Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

Archiv 2 - 21.05.2006 - 25.10.2012

233.682 Postings in 30.704 Threads

[Homepage] - [Archiv 1] - [Archiv 2] - [Forum]

Antwort DGB nach Schnauzbart-Aktion

so_blöd_auch_wieder_nicht, Friday, 20.02.2009, 17:06 (vor 6151 Tagen)

Ich habe im Internet den Beitrag
Aktion Schnauzbärte: Der Film
http://www.dgb-frauen.de/aktionen/bildergalerien/aktion-schnauzbaerte-berlin-1/aktion-schnauzbaerte-der-film/
gesehen.

Ich bitte daher einmal zu erklären wie denn das sein soll mit
22% weniger Lohn bei gleicher (oder gleichwertiger) Arbeit ?

Im öffentlichen Dienst gibt es ein klares Bezugschema.
In der Wirtschaft Kollektivverträge,..
Bei keinem von beiden wird geschlechtsspezifisch
unterschieden.
Ausserdem wäre es unlogisch Männer einzustellen wenn Frauen,
das Gleiche um 22% billiger erledigen würden.

Kommt dann heraus, dass Teilzeit nicht genauso bezahlt wird
wie Fulltime?
Alle hätten das Gleiche zu verdienen unabhängig vom Einsatz
und der Leistung wurde aber auch nie in der römischen
Verträgen von 1958 Artikel 19 festgeschrieben.

Für mich klingt, dass nicht nach dem Versuch eines
Miteinanders in die Zukunft bei gleichen Rechten und
Pflichten, sondern nach einem Verhetzen eines Teiles der
Bevölkerung (den Frauen) gegen einen anderen (die Männer).

Ich bitte Sie daher, mir den tatsächlichen Sachverhalt zu
erklären (bitte auch um die Quellen ihrer Information denn
ich habe 2 Töchter und wünsche für sie, dass es eben eine
echte Gleichberechtigung gibt)

Vielen Dank

und freundliche Grüße
-----------------------------------------------------
Antwort:
Sehr geehrter Herr,
meine folgenden Ausführungen zu Entgeltunterschieden von Frauen und Männern
beziehen sich auf die Situation in Deutschland, die aber von der Lage in
Österreich (ich war dort viele Jahre als Gleichbehandlungsanwältin tätig)
nicht allzu verschieden ist.

Entgeltunterschiede haben eine Fülle von Ursachen, die im Wesentlichen auf
der Tarifvertragsebene und in strukturellen Merkmalen zu finden sind.
Tarifverträge sind nicht geschlechtsneutral, Tätigkeiten und Berufe, die
überwiegend von Männern ausgeübt werden, werden immer noch durchschnittlich
höher bewertet als typische Frauentätigkeiten und Berufe.
Diskriminierungsfreie Bewertungssysteme in den hunderttausenden
Tarifverträgen umzusetzen, bedeutet eine ständige Herausforderung der
Sozialpartner.
Wählen junge Frauen daher einen typisch weiblichen Beruf, so müssen sie auf
ihre Lebenszeit gerechnet mit deutlich weniger Einkommen auskommen.
Aber auch Merkmale, wie die Betriebsgröße (Großbetriebe zahlen besser, Frauen
finden sich eher in kleinen Unternehmen), das Alter (je älter desto größer
die Entgeltunterschiede, nicht zuletzt deswegen, weil Frauen ab 30 bei der
Bekleidung von Führungsfunktionen hinter die männlichen Kollegen stark
zurückfallen) und die Dauer der Betriebszugehörigkeit spielen eine Rolle. Bei
letzterem werden auch unabhängig von Erwerbsunterbrechungen von Frauen im
Zuge der Erziehung von Kindern eine längere Betriebszugehörigkeit von Männern
höher entwertet als die von Frauen. (Siehe zu all diesen Themen auch den
WSI-FrauenDatenReport2005)
Fast jede zweite Frau in Deutschland arbeitet in Teilzeit.
Natürlich sind die von uns angeführten Statistiken "teilzeitbereinigt", d.h.
die 24% Entgeltunterschiede ( Statistisches Bundesamt August 2008) basieren
auf Stundenlohnbasis.
Denn die Höhe des Einkommens pro Arbeitsstunde ist abhängig von ihrer
geleisteten Arbeitzeit. Der Bruttostundenlohn ist für Tätigkeiten mit weniger
als 15 Stunden deutlich geringer als für umfangreichere Teilzeitarbeit oder
Vollzeitarbeit. ( Siehe WSI-FrauenDatenReport2005) Die Auswirkungen treffen
überproportional Frauen, da Männer selten Teilzeit arbeiten. Teilzeitarbeit
ist darüberhinaus in der betrieblichen Praxis ein Hemmschuh für Karriere- und
Aufstiegsmöglichkeiten während für Männer in Führungsfunktionen oft häufige
Abwesenheiten wegen zahlreichen Aufsichtsratsmandaten und anderen
Nebenbeschäftigungen vereinbar sind.

Neben den bisher beschriebenen Einkommensunterschieden bleibt noch die
Einkommensdiskriminierung. Denn ein großer Teil der Einkommensunterschiede
lassen sich nicht über die oben angeführten und bekannten Merkmale
rechtfertigen und die Wissenschaftlernnen nennen diesen nicht erklärbaren
Unterschied, der in der Regel bei der Umsetzung von Tarifverträgen in der
betrieblichen Praxis zustande kommt, Diskriminierung aufgrund des
Geschlechts. Dieser Anteil liegt zwischen 11 und 24%.
Diese hat wiederum zahlreiche Ursachen, von unterschiedlicher Eingruppierung,
Zulagensystemen, die eher für Männerarbeitsplätzen zugute kommen, bis hin zu
Vorbehalten gegenüber Frauen und traditioneller Geringschätzung ihrer Arbeit.

Ich hoffe, dass Ihnen meine Ausführungen zu einem größeren Verständnis
geholfen haben und verweise auch gerne auf die Website der
Hans-Böckler-Stiftung bzw. des WSI, wo sich weiteres Datenmaterial findet

Mit freundlichen Grüßen

Ines Grabner-Drews
DGB-Bundesvorstand
Bereich Gleichstellungs-und Frauenpolitik
Henriette-Herz-Platz 2
10178 Berlin

Tel: 030 24060-766
Fax: 030 24060-761
Mail: ines.grabner-drews@dgb.de

" Ich bin mehr wert" - die frauenpolitische Initiative des DGB
www.dgb-frauen .de


gesamter Thread:

 

powered by my little forum