Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Vertrauen in die Ehe

Maesi, Wednesday, 05.12.2001, 23:47 (vor 8769 Tagen) @ Holger

Als Antwort auf: Re: Vertrauen in die Ehe von Holger am 04. Dezember 2001 21:17:42:

Hallo Holger

Von mir aus- meiner Ansicht nach ist es traurig, daß der Konsens (so es ihn überhaupt noch gibt zwischen den Geschlechtern) inzwischen einer juristischen Krücke bedarf. Wenn es denn unbedingt heutzutage eines "Ehevertrages" bedarf, müssen wir die Frage stellen, wozu "Ehe" überhaupt noch gut sein soll und ob man nicht besser darauf verzichtet.
Antworten sind gefragt! Also. Frage. Welchen Sinn hat eine Ehe?

Es ist nicht so, dass in frueheren Zeiten die Ehe keiner Kruecken bedurft haette. Es waren jedoch weniger gesetzliche Regelungen als vielmehr gesellschaftfliche Konventionen, die die Ehe "gestuetzt" haben.
Urspruenglich (vor der Industrialisierung) hatte die Ehe wohl mehrere Funktionen:
1. Sicherstellen des Nachwuchses: Aus biologischen Gruenden braucht es fuer die Reproduktion der eigenen Art bei den Menschen einen Mann und eine Frau; dadurch ergab sich nahezu zwingend eine Allianz zwischen mindestens einem Mann und mindestens einer Frau, welche wohl schon frueh in der Menschheitsgeschichte durch Rituale (Hochzeit) sichtbar gemacht, und durch Rechte und Pflichten der Allianzpartner auch formalisiert wurde, um eine groessere (Rechts-) Sicherheit zu erlangen
2. Aufziehen des Nachwuchses: die gemeinsame Erziehung der Kinder (Mutter, Vater sowie weitere Verwandte) gaben den Kindern Sicherheit, sie konnten ihr Sozialverhalten erlernen durch Beobachtung des Verhaltens von mehreren Personen aus beiderlei Geschlechtern. Die Kinder hatten in der Gemeinschaft bestimmte Pflichten und Ansprueche zu erfuellen und wuchsen so sukzessive in die Rolle eines verantwortungsvollen Erwachsenen hinein (Idealvorstellung).
3. Sicherstellung des wirtschaftlichen Ueberlebens der Familie: es war ueblich, erst dann zu heiraten, wenn eine zukuenftige Familie ernaehrt werden konnte. Durch eine gewisse Arbeitsteilung in der Familie, konnte die Familie besser "funktionieren"; d.h. jedes Familienmitglied hatte bestimmte Pflichten zu erfuellen, womit die Ueberlebenschance der Familie erhoeht werden konnte.
4. Selbstversorgung: Durch den noch schwach ausgepraegten Gueter- und Dienstleistungsaustausch, waren die Familien auf eine moeglichst starke Selbstversorgung (Autarkie) angewiesen. Die vielfaeltigen Aufgaben, die der hohe Selbstversorgungsgrad an die Familie stellt, konnten in einer Kleinfamilie oder gar durch Alleinerziehende unmoeglich abgedeckt werden. Diese harte wirtschaftliche Realitaet hat die persoenlichen Beziehungen der einzelnen Familienmitglieder untereinander zu einer wichtigen Groesse gemacht; diese Beziehungen wurden durch einen gewissen Formalismus (eben die Ehe) abgesichert.
5. Blutsverwandtschaft: Die Blutsverwandtschaft draengte sich als Abgrenzungsmoeglichkeit gegenueber anderen Familien einerseits geradezu auf. Andererseits ist es wichtig, dass Mutter und Vater aus vererbungswissenschaftlichen Gruenden nicht zu nah miteinander verwandt sind. Ein Mann und eine Frau, die kaum blutsverwandtschaftliche Bande besassen (und sich vor der Familiengruendung vielleicht kaum kannten), konnten durch eine eheliche Institution sozial aneinander gebunden und deren Loyalitaet gegeneinander gesichert werden.

Die Aufzaehlung der obigen Gruende sind keineswegs abschliessend. Vielleicht fallen Euch noch weitere ein.

Etliche Gruende haben heute keine bzw. kaum mehr Bedeutung. Dadurch haben die persoenlichen Beziehungen eine andere Bedeutung bekommen; persoenliche Beziehungen sind beliebiger geworden, weil man viel weniger aufeinander angewiesen ist, bzw. Beziehungspartner sind viel leichter gegen neue austauschbar. Eine Ehe ist somit keine wirtschaftliche bzw. biologische Notwendigkeit mehr, sondern es handelt sich um eine Willensgemeinschaft. Wenn einzelne Menschen die lebenslange Ehe als erstrebenswertes Ideal nicht aufgeben wollen, muessen sie sie mit neuem Sinn erfuellen. Der Ehe einen Sinn geben, ist harte Arbeit, die sich aber lohnen kann.
Ich glaube, dass die meisten Menschen fuer eine lebenslange Ehe ungeeignet sind, es sei denn, ein gewisser aeusserer Druck zwingt sie dazu; die wenigsten wollen sich aber offenbar vom Ideal der lebenslangen Ehe verabschieden. Schrittweise hat sich das Individuum von den Zwaengen persoenlicher Beziehungen und gesellschaftlicher Konventionen befreit, aber genauso hat es sich innerlich immer weiter von seinen Mitmenschen entfernt. Die Grossfamilie (mit Grosseltern, Tanten, Onkeln, Schwagern, Schwaegerinnen usw.) zerfiel zuerst in Kleinfamilien (Eltern und Kinder) und nunmehr noch weiter in Teilfamilien (Alleinerziehende und Kinder). Die logische Fortsetzung ist, dass auch diese Teilfamilien zerfallen werden; obwohl diese letzte Bastion blutsverwandtschaftlicher Beziehungen (naemlich die Mutterschaft) mit Zaehnen und Klauen verteidigt wird, bin ich pessimistisch, dass sie in der heutigen Form ueberleben wird.
Ob wir mit diesem Trend zu immer groesserer individueller Freiheit aber auch zu immer beliebigeren Beziehungen unseren Kindern (ich selber habe keine) einen Dienst erweisen, bezweifle ich. Ich habe mal vom Vergleich der Freiheit mit einer Schachtel gelesen. Die Schachtel wird zwar immer groesser, aber wir haben immer noch gleichviele (oder sogar weniger) Dinge, die wir in die Schachtel reintun koennen. Wozu brauchen wir eine immer groessere Schachtel, wenn schon die bestehende nicht aufgefuellt werden kann?
Die Institution Ehe zwaengt die Menschen zwar in ein Korsett, gibt ihnen aber auch Halt im Leben; letzteres jedoch nur, solange sie an die Institution glauben. Mit dem Glauben an die Ehe ist auch deren Sinn verloren gegangen. Die Ehe auf Zeit vermag zwei Menschen zwar im Moment zu befriedigen, aber wenn sie nicht an ihrer Ehe festhalten wollen und auch etwas dafuer tun, werden sie ueber kurz oder lang eine neue Ehe (oder eheaehnliche Partnerschaft) suchen, die sie haeufig genau so wenig befriedigt, wie die erste. Erst wenn man die Ehe auf solide Fundamente baut, wird sie Bestand haben. Und das solideste Fundament ist heutzutage IMHO der feste beiderseitige Wille eine Ehe zu fuehren. Daraus entwickelt sich (nicht immer aber meistens) eine Form von Vertrautheit und Zuneigung, die durchaus eine gute Basis fuer eine lebenslange Ehe sein kann. Wer seine Ehe aber nur auf Verliebtheit und schoene Gefuehle aufbaut, der baut auf Sand.

nachdenkliche Gruesse

Maesi


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