Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Quo vadis, Savvakis?

Thorsten, Tuesday, 02.08.2011, 19:13 (vor 4654 Tagen) @ Manifold
bearbeitet von Thorsten, Tuesday, 02.08.2011, 19:29

Savvakis galt mir als ein Autor mit umfassender Belesenheit und einem profundem Wissen in Geschichte, Kultur und Sprache. Gerne bin ich ihm daher bisher in seinen Ausführungen gefolgt, weil sie mich oft in geistiges Neuland geführt haben. Umso irritierter bin ich dieses Mal, als die Reise nun in Gebiete führt, in dem ich mich schon ein klein wenig auskenne.

und sobald ich dem ausnehmenden Ereignis nach der anfänglichen Irritation erste Worte angedeihen lassen konnte, ...

Laßt mich raten. Die anfängliche Irritation bestand darin, daß die Tat dieses Mal dem eigenen Lager näher stand als dem Islam.

... gehörte zu diesen auch der Satz: "Dieser Mann wollte sprechen, er wollte sich und seinen Ansichten auf die grauenvoll kalkulierte Weise Aufmerksamkeit verschaffen, er wollte gehört werden."

Und heute wissen wir auch, was er uns mitteilen wollte. Er wollte uns auf die Neuerscheinung seines 1500-seitigen Taschenbuches zum Thema Bombenbau und Bürgerkrieg hinweisen. Die ideologischen Grundlagen, die er dafür heranzieht, die sind tatsächlich dermaßen verboten und unterdrückt, daß er sie sich quer durchs Internet zusammenkopieren konnte.

Gerade nun die Methode Politische Korrektheit, die durch Okkupation der Schaltstelle Sprache das Individuum zu der Schizoidität nötigt, sich über zwei widersprüchliche Ausgaben seiner selbst zu verstehen und zu äußern,

Nun ist es natürlich richtig, daß das Verbot, eine Situation zu benennen ein wesentliches Element von Doppelbindungen darstellt, die zur Psychose führen können.

Man mag erleben, wie den eigenen Kindern der Schulgang zum Martyrium wird, weil sie dort täglich von aggressiven Einwanderersprossen gedemütigt werden, aber man muß eine realitätsimmune Kanzlerin in Videobotschaften gegen angebliche Diskriminierung der Peiniger quasseln hören.

Und genau diese Doppelbindung liegt hier eben nicht vor, denn es ist möglich, die Situation zu benennen und die Kanzlerin als realitätsimmun zu bezeichnen. Daß man damit nicht auf universelle Zustimmung stößt, das ist eine andere Sache. Man darf eine Menge sagen, aber es muß die anderen noch lange nicht überzeugen, und ja, da ist es schon mal möglich, daß man mit seiner Sicht alleine dasteht.

Gerade jemand wie Savvakis müßte eigentlich wissen, daß das einzige, was die "Kulturmarxisten" erfunden haben, der Ausdruck "Politische Korrektheit" ist. Denn Dinge, die nicht ausgesprochen werden durften, weil sie die Lehre und Werte des Systems in Frage stellen, hat es schon zu allen Zeiten gegeben. Für die katholische Kirche waren das die Häretiker und Ketzer, die Nationalisten bezeichnen ihre Gegner als Vaterlandsverräter, und in der McCarthy-Ära waren das alle suspekt, die sich irgendwie nicht weit genug vom Kommunismus distanzierten.

Das Spektrum der Meinungen, die man heute vertreten kann, scheint mir äußerst breit. Engstirnig und herdenartig verhalten sich jedoch die Menschen, die Angst davor haben, sich eine eigene Meinung bilden und diese verteidigen zu müssen. Auch das war schon immer so, und irgendjemand wird sich immer von der Mehrheitsmeinung ausgegrenzt fühlen. Dafür konnten sich Minderheiten noch nie so leicht organisieren und in ihrer Weltsicht bestätigen wie heute.

Denn vorausgeschickt, daß die zentralen Ansichten Breiviks jene gewöhnlichen konservativen Positionen darstellen, die noch vor zwanzig Jahren in den politischen Räumen gängiger konservativer Parteien beheimatet waren, und die neuerlich in sogenannten populistischen Parteien mit großem Erfolg durch breite Zustimmung reanimiert wurden,

Wäre es denn da nicht besser, wenn die konservativen Parteien einmal einen Blick auf Ihre eigene Rückgratlosigkeit und Unfähigkeit, außer der Kritik auch überzeugende Lösungen anzubieten, werfen würden, anstatt die Schuld für ihr eigenes Aufgeben von Positionen und Lösungen dem politischen Gegner in die Schuhe zu schieben? Oder haben die intelligenteren Konservativen damals erkannt, daß es für ihre alten Positionen keine vernünftigen Lösungen gab und deswegen das Feld den Populisten überlassen?

Daß die kommende Zeit den Klügeren dazu gereichen wird, das Fanal von Norwegen auch als das blutige Zerplatzen einer kulturpolitischen Blase zu begreifen, von Kräften aufgebläht, die weiter munter so vieler Seelen kulturelle Heimat "dekonstruieren", wäre zu wünschen.

Jeder Terrorist wünscht sich, mit seinem Fanal etwas zu verändern. Das einzige, was ihnen in der Regel gelingt, ist zu polarisieren und die Fronten zu verhärten.

Nach dem kulturpolitischen Un-Fall von Norwegen kann nichts bleiben wie es war.

Ein "kulturpolitischen Un-Fall", das ist der geilste Euphemismus für einen Terroranschlag, den ich je gehört habe! ;-)

Denn allzu viele sind es, die endlich sprechen wollen - sprechen und gehört werden müssen!

Jeder soll sprechen und sagen was er will, aber wen ich dann für voll nehme und wem ich meine Aufmerksamkeit schenke, das bestimme immer noch ich. Das ist der Begriff von (Meinungs-)Freiheit, die ich zu verteidigen bereit bin.

Andernfalls fände sich Norwegen in absehbarer Zeit fatal erweitert.

Und nachdem Savvakis in seinem Artikel äußert eloquent die Täter- und Opferrollen vertauscht und die Schuld dem bösen Kulturmarxismus zugeschrieben hat, darf er sich vielleicht darauf freuen, in einem solchen Fall als Autor nicht mehr übergangen, sondern ebenfalls in ein Manifest aufgenommen zu werden.

Möge uns das erspart bleiben!


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