Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Zitat-Belege

Garfield, Tuesday, 28.08.2007, 16:59 (vor 6096 Tagen) @ Chato

Hallo Nick!

Lädst du dem armen Marx da nicht doch zuviel des Schlechten auf?

Der Feminismus hat viel stärkere und ältere Wurzeln als die Theorien von Marx. Du hast doch bestimmt "Das bevorzugte Geschlecht" von Martin van Creveld gelesen, oder? Dort wird gut gezeigt, daß sich Frauenbevorzugung wie ein lila Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht. Und man bevorzugt eine bestimmte Gruppe von Menschen vor allem dann, wenn man diese Gruppe für benachteiligt hält.

Den Linken - und natürlich auch Marx - wird ja auch häufig vorgeworfen, alles "gleich machen" zu wollen und auch damit die Grundlage für den Feminismus geschaffen zu haben.

Tatsächlich sind solche Gedanken auch in Bezug auf den Unterschied zwischen Mann und Frau aber ebenfalls sehr viel älter. Sie sind sogar deutlich älter als die "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit"-Thesen des 18./19. Jahrhunderts.

Schon Platon befaßte sich in seinem Werk "Politeia" mit dem Unterschied zwischen Mann und Frau. Ihm ging es um einen gerechten Staat, und er war der Meinung, daß jeder Bürger dieses Staates zum Wohl der Gemeinschaft beitragen solle, sich also nicht von öffentlichen Aufgaben fernhalten dürfe. Jeder Bürger kann aber seinen Beitrag nur im Rahmen seiner Möglichkeiten leisten. Das wiederum brachte Platon zu der Frage, ob Frauen das Recht hätten, sich dem Dienst für den Staat zu verweigern. Dies stufte er nur dann als legitim ein, wenn sie von Natur aus keine Möglichkeiten hätten, diesen Beitrag für das Wohl der Gemeinschaft zu leisten. So dachte er also darüber nach, ob Frauen dies genauso wie Männern möglich ist oder nicht. Er kam zu der Antwort, daß es zwar gewisse qualitative Unterschiede - z.B. in der Körperkraft - zwischen Männern und Frauen gibt, daß grundsätzlich aber beide Geschlechter dieselben Aufgaben erfüllen können. Davon ausgehend kam Platon zu der Meinung, daß ein Rückzug von Frauen in das private Umfeld ungerecht ist und daß sie in einem gerechten Staat genau wie Männer ihren Beitrag zum Wohle der Gemeinschaft leisten müßten.

Und nicht nur das: Platon entwarf ein Modell eines öffentlichen Dienstes, in dem beide Geschlechter gleichermaßen tätig sein sollten. Diese öffentlichen Bediensteten sollten kein Privateigentum haben, sondern in einer Art großer Familie (man könnte es auch Kommune nennen) leben, während die Kinder kollektiv erzogen werden. Macht das Platon nun in deinem Augen zum Ur-Kommunisten?

Aber genau wie für Marx war für Platon die Geschlechterfrage keineswegs das hauptsächliche Thema. Ihm ging es um eine gerechte Gesellschaft, und da kam er eben nicht umhin, sich auch Gedanken über die Frauen zu machen. Platon war sich im Gegensatz zu vielen seiner Nachfolger sogar völlig im Klaren darüber, daß die Frauen keineswegs erfreut über ihre "Befreiung" sein würden. In seinem Werk "Nomoi" schrieb er, daß diese "Befreiung" der Frauen von der Hausarbeit ihrem Bedürfnis nach Freiheit und Luxus widerspricht, und er schrieb dort weiterhin: "Denn es gibt nichts, wozu dieses Geschlecht sich widerstrebender bequemen würde; ist es doch gewohnt, im Verborgenen und im Dunklen zu leben; wenn man es aber mit Gewalt ans Licht zerrt, wird es daher allen möglichen Widerstand leisten." Er forderte daher letztendlich sogar strenge Gesetze, um die Frauen in solch einem gerechten Staat zum Dienst an der Allgemeinheit und die Männer zur Akzeptanz dieses weiblichen Dienstes zu zwingen.

Diese Lehren von Platon wurden später von den Lehren Aristoteles' verdrängt, erlebten ab dem 15. Jahrhundert aber eine Renaissance, als Konstantinopel fiel und Mönche, die Anhänger von Platons Ideen waren, von dort nach Italien flüchteten und ihre Thesen dort verbreiteten.

Von diversen Humanisten wurden diese Thesen dann aufgegriffen, z.B. von Erasmus von Rotterdam oder Thomas Morus.

Thomas Hobbes ging dann im 17. Jahrhundert ebenfalls davon aus, daß Männer und Frauen prinzipiell gleich sind. Interessant sind seine Ausführungen über uneheliche Kinder: Er schreibt, daß ein unheliches Kind sich "zuerst in der Gewalt der Mutter befindet, so daß sie es entweder aufziehen oder aussetzen kann". Weiterhin geht er davon aus, daß eine Mutter ihr Kind "unter der Bedingung aufzieht, daß es, wenn es erwachsen, nicht ihr Feind werde, d.h. unter der Bedingung, daß es ihr gehorche". Im Falle einer Ehe sieht er allerdings den Vater als Familienoberhaupt. John Locke ging nach ihm weiter und sprach sich dafür aus, Vater und Mutter grundsätzlich gleiche Rechte und Pflichten in Bezug auf die Kinder zu geben.

Rousseau sah dann das Eigentum schon als Feind der natürlichen Freiheit. Interessant ist hier, daß Rousseau (wie auch schon Locke vor ihm) von einem Ur-Zustand ausging, in dem alle gleich und frei gewesen wären, ohne Macht- und Herrschaftsverhältnisse. Erst mit der Seßhaftigkeit begann für ihn die Ungleichheit der Geschlechter: "Damals kam der erste Unterschied in der Lebensweise der beiden Geschlechter auf, die bis dahin nur ein und dieselbe gehabt hatten. Die Frauen wurden häuslicher und gewöhnten sich daran, die Hütte und die Kinder zu hüten, während der Mann den gemeinsamen Lebenunterhalt suchen ging." An diesem Punkt entstand für Rousseau das Eigentum und damit eine zunehmenden Ungleichheit der Menschen. Am Ende dieser Entwicklung würden alle Menschen unfrei sein, und dann müsse eine Revolution kommen, um einen Zustand der Gleichheit in Freiheit für alle Menschen zu erreichen. Die Geschlechterproblematik ist für Rousseau allerdings kein wichtiges Thema.

Für andere Zeitgenossen war sie jedoch ein Thema, so daß sich Johann Gottlieb Fichte genötigt sah, Texte gegen "einige unberufene Schutzredner" der Frauen zu verfassen. Er schrieb: "Das Weib ist nicht unterworfen, so daß der Mann ein Zwangsrecht auf sie hätte, sie ist unterworfen durch ihren eigenen fortdauernden notwendigen Wunsch, unterworfen zu sein. Sie dürfte wohl ihre Freiheit zurücknehmen, wenn sie wollte, aber gerade hier liegt es; sie kann es vernünftigerweise nicht wollen." Zwar vertritt Fichte in Bezug auf Frauen Auffassungen, die denen von Platon nahezu entgegen gesetzt sind, aber er bezeichnet sie immerhin als "unterworfen", was viele seiner Zeitgenossen ebenso sehen.

Als Marx dann seine ersten Schriften veröffentlichte, gab es bereits Feminist(inn)en, z.B. Louise Otto-Peters, Flora Tristan, George Sand, Harriet Taylor und John Stuart Mill.

Marx selbst hat auch zum Geschlechterthema nicht so ausführlich Stellung genommen wie z.B. Engels.

Letztendlich hat er nur fortgeführt, was andere Philosophen vor ihm begonnen haben. Selbst seine Theorie vom Ur-Kommunismus knüpft letztendlich an frühere Theorien, z.B. von Locke und vor allem Rousseau an.

Marx war ein Kind seiner Zeit und von den Menschen, die vor ihm lebten, beeinflusst, genau wie alle anderen Menschen vor und nach ihm. Wenn du ihn jetzt als bösen Dämon darstellst, der eine Ideologie aus dem Nichts heraus erfunden hat, dann entspricht das nicht den Tatsachen. Der Feminismus hätte sich jedenfalls auch ohne Marx genauso entwickelt. Im übrigen hat er seinen Siegeszug in den westlichen Ländern auch erst sehr lange nach Marx' Tod angetreten, und zwar überall dort, wo Marx' Theorien gerade nicht breit propagiert wurden.

Freundliche Grüße
von Garfield


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