Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Warum?

Chato, Sunday, 07.06.2009, 01:35 (vor 6047 Tagen) @ Roslin

Guten Abend Roslin!

Von allen Ideologien gehört der gutmeinende Humanismus zu den blödesten und
törichtesten.


Da bin ich dezidiert anderer Meinung. Nichts ist törichter, als den Versuch zu unternehmen,
das, was instinktbegünstigt-disponiert, also "normal" ist, durch rigide Normierungen
absichern zu wollen. Das hat die "Normalität" nicht nötig.

Eben. Allerdings habe ich mich niemals und mit keinem einzigen Wort jemals irgendwo dahingehend geäußert, irgendwelche "rigiden Normen einzuführen". Wie sollte das auch gehen? Ich bin ein ganz strikter Verfechter der Freiheit des Menschen – freilich inklusive der vollen persönlichen Verantwortung für sämtliche Konsequenzen dieser Freiheit; letzteres wird leider regelmäßig "vergessen" bzw. erst gar nicht mehr bedacht oder inzwischen sogar ausdrücklich abgestritten und stattdessen "sozialisiert". Und ein erbitterter Gegner jeglicher staatlichen "Tugend-Erziehung" bin ich sowieso, ganz gleich, zu was auch immer. Diese glasklare Haltung findet sich derart konstant in allen meinen Äußerungen zu derartigen Fragen wieder, daß es hier überhaupt keiner weiteren Rechtfertigung meinerseits bedarf.

Meine Behauptung, ideologischer Humanismus sei töricht, widerspricht dem Sinn deiner Ausführungen nicht, sondern stimmt ihm zu: "Normalität hat rigide Normierungen nicht nötig". Vollkommen richtig! Eben das meine ich auch. Aber genau da, wo das Gute als Ideologie aufkommt, weil das den Leuten irgendwie nötig geworden zu sein scheint, genau da ist doch die gesunde Normalität in den Herzen der Menschen bereits längst zu Bruch gegangen, und läßt sich hernach nicht ausgerechnet mit wohlmeinenden Volksbelehrungen wiederherstellen. Das, und nichts anderes als das, ist der Sinn meines Satzes vom "törichten Humanismus". Wie will man da eigentlich vernünftig widersprechen?

Es genügt, dem Menschen die Freiheit der Wahl zu geben, OHNE Förder - oder
Verhinderungsquotierungen, engherzig-kleinkarierte Reglements etc., und die
übergroße Mehrheit wird sich für das ihr Zuträgliche, und das wird immer
das "Normale" sein, entscheiden, in Freiheit.

Das ist die aufklärerische Idee vom Menschen, der angeblich aus sich heraus gut, also ohne Erbsünde sei, und ganz von selbst aus das Gute tue, wenn er nicht daran gehindert wird. Alle Erfahrung aber lehrt das genaue Gegenteil, insbesondere die Erfahrung mit der Aufklärung und ihren politischen und sozialen Konsequenzen. Die Aufklärung gehört aus gutem Grund nicht zum Glaubensgut der Katholischen Kirche, Roslin, auch wenn das leider immer mehr in Vergessenheit zu geraten scheint (vor allem die guten Gründe dafür), was ein wirkliches Unglück und m.E. der tiefere und wahre Grund für die heutige Krise der Kirche ist.

Annähernd, aber im Ganzen immer sehr anfällig und höchst unvollkommen, ist das von dir idealisierte Menschenbild allenfalls dann anzutreffen, soweit dabei mit impliziert ist, daß jeder Mensch sorgfältig zum Guten erzogen worden ist, und zwar nicht vom Staat, sondern von seinen beiden Eltern. Das aber setzt gute Eltern voraus, die ihrerseits gute Eltern hatten usw. usf. Ist das heute so gegeben? Was ist da für die Zukunft zu erwarten? Wie soll künftig eine Voraussetzung gegeben sein, deren Voraussetzung bereits jetzt nicht mehr vorhanden ist?

Der Mensch, ganz pur und als solcher, ist nicht ein "edler Wilder", wie die Aufklärer behauptet haben, sondern ein Ungeheuer, das sich, wenn es die freie Wahl hat, nicht für das Zuträgliche, sondern für die Sünde entscheidet. Das lehrt die Kirche seit 2000 Jahren (Erbsündenlehre), und wie recht sie damit hat, sehen wir gerade heute so schmerzhaft deutlich, wo kaum noch einer von guten Eltern gut erzogen wurde (und in Bälde eben überhaupt keiner mehr), aber jeder die freie Wahl zu allem hat. Diesem Weg folgend sind wir inzwischen von jeglicher gesunden Normalität weiter entfernt, denn je zuvor. Ist das wahr, oder ist das nicht wahr?

Die wenigen, die anderes wollen, sollen wollen dürfen.
Sie werden immer Ausnahmen bleiben, die der Gesellschaft nicht schaden,
wenn diese "unnormalen" Menschen nicht durch Verbote, die Normierungen
absichern sollen, in zerstörerische Oppositionshaltungen getrieben werden.
Können diese Menschen ihre natürlich vorkommende - dass sie natürlich
vorkommt, ist für mich evident - "unnormale" Instinktdisposition in
Freiheit ausleben, können auch diese Menschen ihre Talente produktiv
einbringen, ohne sich und die Gesellschaft in unproduktive
"Befreiungskämpfe" zu verwickeln, weil sie ihrer Natur, die eine
Minderheitennatur ist, das Recht, zu sein nicht erkämpfen müssen, wenn sie
toleriert werden.
Eine Gesellschaft kann es sich sehr wohl leisten, das "Unnormale" sein zu
lassen.

Du setzt bei deiner Utopie eine harmonische Gesellschaft voraus, Roslin. So verhalten kann (und wird) sich eine Gesellschaft genau dann – und nur dann – wenn für jeden von allein völlig fraglos klar ist, was gut und richtig ist (und wenn das, was für jeden fraglos klar ist, auch tatsächlich gut und richtig ist, was sich durch Bewährung in der Zeit herausstellt: das ist der kritische Unterschied zur Ideologie). Das alles ist so der Fall im Paradies, das es aber auf Erden nicht mehr gibt, seit Adam und Eva beschlossen haben, selber wie Gott zu werden und über gut und böse alleine zu befinden. Die Aufklärer haben dieses Projekt von Adam und Eva systematisiert und zum allgemeinen politischen Programm der ganzen Welt gemacht. Ist das wahr oder ist das nicht wahr?

Im Paradies wird jeder, der anders ist, in Liebe akzeptiert und mitgetragen. Stimmt. Vollkommen zutreffend. "Paradies" ist ja nur ein anderes Wort für vollkommene Einheit in vollkommener Mannigfaltigkeit. Aber auf Erden ist das Paradies nun einmal ein U-Topos, ein Un-Ort geworden. Sämtliche Utopien sind und bleiben deshalb gefährliche Hirngespinste, die immer in irgendeinem blutigen Terror enden. Es gibt nicht eine einzige Ausnahme, und es kann auch keine geben. Warum es das nicht geben kann, ist Kirchenlehre von Beginn an. Ist das wahr oder ist das nicht wahr?

Weil mehr denn je unklar geworden ist, was eigentlich gut und richtig ist, kann gerade unsere Gesellschaft es sich eigentlich nicht leisten, auf die freie Wahl zu bauen. Daß sie es dennoch tut, besagt nicht, daß dies richtig sei, sondern bloß, daß sie es eben faktisch tut. Was es indes bedeutet, lehrt allein die Wirklichkeit. Was lehrt die Wirklichkeit denn? Weil das, was sie lehrt, partout keiner wahrhaben möchte, ersinnt man eine humanistische Ideologie nach der anderen, die angeblich alles wieder in Ordnung bringe, und wird ebenso partout nicht müde davon. Weil sie das, was sie leisten sollen, nicht leisten können, führen alle Ideologien je und je zum Gegenteil dessen, was sie beabsichtigen. Bloß wahrhaben will das eben keiner! Und wenn man's schon tausendmal so und noch nicht einmal anders erlebt hat: es darf einfach nicht wahr sein! Die Schlange hat halt ganze Arbeit gemacht...

Das genau war der Kern dessen gewesen, was ich oben gesagt und begründet habe: Eine verirrte, kranke Gesellschaft mit einer "guten Ideologie" in Ordnung bringen zu wollen, ist über alle Maßen töricht. Es funktioniert nicht nur nicht, sondern es wächst sich mit der Zeit (eben weil es nicht funktioniert) notwendigerweise zum Terror aus, der schließlich zusammenbricht und eine Anarchie der Zügellosigkeit zurückläßt, die dann erstrecht einen noch totaleren Terror hervorruft mit noch verworrener Anarchie im Gefolge, was schließlich irgendwann in einem grenzenlosen Terror enden muß, der keinerlei anderes Maß mehr hat, als sich selbst um seiner selbst und seiner eigenen, unbegrenzten Dauer in der Zeit willen, bis am Ende alles restlos zusammenkracht.

Das ist meine illusionslose Sicht auf die Wirklichkeit dieser Welt. Sie ist nicht schön und nicht nett, aber sie ist realistisch. Ich leite daraus ausdrücklich nicht ab, irgendwelche "rigiden Normen einzuführen", wie sich nach diesen Ausführungen nun wohl von selbst versteht, sondern ich verweise einfach trocken auf die Freiheit, deren Inhalt in der Verantwortung für die Konsequenzen dessen besteht, was man denkt, sagt, tut und unterläßt. Das Wesen des gottlosen Menschen ist es, daß er erst an sein eigenes Ende gelangen muß, um irgend etwas zu begreifen. Leider. Das ist wirklich eine ungeheure Tragödie.

Nur begünstigen, fördern, propagieren muss und darf sie es nicht.
Aber auch nicht verbieten.
Heute haben wir einen Zustand erreicht, dass z.B. homosexuelle Paare als
cool, hipp, "modern" gepriesen werden, Paare, die eine klassische
Rollenverteilung leben müssen sich dagegen rechtfertigen, die Frauen in
diesen Partnerschaften werden als Heimchen am Herd diffamiert, ihr
Unterdrücktsein wird vermutet, die Männer in diesen Partnerschaften werden
als Unterdrücker verdächtigt, als reaktionär, bestenfalls unmodern usw.
Eine "kranke" Umkehrung der Normierungen klassischer Art unter dem
verlogenen Signum einer vorgeblichen Toleranz, die in Wahrheit nur den
eigenen "modernen" Lebensentwurf achtet, hat stattgefunden.
Ich bin ein strikter Anhänger individueller Freiheit, die solange zu
tolerieren ist, solange ihr Ausleben die Freiheitsrechte anderer nicht
schädigt.

Warum erwartest du eigentlich irgend etwas anderes, Roslin? Was erwartest du denn konkret? In den öffentlichen Behördengebäuden in Berlin hängen zur Zeit überall Plakate an den Ein- und Ausgängen und in jedem Publikumsbereich herum, auf denen man zwei knutschende Schwule sieht; darunter steht: "Protect every kiss! Denn Toleranz ist unsere Zukunft!"

Na denn! Wie man sieht, wird alles immer besser und besser…

Wer das beschneiden will, komme er von links oder rechts, dem will und
werde ich widersprechen.

Denk halt nochmal gründlicher darüber nach. Seit wann geschieht das Gute dadurch, daß wir es wollen? Da stimmt doch irgend etwas nicht, Roslin. Oder nicht?

Gruß vom
Nick

--
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Wenn wir Toren wüßten, daß wir welche sind, wären wir keine.


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