Offener Brief an ai
Als Antwort auf: Amnesty International von Mic am 12. März 2004 10:44:
Geschlechter-Rassismus bei Amnesty International?[/u]
Wir haben größte Bedenken und Einwände gegen die Kampagne "HINSEHEN & HANDELN: Gewalt gegen Frauen verhindern", die Amnesty international (ai) am 5.März 2004 gestartet hat.
Natürlich richten sich unsere Einwände nicht etwa dagegen, sich entschieden und ohne Kompromisse gegen alle Menschenrechtsverletzungen welcher Art auch immer zu wenden. Es ist selbstverständlich, ja sogar unverzichtbar, die konkreten Fälle von Menschenrechtsverletzungen auch konkret anzuprangern - somit auch konkret darüber zu informieren. Im Falle von Vergewaltigungen von Frauen im Krieg beispielsweise, bei Zwangsprostitution und Frauenhandel, bei sexualisierter Form der Folter etc. sind selbstverständlich eben diese konkreten Verbrechen auch konkret anzuklagen.
Aber das ist etwas ganz und gar anderes, als eine allgemeine Kampagne "gegen Gewalt an Frauen"! Warum?
Unsere Einwände sind prinzipieller Natur. Gerade die universelle Gültigkeit der Menschenrechte verbietet es kategorisch, diese in irgendeiner Weise aufzutrennen, beispielsweise in "Menschenrechte für Chinesen" und "Menschenrechte für Europäer" - oder eben "Menschenrechte für Männer" und "Menschenrechte für Frauen". Durch die innere Logik und Anlage der neuen Kampagne wird jedoch genau eine solche Trennung vorgenommen. Wir halten dies für hochgefährlich und völlig inakzeptabel, denn es widerspricht im Kern und dem Sinne nach diametral dem Gedanken der Universalität der Menschenrechte. Das war bisher immerhin die prinzipienfeste Grundlage der Arbeit von ai!
Die jüngste Kampagne ist zudem erkennbar durch eine ideologische Verengung motiviert und deshalb im eigentlichen Sinne selbst rassistisch. Es handelt sich gewissermaßen um das Phänomen "Animal Farm" von George Orwell: "All animals are equal. Some animals are more equal.", sagten die Schweine... und pervertierten genau dadurch die Gleichheit in ihr Gegenteil. Eine weltweit und zurecht dermaßen hochgeachtete Organisation wie ai muß sich kategorisch vor allen ideologischen Blindheiten hüten; ai darf sich ganz besonders nicht vor den Karren einer geschlechter-rassistischen Ideologie spannen lassen, "nur" weil diese in manchen westlichen(!) Wohlstandsländern zur Zeit sehr en vogue ist, gewissermaßen "den Zeitgeist" bestimmt und deswegen besonders viele Leute besonders blind sind für die spezifischen Gefahren dieser "momentan herrschenden Schweine".
Alice Schwarzer hat jüngst verlauten lassen: "Es hat keinen Zweck, länger die Augen davor zu verschließen: Wir Frauen sind das(!) gefolterte Geschlecht." Frau Schwarzer wird also gefoltert? Von uns? Diese an subtiler, abgründiger Demagogie schwer überbietbare rassistische Chuzpe mag für eine eifernde Büttenrednerin einer entsprechenden politischen Sekte "angemessen" sein - jedenfalls erwartet man es aus solcher Richtung nicht anders - aber es darf doch bitte niemals zur Richtschnur einer Menschenrechtsorganisation werden! Dann ist es nämlich keine Menschenrechtsorganisation mehr, sondern eine "Frauenrechtsorganisation". Das sind zwei völlig unterschiedliche Dinge.
Mit der Schwarzer'schen Diffamierung wird geschickt und in gewohnter Weise unterstellt, es gebe quasi ein weltweites Kontinuum "der Männer", welche "die Frauen" qua Geschlecht und als solche "foltern". Und wer im Moment gerade mal nicht foltert, der sieht sowieso weg, hat gegen die Folterei im allgemeinen bestimmt nichts einzuwenden bzw. findet sie eigentlich ganz prima. Entsprechend ruft ai "uns"(?) nun auf: "Hinsehen und handeln!" - als täten wir das nicht!
Wir fragen ai: Ist Ihnen eigentlich klar, wie unendlich geschmacklos, wie bodenlos niederträchtig und faschistoid eine solche Beleidigung ist? Müssen wir jetzt eine devote Protestresolution unterzeichnen: "Wir Männer protestieren mit aller gebotenen Entschiedenheit gegen unsere eigene Brutalität! Wir distanzieren uns auf das Schärfste von allen Männern, die sich nicht davon distanzieren!"?
Oder darf Mann einfach auf seiner Würde beharren?
Unserem Urteil nach wird gerade versucht, ai heimtückisch zu instrumentalisieren und mittels dieser Kampagne an die Front eines ideologisch motivierten, sehr destruktiven, inländischen(!) Geschlechterkriegs zu manövrieren. Es wird gewissermaßen die drohende Steinigung einer Frau in Nigeria instrumentalisiert, um die narzißtische Opferneurose eines hiesigen "Mitglieds des gefolterten Geschlechts" zu stützen! Schändlich!
Was für Folgen wird diese Kampagne für die Arbeit von ai haben? Werden demnächst "Opferquoten" nach Geschlecht eingeführt? Spielt die (übrigens viel größere) Zahl von männlichen Verfolgungsopfern weltweit ab jetzt "eine untergeordnete Rolle"? Oder soll bei ai jetzt damit begonnen werden, die Opfer zu zählen, nach Männlein und Weiblein zu trennen, sie zu instrumentalisieren und gegeneinander aufzurechnen? Werden "Menschenrechte" auch bei ai jetzt zu "Frauenrechten"? Wo "Rechte für Weiße" und "Rechte für Schwarze" eingeführt werden, da beginnt Apartheid... Rassismus...
Wenn bei Opfern von Gewalt und Verfolgung nach "Gruppen" unterschieden wird, welche auch immer es seien, wenn es also nicht darum geht, daß es EIN MENSCH ist, der von seinesgleichen diffamiert, verfolgt, gefoltert, getötet wird, sondern "ein Römer", "ein US-Bürger", "ein Europäer", "ein Weißer", "eine Frau"... dann ist ein gefährlicher Grad geistiger Verwirrung überschritten.
Man kann sich übrigens leicht ausmalen, wohin eine solche Verblendung, die der bisherigen Arbeit von ai diametral widerspricht, außerdem führen müßte, würde sie wirklich allgemein angewandt: das saudische Königshaus startet dann z.B. eine Kampagne "HINSEHEN & HANDELN: Gewalt gegen Muslime verhindern"... das ZK der KP Chinas beginnt eine weltweite Kampagne "Verteidigt die Menschenrechte der Han-Chinesen!"... die USA proklamieren sowieso "die Menschenrechte aller US-Bürger" und die EU fügt analog in die zu beschließende Verfassung einen Passus über die "Menschenrechte eines Europäers" ein. Bekanntlich ist dies alles keineswegs so überaus fiktiv, was wir hier gerade schreiben. Wie gerade ai weiß, gibt es durchaus solche Tendenzen auf Seiten mancher Regierung. Das Ziel solcher demagogischen Verdrehungen - "wollen Sie sich denn etwa gegen die Menschenrechte der Han-Chinesen aussprechen?" - ist jedoch stets das gleiche: die Verletzung der Menschenrechte! Erkennt ai das plötzlich nicht mehr? Kann das im Sinne von ai sein? Ich denke nein. Bislang war ai immer immun gegen solche Versuchungen. Ändert sich das jetzt?
"Some animals are more equal"... das verbietet sich immer und unter allen Umständen. Es kann auch - und zwar aus Prinzip - niemals irgendwelche "besonderen Gründe" geben, die dies "im Einzelfall" etwa doch rechtfertigen könnten - etwa weil es Unterschiede in den Formen der Gewaltanwendung gibt o.ä. - und zwar einfach deshalb, weil dadurch das Konstitutivum der Menschenrechte, nämlich ihre UNIVERSALITÄT(!), preisgegeben würde.
Bei allen bürgerlichen und politischen "Rechten von Menschen" handelt es sich um prinzipiell gestaltbare Rechte von bestimmten Menschen gegenüber bestimmten anderen Menschen. Nicht so bei den "allgemeinen Menschenrechten". Sie sind nicht "gestaltbar", sondern unteilbar, unveräußerlich, universell und angeboren. Man kommt in ein unauflösliches Dilemma, wie man es auch dreht und wendet, sobald man einmal damit angefangen hat, bei der Frage der Menschenrechte in "Gruppen" aufzuteilen. Das hat keine politischen, sondern logische und prinzipiell-philosophische Gründe.
Die Würde des Menschen ist eben keine politische Kategorie, die verhandelbar wäre, sondern sie ist transzendenten Ursprungs. Warum? Sie stammt nicht vom Menschen selbst, sondern sie folgt aus der Einsicht, daß die Würde dem Menschen angeboren ist. Wird dies negiert, dann wird seine Würde überhaupt negiert: man kann sie ihm nämlich nicht "verleihen" - - und gerade deshalb[/u](!) eben auch nicht "nehmen". Nur deshalb und nur dann sind die Menschenrechte "universell", weil und soweit sie der Verfügung des Menschen prinzipiell entzogen sind. Ein (von Menschen) "verliehenes" Recht hingegen kann dem Wesen nicht "universell" sein.
Immer wieder wird der Versuch unternommen, dies zu verdunkeln, indem man z.B. die Menschenrechte zu einer "politischen Frage" zu erklären trachtet. Es war bisher ein Essential, daß die Arbeit von ai durch und durch frei zu sein hatte von allen Instrumentalisierungsversuchen von interessierter Seite, wer auch immer es sei. Die gegenwärtige Kampagne widerspricht diesem Grundsatz. Sie bedeutet deshalb einen Bruch in der Arbeit von ai.
Das Prinzip der universellen Menschenrechte ist die Frucht einer über 2000-jährigen abendländischen Kulturentwicklung. Hier wurde sie als elementare Einsicht unter großen Schmerzen geboren. Sie gilt nicht nur für Abendländer, sondern für alle Menschen. Sie gilt analog nicht für bestimmte Gruppen von Menschen mehr oder weniger - auch nicht für "alle Gruppen" von Menschen "gleichermaßen" - sondern für den Menschen schlechthin. Einfach weil er ein Mensch ist!
Wann immer dieses Fundament verlassen wird, verdunkeln sich auch die Menschenrechte. Das Prinzip muß also mit allergrößter Sorgfalt und Entschlossenheit beschützt werden vor jeder tagespolitischen "Verbesserung", die sich dem einen oder der anderen Aktivistin aufdrängen mag, weil der Zeitgeist und die eigene ideologische Verblendung solches "nahe legt".
Eine Menschenrechtsorganisation vom Format "ai" kann da nicht die geringsten Kompromisse machen. Prinzipien, die "verhandelt" werden, sind keine. In prinzipiellen Fragen gibt es deshalb keine Kompromisse - weil es sonst keine Prinzipien mehr gibt.
Es ist diese bedrückende geistige Unklarheit über die kardinalen Prinzipien, die uns an der neuen Kampagne von ai so überaus verstört und tief besorgt macht. Wir fordern deshalb unumwunden, die Kampagne in der vorliegenden Form ohne Wenn und Aber einzustellen. Wir werden ai solange nicht unterstützen, solange dies nicht geschehen ist, sondern mit allen zu Gebote stehenden Mitteln unsere Kritik an dieser sexistischen, i.e. geschlechter-rassistischen Kampagne verbreiten.
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Sie können diesem offenen Brief zustimmen?
Dann werden auch Sie aktiv, indem Sie einen Protestbrief an amnesty international schreiben! Fordern Sie von ai, die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte nicht weiter durch ideologisch einseitige Kampagnen in Zweifel zu bringen, sondern die Menschenrechtrechte ungeteilt und unabhängig von Herkunft, Rasse, Religion, Weltanschauung, sozialer Zugehörigkeit und Geschlecht in gleicher Weise zu verteidigen.
per Email:
info@amnesty.de
per Brief:
amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
53108 Bonn
gesamter Thread:
- Amnesty International -
Mic,
12.03.2004, 12:44
- Re: Amnesty International -
Odin,
12.03.2004, 13:24
- Re: Amnesty International - Odin, 12.03.2004, 13:31
- Offener Brief an ai -
Nick,
13.03.2004, 00:06
- klasse Text! k.T. - Der Eman(n)ze, 13.03.2004, 11:06
- Re: Offener Brief an ai - Odin, 13.03.2004, 21:39
- *mir fällt kein Höfflicher Threadtitel ein* -
draco,
14.03.2004, 15:46
- das ist peinlich! - Odin, 14.03.2004, 16:13
- nicht sehr ueberzeugend! -
Andreas,
14.03.2004, 17:29
- hast du dich wirklich mit ai beschäftigt? -
draco,
14.03.2004, 17:57
- das habe ich... -
Andreas,
14.03.2004, 18:57
- Re: das habe ich... -
Odin,
14.03.2004, 21:23
- eben drum.... - Andreas, 14.03.2004, 22:13
- Gut auf den Punkt gebracht! (n/t) - Jörg, 14.03.2004, 22:51
- Re: das habe ich... -
Odin,
14.03.2004, 21:23
- das habe ich... -
Andreas,
14.03.2004, 18:57
- hast du dich wirklich mit ai beschäftigt? -
draco,
14.03.2004, 17:57
- Re: *mir fällt kein Höfflicher Threadtitel ein* -
Garp,
14.03.2004, 17:30
- Re: *mir fällt kein Höfflicher Threadtitel ein* - draco, 14.03.2004, 18:23
- Einseitigkeit -
Gastredner,
14.03.2004, 18:26
- Re: Einseitigkeit - Nick, 14.03.2004, 18:46
- verständigungsprobleme -
draco,
14.03.2004, 19:46
- Re: verständigungsprobleme - Andreas, 14.03.2004, 22:53
- Re: verständigungsprobleme - Odin, 15.03.2004, 02:22
- Re: verständigungsprobleme -
Gastredner,
15.03.2004, 14:49
- Re: verständigungsprobleme - draco, 15.03.2004, 18:39
- Re: *mir fällt kein Höfflicher Threadtitel ein* - michail, 15.03.2004, 22:02
- Erweiterung: Offener Brief an ai - Nick, 14.03.2004, 18:40
- ENDFASSUNG (Amnesty International) - Nick, 15.03.2004, 18:41
- Gewalt gegen Kinder -
Sven,
14.03.2004, 14:00
- Re: Gewalt gegen Kinder -
Andreas,
14.03.2004, 14:29
- Re: Gewalt gegen Kinder - hotstepper, 15.03.2004, 14:47
- Re: Gewalt gegen Kinder -
Andreas,
14.03.2004, 14:29
- Re: Amnesty International -
Odin,
12.03.2004, 13:24