Was ist denn das für ein Deutsch?
Ich könnte jetzt ja auch ganz frech behaupten, daß die Fischerin einfach
die Frau des Fischers ist.
Durchaus möglich. Aber auch dann ist sie eine Frau, nichts anderes
Es hat den Anschein, als wäre die Sprache "männlich geprägt" (sollte
sie
das sein, könnte man auch Rückschlüsse des Ursprungs der Sprache bei
den
Männern finden, wodurch Muttersprache dann zur Vatersprache werden
müßte),
Müßte sie nicht, da es beim Begriff "Muttersprache" darum geht, welche
Sprache man VON DER MUTTER lernte - zumindest in der Ära vor den
flächendeckenden Kinderkrippen
tatsächlich ist sie das aber nicht, da man bei der angenommenen
männlichen
Form eigentlich nicht weiß, ob sich dahinter ein Mann oder eine Frau
verbirgt.
Weiß man zwar nicht hundertprozentig genau, aber zunächst denkt man doch
an einen Mann, zumindest ich. Das glaub ich Dir (und den anderen im Forum)
nicht so ganz, daß die da nicht zuerst an einen Mann denken ...... ("Der Fischer" ist zugleich
allgemeine Berufsbezeichnung und die Bezeichnung für den männlichen
Fischer im besonderen ...)
Wenn das nicht neutral ist frage ich mich, wie lange es im
angelsächsischen Sprachraum noch dauert, bis dort eine wofisher oder
womiller gibt.
Wirklich neutral wäre es, wenn weder die männliche noch die weibliche
Bezeichnung zur Berufsbezeichnung würde, aber etwas Künstliches (etwa "Das
Fischeri") scheitert an der mangelnden Akzeptanz der Sprachgemeinschaft.
Ist ja auch irgendwie scheußlich. - Darin zeigt sich ja gerade die
"männliche Dominanz" in der Sprache (und der Gesellschaft), daß es in den
meisten Fällen die männliche Form ist, die den Gattungsbegriff stellt, und
nicht die weibliche. In Arne Hoffmanns Buch "Sind Frauen bessere Menschen"
war - zumindest in der Urfassung von 1999 - mal ein Kapitel über solche
Fragen, und er schickte es mir zum Lesen, und als ich fragte, ob er
wirklich glaube, daß alles so "neutral" sei, ob die Sprache wirklich nicht
"männlich geprägt" sei, antwortete er: "Natürlich ist das so" (mit der
männlichen Prägung der Sprache), "aber ich kann das doch nicht in so einem
Buch so offen sagen."
Aha ... und aus der Verniedlichungsform Mädchen wird dann die Magd und
aus
dem Jungen (was ja auch eine Abkürzung für junger Mensch sein kann)
dann
der Mensch.
"Der Junge" ist ausschließlich eine Bezeichnung für männliche Jugendliche,
nie für weibliche.Gruß, Rüdiger
Aus dem Net:
Der Fehler ist, dass angenommen wird, das Genus (= grammatisches
Geschlecht) eines Wortes würde eine definite Aussage über den Sexus (=
natürliches Geschlecht) des Beschriebenen machen. Obwohl die Entstehung
des Genus sprachgeschichtlich mit einer Übereinstimmung mit dem
(tatsächlichen oder nur interpretierten) Sexus des Beschriebenen am besten
zu erklären ist, trifft eine solche Übereinstimmung in den heutigen (idg.)
Sprachen für die Mehrzahl der Wörter jedenfalls nicht mehr zu. Neben dem
Sexus richtet sich das Genus etwa im Dt. v.a. auch nach morphologischen
Kriterien.
Genau so, wie Deverbalabstrakta auf '-ung' immer feminines Genus haben,
haben Nomina agentis auf '-er' maskulines Genus. Da alle Deverbalabstrakta
auf '-ung' Feminina und alle Nomina agentis auf '-er' Maskulina sind, ist
das Genus hier eindeutig morphologisch und NICHT außersprachlich, also
durch den Sexus des Beschriebenen bestimmt.
Da es hin und wieder notwendig erscheint, den femininen Sexus einer Person
explizit zu betonen, besteht im Dt. die Möglichkeit für ein moviertes
Femininum auf '-in', bei dem Sexus und Genus dann zusammenfallen. Während
Nomina agentis auf '-er' also grammatisch maskulin aber
natürlich-geschlechtlich unbestimmt sind, sind movierte Feminina auf '-in'
grammatisch feminin und natürlich-geschlechtlich explizit weiblich.
Dass Nomina agentis auf '-er' tatsächlich geschlechtlich unmarkiert sind,
zeigt etwa der Vergleich mit dem Englischen, wo es das selbe
Wortbildungssuffix gibt. So bedeutet 'teach-er', 'danc-er', 'play-er'
schlicht "Lehr-er", "Tänz-er", "Spiel-er" von unbestimmtem Sexus. Ein
moviertes Femininum kann im Engl. von germanischen Stämmen nicht
morphologisch gebildet werden. Und hier liegt wohl auch das Problem für
das Deutsche: Die Tatsache, dass es ein moviertes Femininum auf '-in' gibt
verleitet zu dem Trugschluss, alle Endungen auf '-er' wären definite oder
movierte Maskulina. Movierte Maskulina werden zwar tatsächlich auch auf
'-er' gebildet, - echte sind aber selten (z.B. 'Hexer' (könnte auch ein
Nomen agentis sein!), 'Witwer', 'Kater').
Die geschlechtliche Unmarkiertheit lässt sich auch durch zwei weitere
Beobachtungen stützen:
(1) Nicht alle Nomina agentis haben maskulinen Sexus (z.B. 'Laster',
'Schraubenzieher'; vgl. auch die sog. Nomina instrumenti, die bei anderem
Standpunkt eigentlich auch nur Nomina agentis sind: 'Lenker' "etwas, mit
dem man lenkt = etwas, das lenkt", 'Schalter', 'Leuchter', 'Kopierer',
'Scheibenwischer'; vgl. auch Nomina acti: 'Treffer', 'Jauchzer').
(2) Movierung (= Motion) ist eine denominale, morphologische Ableitung
('Lehr-er-in' z.B. ist definitiv von 'Lehr-er', 'Witw-er' offensichtlich
von 'Witw-e' abgeleitet). Während aber von Nomina agentis movierte
Feminina (auf '-in') abgeleitet werden können, ist dies für Maskulina
nicht möglich. Oder anders: Man kann von Nomina agentis nur movierte
Feminina ableiten; die unmarkierte Form steht für geschlechtlich
Unbestimmtes UND Maskulina. (Nomina agentis auf '-er' sind also NICHT
definitiv natürlich-geschlechtlich maskulin.)
Nach diesen deutlichen Hin- (wenn schon nicht Be-) -weisen, dass Nomina
agentis auf '-er' im Deutschen (wie im Englischen) hinsichtlich des
natürlichen Geschlechts unmarkiert sind, stellt sich folglich die Frage
nach dem Binnen-I gar nicht, denn:
'Leser' = "männliche und/oder weibliche Leser"
'Leserinnen' = "weibliche Leser"
'Leser(innen)' (bzw. 'LeserInnen')
= "männliche und/oder weibliche Leser und weibliche Leser"
Es ist - so hoffe ich doch - jedem einsichtig, dass Letzteres eine
Überdefinition und somit semantisch überflüssig ist.
Grüße,
Martin
P.S.:
Ich habe versucht, nur die grammatischen Fragen zu diesem Thema zu
skizzieren. Über ästhetische und sprachökonomische Gesichtspunkte brauchen
wir wohl nicht zu streiten.
Ein wichtiger Faktor ist sicherlich auch die Politik: Mehr als die Hälfte
der Wähler (!) sind Frauen. Ich bin also geneigt, die sprachliche
Überbetonung des weiblichen Anteils als Anbiederung an dieses
Wählerpotenzial zu betrachten.
Anmerkungen:
Zu Nomen agentis, Nomen instrumenti, Motion usw. siehe:
Hadumod Bußmann: Lexikon der Sprachwissenschaft. 2., völlig neu
bearbeitete Auflage. Kröner Verlag: Stuttgart 1990 [Kauf und Lektüre
empfohlen!]
Zu Sexus vs. Genus vgl. den Beitrag zum Thema 'Wann welcher Artikel ???'
von Juergen Amrhein (3820C5E2.789A3...@uni-koeln.de).
gesamter Thread:
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Conny,
10.03.2007, 15:06
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
martin53,
10.03.2007, 18:49
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Conny,
10.03.2007, 19:16
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Odin,
10.03.2007, 23:47
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Rüdiger,
11.03.2007, 00:05
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Benno,
11.03.2007, 01:37
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Rüdiger,
12.03.2007, 02:30
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Lude, 12.03.2007, 02:38
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Rüdiger,
12.03.2007, 02:30
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Conny,
11.03.2007, 02:18
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Rüdiger,
12.03.2007, 02:24
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Lude, 12.03.2007, 02:45
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Gismatis,
12.03.2007, 04:28
- Nachtrag - Gismatis, 12.03.2007, 06:04
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Mitleser, 12.03.2007, 06:46
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Rüdiger,
12.03.2007, 02:24
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Odin,
11.03.2007, 17:49
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Rüdiger,
12.03.2007, 02:04
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Lude,
12.03.2007, 02:35
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Maxl, 16.03.2007, 18:01
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Lude,
12.03.2007, 02:35
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Rüdiger,
12.03.2007, 02:04
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Benno,
11.03.2007, 01:37
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Conny, 11.03.2007, 01:54
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Rüdiger,
11.03.2007, 00:05
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Odin,
10.03.2007, 23:47
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
Conny,
10.03.2007, 19:16
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Gismatis,
10.03.2007, 23:22
- Danke [ot] - Mirko, 11.03.2007, 05:23
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Provokat,
11.03.2007, 02:31
- Was ist denn das für ein Deutsch? - Conny, 11.03.2007, 02:46
- Was ist denn das für ein Deutsch? -
martin53,
10.03.2007, 18:49

