Re: Tutzinger Tagung - Solidarität statt Krieg
Als Antwort auf: Re: Tutzinger Tagung - Solidarität statt Krieg von Norbert am 04. April 2002 23:07:09:
Hallo Norbert!
Es mag aber sein, daß solche Erfahrungen von Frauen in Wirklichkeit nicht stärker, sondern NUR BEWUSSTER empfunden werden.
Ich ..... komme zu demselben Ergebnis wie die zitierten Teilnehmerinnen der Tagung, nämlich daß sich sowohl das Erleben von Gewalt als auch das Ausüben von Gewalt bei Männern und Frauen sehr stark unterscheiden.
Ich habe das Gefühl, daß dies nur eine kulturell bedingte Sozialiation bewirkte.
Du sprichst von den Ursachen. Ich werte das mal so, daß Du der Tatsache an sich, nämlich einer Unterschiedlichkeit im Gewalterleben und Gewaltausüben, nicht widersprichst.
Männer redeten bislang nicht viel von ihren Gefühlen, es war für sie ein Tabu.
Es war? Ist es doch noch heute. Schau Dir nur mal die Männer hier in diesem Forum an! Da gibt es welche, die schon auf das Wort "Gefühl" allergisch reagieren, als wäre das was Anrüchiges.
Aber Männer haben nun mal genauso Gefühle wie Frauen auch. Sie sind schließlich keine seelenlosen Geschöpfe, deshalb hat es keinen Sinn, wenn sie sich hinter vermeintlicher Sachlichkeit verschanzen und ständig den Kopf einschalten, aber das Herz lieber ausschalten.
Und sie wurden in ihrem Schweigen nur bestärkt, durch die Ausübung der gesellschaftlichen Gewalt, die sie nicht hören wollte!
Manchmal scheint mir, daß Männer diese aber auch überschätzen. Die Angst davor, sich den eigenen Gefühlen zu stellen, sie bewußt wahrzunehmen UND auch noch darüber zu reden ist oft unangemessen groß.
Selbst erlebt.
Was genau hast du denn erlebt? Was ist passiert, wenn Du über Deine Gefühle sprechen wolltest?
Die Traumatisierung von mir selbst, auch durch unfaire Gerichtsverhandlungen, Jugendamtsmitarbeiterinnen, Psychopathinnen usw. erlebte ich recht intensiv.
Ja, das glaub ich dir sofort. Ich hab selber eine sehr schmerzhafte Scheidung hinter mir. Es war der größte Schmerz, den ich je erlebt habe. Ich hatte vorher keine Ahnung, daß seelische Schmerzen so schlimm sind, viel schlimmer noch als körperliche. Ich war monatelang wie betäubt, hab nur noch wie in Trance reagiert. Die Arbeit in meinem Beruf hat mich damals wunderbar abgelenkt. Ich hab funktioniert, damit ich nicht wieder anfange zu grübeln. Ich hab mindestens ein halbes Jahr gebraucht, bis ich erstmals auch in meinem nahen Umfeld darüber reden konnte - ohne gleich in Tränen auszubrechen.
Die Möglichkeiten darüber zu reden hielten sich in Grenzen. Schweigen und Ertragen wurde vielfach verlangt.
Wo wurde das verlangt und von wem? Kannst Du mal ein Beispiel bringen?
Meine Erfahrung war, daß ich durchaus darüber hätte reden können - wenn ich mich getraut hätte. Im Anfang ist es aber sowieso leichter, mit Fremden darüber zu reden. Etwa bei der Telefonseelsorge oder einer Selbsthilfegruppe. Dafür eignet sich auch das Internet sehr gut, da kann man anonym bleiben.
Es ginge anderen noch viel schlimmer (vom reinen Hörensagen).
Hilfen, keine.
Das bezweifle ich. Es gibt so viele Gruppen inzwischen. Bei der Männerseelsorge der Kirchen. Bei den Familienbildungsstätten. Bei den psycholog. Beratungsstellen. In der Volkshochschule etc.
Nur leider ist einfach die Hemmschwelle oft viel zu groß.
Ich selber habe mehrere Semester lang Seminare zur Scheidungsberatung, auch welche speziell für Unterhaltspflichtige, angeboten. Die meisten sind nicht zustandegekommen wegen Mangel an Interessenten. Aber Betroffene gibt es mehr als genug.
Deshalb muß in diesem Kontext unbedingt stärker differenziert werden.
Genau hier ist m.E. ein Gedankenfehler.
Nicht die Traumatisierten benötigen diese Differenzierung.
*schonwiederschmunzel*
Weiter unten kommst du aber genau zu meinem Ergebnis:
Würden die 'Professionellen' Helfer geschlechtsunabhängig Hilfen geben, ohne selbst die Klischees hervorzukramen, wäre schon viel geholfen.
Gebt Männern nur mal wirklich die Möglichkeiten zu ihren Gefühlen zu stehen, wie es den Frauen schon lange zugestanden wird.
Um Männern wirklich die Möglichkeit zu geben, zu ihren Gefühlen zu stehen, müssen aber doch wohl die derzeitigen gesellschaftlichen Verhältnisse und Geschlechterrollenstereotypien berücksichtigt werden.
Es scheint nicht zu reichen, geschlechtsneutrale Angebote zu machen.
Nicht die Helfer sind schuld, wenn die betroffenen Männer ausbleiben, sondern die Vorstellungen in den Köpfen der Betroffenen selber.
Es liegt am Männlichkeitsbild vieler traumatisierten Männer, daß sie Hilfe oft gar nicht annehmen können.
Hab ich persönlich schon oft erlebt.
Ich kenne Männer, die Dinge erlebt haben, die mir die Haare zu Berge stehen lassen. Ich habe versucht, ihnen zu helfen, aber sie haben abgelehnt. Und lieber verdrängt, verharmlost, verleugnet.
> > Sehr viele Männer, die mir über Gewalterfahrungen berichteten, haben trotzdem "weiterfunktioniert", haben evtl. durch erhöhten Einsatz im Beruf (workaholism) versucht einiges zu kompensieren.
Richtig, leblos, gefühllos weiterfunktioniert, oder auch nicht.
Warum ist die Selbstmordrate bei Männern wesentlich höher?
Selbstmord ist wohl die extremste Form der Autoaggression?
Leider auch die törichteste. Sie ist unwiderruflich. Die Betroffenen haben versäumt, sich helfen zu lassen. Bei Frauen gibt es viel mehr mißglückte Selbtmordversuche, die für das Umfeld einen Hilferuf darstellen. Bei Männern gibt es viel mehr erfolgreiche Selbstmorde.
So gesehen hast du recht, daß Gewalterfahrungen bei Männern sogar schwerwiegender sind als bei Frauen. 
Ich halte die Differenzierung in der genannten Form für falsch.
siehe oben.
Als einzigen Unterschied akzeptiere ich z.Z., daß den Männern mehr Zuspruch gewährt wird, daß sie sich von der fehlgeleiteten Sozialisation lösen können, und über die Täterinnen und ihre eigenen Gefühle offen reden können.
Ja. Und wie stellst Du Dir das ganz konkret vor? Was hätte Dir z.B. geholfen, Dich mitzuteilen?
Dieses sollte aber nur für eine Übergangszeit gelten.
Und danach?
Wenn erstmal Geschlechterunterschiede aufgehoben sind, ist natürlich kein Anlaß mehr für Differenzierung gegeben. Das ist klar. Aber noch sind wir ja nicht soweit.
Vertrauen ist keine Einbahnstraße.
Doch gewährt wird sie nur dem der sie sich verdient.
Ich hatte zu viel vertraut, stehe deshalb vor meinem psychischen und finanziellem Ruin.
Ich 'durfte' feststellen, daß vor allem Frauen mein Vertrauen ausnutzten.
Ist eine üble Lehre.
Ich sehe nun einige Male öfter hin, bevor ich mich jemandem anvertraue.
Auch ein 'Verdienst' von Feministinnen.
Wenn du den Mut hast, wirst Du die Erfahrung machen, daß Vertrauen trotzdem erfolgreicher ist als Mißtrauen. Vertrauen kann man üben.
Ich selber bin zwar in den letzten Jahren ein paar mal derbe auf die Nase gefallen, bin gebranntes Kind. Die Scheidung allein hatte wohl nicht gereicht. Aber ich rappel mich immer wieder auf und staune, welch Riesenreservoire an Vertrauen ich immer noch aufbringe.
Trotz aller Enttäuschungen kann ich nur sagen, daß es sich immer wieder lohnt. 
ciao
Beatrix
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