Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Widerspruch !

Garfield, Monday, 18.02.2008, 19:51 (vor 6516 Tagen) @ Maesi

Hallo Maesi!

Was du zum Markt schreibst, ist ja alles im Prinzip richtig. Allerdings steht dazu in jedem seriösen VWL-Lehrbuch üblicherweise die Bemerkung, daß all das nur auf einem idealen Markt gilt. Und auf einem idealen Markt gibt es nicht nur mehrere Nachfrager, sondern immer auch mehrere Anbieter, die tatsächlich in Konkurrenz zueinander stehen.

Die Globalisierung wird aber vor allem durch Großkonzerne betrieben und läuft in eine ganz andere Richtung, weg vom freien Markt und hin zu Oligopolen. Und wo die die Macht haben, da geht es in mancher Hinsicht exakt genauso zu wie in der DDR mit den großen VEBs und Kombinaten. Da wird nicht mehr produziert, was der Kunde will, sondern das, was den Großkonzernen den höchsten Gewinn einbringt. Kleinere Konkurrenten hält man mit allen Mitteln - notfalls auch mit staatlicher Unterstützung - vom Markt weg, und den Kunden redet man über Werbung ein, was sie zu wollen haben.

Aber nicht nur Großkonzernen hebeln den freien Markt gern mal aus. Vor einigen Jahren stellte sich in den Niederlanden heraus, daß dort alle Baufirmen das Land untereinander in Bereiche aufgeteilt hatten. Sie verpflichteten sich, jeweils nur im eigenen Bereich tätig zu sein. Nun gab es natürlich das Problem, daß man potenziellen Kunden nicht verbieten konnte, Anfragen an Firmen in anderen Bereichen zu verschicken, zumal die Kunden von diesen Bereichen ja natürlich auch gar nichts wußten. Dieses Problem löste man, indem man Kunden aus anderen Bereichen grundsätzlich Kostenvoranschläge mit weit überhöhten Preisen machte. Wenn der Kunde trotzdem den Auftrag vergab, dann zog man ihn halt ordentlich über den Tisch. Üblicherweise landete der Auftrag aber auf diese Weise genau da, wo er landen sollte: Bei der Baufirma, die für genau diesen Bereich "zuständig" war. Die war nämlich die einzige, die die Anfrage mit einem zwar immer noch überhöhtem, aber doch nicht mit einem extremen Wucherpreis beantwortete.

Zum Mindestlohn: Der wird zwar von linken Kreisen immer gern zur Sprache gebracht, aber diese linken Kreise haben ihn bisher nicht durchdrücken können. Die Deutsche Post AG hat das aber für Briefzusteller ohne Weiteres geschafft. Gibt dir das nicht zu denken? Oder glaubst du, linke 68er haben jetzt auch schon die Führungsebenen der Deutschen Post AG unterwandert? :)

Und zum Wohlfahrtsstaat: Das ist eben nicht für alle Firmen ein Nullsummenspiel. Wenn du 1 Million Menschen eine bestimmte Geldsumme im Monat entziehst, und diese Menschen schon vorher kein Geld mehr übrig behielten, dann müssen sie nun zwangsläufig sparen. Wenn nun jeder von ihnen z.B. im Monat u.a. einen Liter Milch weniger kauft, dann werden plötzlich jeden Monat 1.000.000 Liter Milch weniger verkauft.

Selbst wenn die Superreichen, denen das Geld nun zusätzlich zufließt, tatsächlich nun pro Monat einen Liter Milch mehr kaufen würden - was sie selbstverständlich nicht tun werden, weil sie ja vorher schon nicht an Lebensmitteln sparen mußten - dann werden die 1.000.000 Liter trotzdem nicht verkauft. Es gibt nämlich nur sehr wenige Superreiche, und die können keine 1.000.000 Liter Milch zusätzlich verkonsumieren. Der Einkommensverlust trifft also schon einmal die Milchproduzenten und viele, die Milch verkaufen. Analog läuft das mit anderen Produkten des täglichen Bedarfs.

Sicher - manche Firmen profitieren auch davon. Z.B. werden Porsche oder Ferrari nun ein paar Autos mehr verkaufen. Auch diverse Banken - z.B. in Liechtenstein - werden sich freuen, weil die Superreichen nun noch mehr bei ihnen anlegen können.

Die Firmen, die Güter für den täglichen Bedarf produzieren oder verkaufen, haben so aber Umsatzeinbußen, die zumindest nicht 100%ig ausgeglichen werden. Deshalb gibt es eben sehr wohl einflußreiche Firmen, die den Wohlfahrtsstaat wollen. Und das ist einer der wesentlichen Gründe für den deutschen Wohlfahrtsstaat. Sicher nicht der einzige Grund, da stimme ich dir zu - aber es ist ein Grund.

Vielleicht solltest du meine Beiträge mal komplett lesen - ich habe beispielsweise nicht geschrieben, daß jede Hausfrau in den 1950er Jahren 10-20 Paar Schuhe hatte, aber du scheinst der Meinung zu sein, daß ich das geschrieben habe.

Mehrkonsum durch Scheidungen:

Der kann durchaus gegeben sein. Du vergißt, daß es in den 1970er Jahren ja noch nicht so schlimm aussah wie heute. Damals mögen die Einkommen zwar zahlenmäßig noch geringer gewesen sein, aber real standen doch viele Familien besser da, allein schon, weil die Erwerbslosenzahl noch nicht so hoch war wie heute. Damals hatten wohl auch noch mehr Durchschnittsfamilien gar nicht so geringe Ersparnisse. Das freute zwar die Banken, nicht aber Händler und Produzenten. Durch Scheidungen stieg nun aber die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Geld bei Händlern und Produzenten landete.

Und selbst wenn der Mehrkonsum heute wirklich oft nur durch Sozialleistungen möglich ist: Das stört doch Händler und Produzenten nicht. Ihnen ist es erst einmal egal, woher das Geld ursprünglich kam. Hauptsache, sie kriegen es jetzt. Denn die Wirtschaft zahlt keine Steuern - sie gibt sie immer weiter. Über Preise an die Kunden und über niedrige Löhne an die Beschäftigten.

Wir leben in einem Land, wo letztendlich jeder jemanden mit einem dicken Geldkoffer zu irgendeinem einflußreichen Politiker schicken und so über die Poltik mitbestimmen kann. Man muß nur genug Geld haben. Das nennt sich Lobbyismus und ist mittlerweile ganz offiziell etabliert. Wenn nun Kochherdhersteller der Meinung sind, daß sie durch ungerechte Scheidungsgesetze bessere Gewinne machen könnten, dann müssen sie nur Geld sammeln - und schon wird ihr Anliegen zumindest Gehör finden. Wenn man die geforderte Maßnahme beim Wähler nicht so einfach durchdrücken kann, dann muß eben mehr Geld "gespendet" werden, und es ist dann auch ganz gut, über die Medien die Masse der Bevölkerung zu berieseln. Wenn irgendwelche anderen Firmen der Meinung sind, daß das für sie nach hinten losgehen könnte, dann müssen sie halt auch ihre Lobbyisten losschicken. Wer den meisten Einfluß - also üblicherweise, wer das meiste Geld - hat, der wird sich am Ende durchsetzen. So läuft das.

Aber 1977, als das Scheidungsrecht geändert wurde, war ja noch gar nicht zu erwarten, daß das nun soviel Elend erzeugen würde. So läuft das eben immer: Man sieht nur bis zu seiner Nasenspitze, man fordert das, was den sofortigen Gewinn einbringt, und wenn die Sache später nach hinten losgeht, dann guckt man dumm. Dann sind natürlich immer andere schuld - z.B. die bösen 68er -, und man sieht zu, daß man nun irgendwie auch noch dran verdienen kann.

Womit ich aber nicht ausdrücken will, daß ich das als einzigen Grund für die Änderung des Scheidungsrechts sehe. Natürlich wollte sich auch noch der Staat Sozialkosten sparen, und natürlich waren auch Anwälte schon ganz scharf auf die so zu erwartenden guten Einnahmen. Obwohl sie vorher wahrscheinlich auch nicht wenig verdient haben, wenn z.B. geklärt werden mußte, wer Schuld an der Scheidung hat. Aber durch die Reform waren mehr Scheidungen zu erwarten, und so werden sich sicher auch die Anwälte dafür eingesetzt haben.

Es ist eben oft so, daß ganz verschiedene Gruppen mit unterschiedlichen Interessen dahinter stecken. Es ist aber sehr selten so, daß irgendeine Organisation ohne viel Geld einfach so daherkommen und der Gesellschaft Gesetzesänderungen oder gar neue Regeln aufdiktieren kann.

Dann hast du noch geschrieben, daß kein Unternehmer von jemandem verlangen könne, für etwas zu zahlen, was er nicht bestellt hat. Auch das geht durchaus, natürlich nur mit staatlicher Unterstützung. Schornsteinfeger realisieren so einen guten Teil ihres Einkommens. Auch Heizungshersteller und -monteure verdienen so gut, und ich könnte dir da noch eine ganze Reihe weiterer Firmen aufzählen, die allesamt für Leistungen gut kassieren, die die Kunden nie gebraucht und nie gewollt haben. Die sie aber trotzdem durch staatlichen Druck in Anspruch nehmen mußten. Glaubst du ernsthaft, daß das nur Zufälle sind?

Krippen- und Kindergartenplätze nützen auch wieder der Wirtschaft. Die ist ja daran interessiert, daß auch Eltern, vor allem auch Frauen - berufstätig sind, und zwar idealerweise auf Vollzeit. Deshalb übernehmen manche Firmen auch die Kosten für Kindergärten, oder zahlen zumindest etwas dazu. Vereinzelt soll es sogar noch Betriebskindergärten geben. Das kostet natürlich Geld, und das kann man sich prima sparen, wenn es aus dem Steuertopf kommt! Auch wieder nur Zufall?

Zur Frauenerwerbstäigkeit:

Auch in den 1960er und 1970er Jahren arbeiteten viele Frauen schon im Büro- oder Verkaufsbereich. Dort konnte man nicht so einfach ausländische Gastarbeiter einsetzen. Wie hätte das denn funktionieren sollen? Ein Türke ohne Deutsch-Kenntnisse an der Kasse??? Ein Italiener ohne genaue Kenntnis der deutschen Sprache und ganz ohne Kenntnis der deutschen Gesetze in der Buchhaltung???

Außerdem hatte man ja zeitweise echt Probleme damit, genug Arbeitskräfte zu bekommen. VW beispielsweise hatte Anfang der 1960er Jahre tatsächlich Personalprobleme, als die DDR die Grenze ganz dicht machte und von dort keine gut qualifizierten Leute mehr kamen.

Deshalb waren deutsche Frauen als Arbeitskräfte in manchen Bereichen durchaus sehr interessant. Ganz besonders dort, wo man sie ohnehin ausbildete und beschäftigte - und sie dann nach ihrer Hochzeit immer wieder verabschieden mußte.

Heute sieht das anders aus. Heute zielt man vor allem auf Akademikerinnen ab. Da hat man nämlich teilweise immer noch Probleme damit, Stellen billig zu besetzen.

Jetzt wäre der Feminismus kaum noch nötig. Die Erwerbslosigkeit zwingt ohnehin immer mehr Frauen ins Berufsleben. Aber man hat den Feminismus jahrzehtenlang hoch gepäppelt und wird ihn jetzt nicht so einfach wieder los. Die Feministinnen haben sich jetzt überall festgesetzt. Jetzt muß man mit ihm leben und sehen, ob man nicht doch noch irgendwie dran verdienen kann.

Und dann schreibst du:

Wer jedoch seinen gesamten sozialen und kulturellen Horizont auf das materialistisch-marktwirtschaftliche beschraenkt, der hat keinen solchen inneren Willen mehr. Fuer den gibt es ausserhalb des materiellen Konsums nichts mehr und ich stelle die provokante Behauptung auf, dass es um so jemanden auch nicht schade ist, wenn er vollstaendig in einem gleichgeschalteten (Konsum-)Mainstream aufgeht. Leider ist gerade diese ausschliessliche Hinwendung zum materiellen Konsum in unseren europaeischen Kulturen ein Massenphaenomen.

Und da glaubst du auch wieder, daß das nur reiner Zufall ist? Daß ganz zufällig exakt diese Einstellung für diverse Firmen sehr verkaufsfördernd ist?

Freundliche Grüße
von Garfield


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