Bolz: Religion und Identität
Lieber Max!
Ich verstehe sehr gut, was du sagen willst, und der Impuls ist ja auch aus sich heraus nicht total verkehrt. Er funktioniert bloß nicht, und kann nicht funktionieren.
Neben dem, was Religion ist, schafft sie auch eine kulturelle Tradition.
Sie ist zwar kein Nutzgegenstand, ihr Nutzen ist aber dennoch unstrittig.
Der ist sozusagen der "Beifang".
Wenn man in diesem Bilde bleibt, dann ist natürlich wahr, daß es ohne den Hauptfang auch keinen Beifang geben kann. Und: So nützlich der eine wie der andere auch sein mag - wenn er sich nicht im Netz befindet, dann schwimmt er irgendwo im Meer herum und der Fischer und seine Frau sterben Hungers. Das stimmt schon, aber dieses Wissen füllt nunmal kein Netz mit Fischen.
Den Glauben kann man den Leuten nicht einfach einpflanzen. Aber man kann
auch beim Ungläubigen ein Bewußtsein dafür wecken, daß speziell unsere
christliche Tradition ursächlich ist für viele Normen und Verhaltensweisen, die
letztlich dazu geführt haben, daß die abendländische Kultur führend wurde in
Wissenschaft, Technik und Entwicklung. Und nicht nur da! Die universellen
Menschenrechte fußen doch letzlich auf christlichen Überzeugungen!? Selbst der
Atheist ist doch für die Menschenrechte? Er kann doch erkennen, wo die herkommen?
Wenn er noch halbwegs frei ist in seinem Denken, dann kann er das durchaus erkennen, stimmt schon. Aber das macht ihn ja nicht zum Christen, sondern vielmehr glaubt er dann meist erst recht, er könne das alles viel besser selber hervorbringen und sicherstellen. Um das zu beweisen, hat man doch eigens die Guillotine erfunden und was sie und ihre Konsequenzen in gut 200 Jahren so alles angerichtet haben, ist allgemein bekannt. Aber auch das nutzt eben nichts.
Es ist ein fataler Irrtum anzunehmen, der Mensch sei aus sich heraus vernünftig und wahrheitsliebend und käme deshalb auch ganz von allein auf das Gute, das die logische Voraussetzung allen Glückes ist. Das Gegenteil ist zutreffend, und die Christen werden ja nicht zuletzt gerade deswegen so wütend abgelehnt, weil sie das immer so deutlich hervorheben und damit die grundsätzliche Erlösungsbedürftigkeit des Menschen begründen. Das will halt keiner hören, der selber Gott zu sein meint - so wenig, wie er hören will, was er damit alles anrichtet… und sich selbst dadurch als eigenes Schicksal bereitet…
Es ist die menschliche Torheit. Torheit bzw. Dummheit sind keine Frage der Intelligenz und des IQ, sondern sie sind eine Stumpfheit des Herzens. Es ist ja nicht etwa so, daß man wahr und unwahr nicht unterscheiden könnte, sondern man will sie nicht unterscheiden, auch und gerade gegen besseres Wissen nicht. DAS ist das Wesen der Dummheit. Ihr (negativer) "Inhalt" ist Gottlosigkeit, so wie der "Inhalt" des Erstickungstodes der Luftmangel ist. Jemanden, der felsenfest davon überzeugt ist, daß das einzige, was ihm noch zu seinem Glücke fehlt, eine Plastiktüte ist, die er sich über den Kopf zieht und unten zubindet, den wirst du mit keinem noch so vernünftigen Argument davon abhalten. Er wird es tun und er wird es erfolgreich tun. Er ist ja schließlich intelligent.
Der Gogolin sagt zum Beispiel, tolerant, wie er bekanntermaßen ist, völlig ungerührt: "Die öffentliche Religionsausübung sollte unter Strafe gestellt werden", und der Robert schreibt ihm ein paar Stunden später ebenso ungerührt: "Wirst wohl wieder ein paar intolerante Antworten ernten (und ich mit) ;-)". Die schnallen doch überhaupt nichts, Max, und das ist jetzt nur ein ganz beiläufiges, tagesaktuelles Beispiel, denn eine Ausnahme sind die beiden damit ja keineswegs. Schau, die wissen doch nicht mal, wer sie eigentlich sind, was sie überhaupt sagen und was es bedeutet. Die halten sich für extrem tolerante Leute und wähnen sich von lauter Intoleranz umgeben und verfolgt. Daß das womöglich bloß ihre Wahnvorstellung sein könnte, das liegt erkennbar weit, weit im Bereich ihrer persönlichen Denkunmöglichkeiten. Das sind Gesinnungsepileptiker. Wie willst du solche Leute von was auch immer überzeugen? Das ist so zwecklos, wie wenn du in eine Irrenanstalt gingest, um die dortigen Insassen mit vernünftigen Argumenten von den Vorteilen zu überzeugen, die geistige und seelische Gesundheit für die bedeuten, die sich ihrer erfreuen. Wer sowas versuchte, der lieferte wohl eher Gründe für die Vermutung, er sei da womöglich wirklich am rechten Orte, wenn auch freilich aus gänzlich anderen Gründen, als er selber glaubt… 
Also muß der Atheist doch ebenfalls erkennen können, daß Christsein und
alles, was kulturell daraus folgte, ohne den Glauben nicht gegangen wäre,
da das Christentum selbst ohne den Glauben keines geworden wäre. Er muß
doch selbst nicht glauben, um anzuerkennen, daß es Gläubige gewesen sind,
die das kulturelle Fundament geschaffen haben, auf dem er selbst steht?Natürlich ist das Christentum kein willentlich geschaffener "Nutzgegenstand".
Aber es nützt!
Gewiß. Aber es ging nicht nur früher nicht ohne den Glauben, sondern es geht auch heute nicht ohne ihn. Es nutzt einfach nichts, das zu erkennen und gleichwohl zu glauben, man selbst müsse nicht glauben. Das ist der große Irrtum, der sich vor allem bei den Protestanten breitgemacht hat und sie nun von innen her zerrüttet, der aber auch bei uns Katholiken kräftig marodiert und die Macht beansprucht. Ob er damit durchkommt? Ich glaube letztlich nicht, denn es gibt einfach zu Viele, die ganz genau verstehen, was daran so grundverkehrt ist. Ob das freilich für diese gottlose Gesellschaft noch Konsequenzen haben wird, das glaube ich leider auch eher nicht. Warum? Weil der Mensch frei ist. Was er erwählt, wird ihm zuteil.
Wie dem sei: Wer den "Beifang" will, muß bei sich selbst für den Hauptfang sorgen. Nur bei sich selbst kann er das tun, bei keinem anderen sonst, und nur mit diesem Hauptfang wäre dann auch wieder der Beifang möglich. Und wenn es keinen Beifang mehr gibt? Nun, dann gibt es immer noch den Hauptfang, gell? Der ist viel wichtiger, nicht als Mittel zum Zweck, sondern als Zweck.
My two cents.
Nick
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- Nietzsche: Religion und Regierung -
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Max,
06.11.2009, 20:09
- OT: Wieviel "Religion" verträgt das Land?
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WTsr,
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- OT: Könnte mehr vertragen - Schlechtmensch, 06.11.2009, 20:33
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- OT: Wieviel "Religion" verträgt das Land? - Chato, 06.11.2009, 22:13
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