und daher wollten sie gleichzeitig die Bussfertigsten sein.
Bei den deutschen Linken hiess es mal, "wir sind antideutsch oder wir sind nichts", - aber nicht nur der deutsche linke Flügel pflegt die Kollektivschuldthese, - West-Deutschlands früherer Präsident Richard von Weizzäcker, der ein christlicher Demokrat ist, sagte in seiner Rede zum 40. Jahrestag des Endes des zweiten Weltkriegs, dass die Ursachen von Flucht und Vertreibung und Unfreiheit nicht am Ende des Krieges, sondern an seinem Anfang lägen und bei dem Gewaltregime, das diesen Krieg angefangen hätte.

Hier wälzt man wieder die Verantwortung ab - auf Hitler und sein Regime, damit verschwinden dann auf zauberhafte Weise die Verbrechen der Gegenseite und wandeln sich in eine berechtigte "Rache"...
Eine Deutsch-Tschechische Historiker-Kommision behauptete 1996, dass es nur 30 000 umgekommene Sudetendeutsche gegeben habe. Diese Wahnvorstellung muss wirklich behaglich gewesen sein - für die tschechischen Vertreter der Kommission. Die präziseste Arbeit um die richtigen Todeszahlen und die Identität der Opfer herauszubringen, machte der Kirchliche Suchdienst in München. Das findet man alles in dessen Archiv. Hier gibt es Namen von 240 000 umgekommenen Sudetendeutschen.

Im Jahre 1997 beschloss der deutsche Bundestag eine Deutsch-Tschechische Versöhnungserklärung. In ihr wurde gesagt, jede Seite respektiere die andere Seite, obwohl jede eine andere Auffassung von Recht habe. Diese schöne Formulierung versteckt einen sehr wichtigen Punkt: Die Tschechische Regierung machte 1946 ein Gesetz mit rückwirkender Gültigkeit, danach blieben alle Fälle von Gewalt gegen die zu vertreibenden Deutschen, alle Fälle von Misshandlung, Vergewaltigung und Mord straffrei, auch der Raub der Häuser - allen Eigentums. Deutschland hat nun erklärt, dass man keine Fragen mehr stellen wird über die tschechischen Dekrete. Damit legitimiert man die ethnische Säuberung der Sudetendeutschen. Nicht einmal sudetendeutsche Juden können das Eigentum ihrer Väter bekommen. Sie sind sogar rechtlich geringer gestellt, als die Juden in Westdeutschland oder der früheren DDR, die ihr Eigentum in Hitlerdeutschland verloren hatten.

Das gegenseitige neurotische Schweigen ist sehr gefährlich, gerade jetzt, wo Polen und Tschechien - diese grössten Vertreiberstaaten - in die EU wollen, in eine Gemeinschaft, in welcher Deutschland die Hauptmacht ist. Und diese schuldbelasteten Staaten wollen für Menschenrechte einstehen...

Die UN-Hochkommissarin für die Menschenrechte Ayala Lasso sagte im Jahr 1995, dass, wenn die Staaten mehr über die Vertreibung der Deutschen nachgedacht hätten, viele Katastrophen und Verheerungen, die heute noch - etwa in Jugoslawien, in Palästina - geschehen, nicht diesen Umfang angenommen hätten.

Wenn nun die Vertreibung sauber und wissenschaftlich, aber nicht leidenschaftslos behandelt wird, kann diese menschengemachte Katastrophe vielleicht eine Lehre sein für die Zukunft. Vielleicht lernen die Völker daraus, dass es keinen nationalen Unterschied geben darf, und dass Menschenrechte die gleichen für alle Menschen sind, und dass die Schmerzen der vergewaltigten Frauen nicht weniger wert sind, weil diese Frauen zu einer besiegten Nation gehören."

Übersetzung aus dem Dänischen: Anna Duus

Rainer

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Kazet heißt nach GULAG jetzt Guantánamo


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