Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: interessanter Spiegel Artikel zur Jungenbenachteiligung in der Schule

Garfield, Tuesday, 08.10.2002, 17:41 (vor 8465 Tagen) @ Beatrix

Als Antwort auf: Re: interessanter Spiegel Artikel zur Jungenbenachteiligung in der Schule von Beatrix am 07. Oktober 2002 19:17:19:

Hallo Beatrix!

Ich denke, ein Grund dafür liegt einfach darin, daß Kindern heute keine Selbstdisziplin und keine Eigenverantwortlichkeit mehr beigebracht werden.

Genau das war in früheren Zeiten eben anders. Noch vor 100 Jahren mußten auch Kinder so früh wie möglich überall mit anpacken und oft auch zum Lebensunterhalt der Familie beitragen. Das war zwar oftmals durchaus hart, aber es hatte zumindest den positiven Effekt, daß sie so schon frühzeitig mit dem realen Leben bekannt gemacht wurden und deshalb dann eben genau diese Selbstdisziplin und die Bereitschaft, Verantwortung für sich selbst und auch für andere zu übernehmen, lernten.

Heute wird noch im ersten Schuljahr fleißig gespielt und die Politik schafft immer neue Gesetze, die Kindern in immer mehr Hinsicht absolute Narrenfreiheit einräumen und somit die Eltern dahingehend beeinflussen, sich den Streß der Kindererziehung gleich ganz zu ersparen und die Kinder einfach tun zu lassen, wozu auch immer sie gerade Lust haben. Zumal es ja auch immer öfter vorkommt, daß beide Elternteile aus finanziellen Gründen arbeiten müssen und dann entsprechend weniger Möglichkeiten haben, um sich um die Kinder zu kümmern.

Während ein Hundebesitzer sich darüber Gedanken machen kann, wie er seinem Hund beibringt, daß er nicht mehr als 50mal am Tag bellen darf, ist es heute völlig okay, wenn ein Kind sich direkt neben das Schlafzimmer anderer Leute stellt und dort ohne irgendeinen Grund aus Leibeskräften brüllt. Und wenn ein Kind ein parkendes Auto beschädigt, bleibt der Besitzer des Autos nicht selten auf dem Schaden sitzen, und zwar auch dann, wenn er sogar nachweisen kann, wer den Schaden verursacht hat.

Dabei lernen die Kinder immer wieder vor allem eines: Daß es völlig okay ist, einfach zu tun, was man möchte, ohne dabei irgendwelche Rücksichten auf andere Menschen zu nehmen.

Wenn das dann wenigstens noch in Kindertagesstätten und Schulen ausgeglichen werden würde, dann wären die Auswirkungen vielleicht nicht ganz so fatal. Aber da wirken mittlerweile auch die Grundsätze der antiautoritären Erziehung. Offensichtlich sind Disziplin und Leistungsbereitschaft bei den Schulanfängern heute deutlich schwächer ausgeprägt als in früheren Zeiten. Das stellt natürlich höhere Anforderungen an die Erzieher, denen viele aber offenbar nicht gerecht werden und eigentlich auch kaum noch gerecht werden können. Während früher Lehrer, die es nicht schafften, ihre Schüler dazu zu bringen, dem Unterricht einigermaßen zu folgen, schnell wieder aus den Schulen verschwanden, können solche "Lehrer" heute die Grundsätze der antiautoritäten Erziehung prima als Alibi für ihre eigene Trägheit oder Unfähigkeit nutzen.

Als meine Verlobte nur ein paar Jahre nach ihrem Schulabschluß nochmal einen Lehrer an ihrer alten Schule besuchte, sah sie da in einem Klassenzimmer die Schüler tatsächlich über die Tische laufen. Noch ein paar Jahre vorher war sowas undenkbar gewesen. Sie fragte den Lehrer, was denn da los sei. Der sagte dazu nur: "Ach, das ist hier jetzt neuerdings so üblich."

So schieben sich Eltern und berufsmäßige Erzieher den Schwarzen Peter der Kindererziehung gegenseitig zu, mit dem Ergebnis, daß die Kinder zunehmend überhaupt nicht mehr erzogen werden. Selbst wenn Eltern noch verantwortungsbewußt handeln und sich darum bemühen, ihre Kinder richtig zu erziehen, dann kann das alles wieder schnell zunichte gemacht werden, sobald die Kinder in der Schule oder sonstwo Kontakt mit anderen Kindern haben, die gar nicht mehr erzogen wurden.

Meine Verlobte war neulich mal bei der Frau, die schräg über uns im Haus wohnt. Die hat einen Jungen. Schon als meine Verlobte vor der geschlossenen Wohnungstür stand, hörte sie aus der Wohnung einen enormen Lärm. Sie klingelte, die Frau öffnete, und jetzt war der Lärm noch lauter. Der Junge randalierte da offenbar in irgendeinem Zimmer herum. Der brüllte da laut und immer wieder rumste es da hinten. Es klang so, als hätte die Mutter ihn genervt in seinem Zimmer eingeschlossen und als würde er jetzt da immer wieder gegen die Tür springen und treten. Und genauso war es wohl auch.

Solche Verhaltensweisen sind aber nur die logische Konsequenz der heutigen (V)Erziehungsmethoden. Allerdings bin ich mir nicht so sicher darüber, wieso Jungen davon offenbar mehr betroffen sind als Mädchen.

Wahrscheinlich hat das mehrere Gründe. Ich kann mir gut vorstellen, daß Eltern Mädchen immer noch stärker dahingehend erziehen, brav und ruhig zu sein. Bei Jungen dagegen sehen es wohl immer noch viele Eltern als normal und richtig an, wenn sie sich möglichst gut austoben. So wirkt die antiautoritäre Erziehung bei Jungen fataler. Das ist wohl tatsächlich einer der wenigen Punkte, wo von Jungen bzw. Männern heute weniger verlangt wird als von Mädchen bzw. Frauen.

Dann kommt noch dazu, daß Jungen von ihren Eltern häufiger bestraft werden. Wenn sie denn überhaupt noch für irgendetwas bestraft werden. Da viele Eltern heute bei der Erziehung eher inkonsequent sind und es häufig nicht mehr schaffen, den Kindern klare Grenzen zu zeigen, werden Strafen von den Kindern wohl schneller als ungerecht empfunden, und das erzeugt Frust. Da Jungen öfter bestraft werden, staut sich bei ihnen mehr Frust auf.

Die Erzieher sind dann insbesondere in Kindertagesstätten und in den unteren Schulklassen vor allem weiblich. Überhaupt ist der Unterricht heute mehr auf die Talente von Mädchen zugeschnitten als auf die Talente von Jungen. Das wirkt auf Jungen noch zusätzlich demotivierend.

Und es ist wohl immer noch so, daß Mädchen häufig von Natur aus fleißiger sind und einfach mehr für den Unterricht tun als Jungen. Das war in meiner Schulzeit auch schon so. Unter den besten Schülern in meiner Klasse waren immer mehr Mädchen als Jungen. Allerdings war es bei fast allen dieser Mädchen so, daß sie in keinem Fach besonders herausragende Leistungen brachten. Sie erreichten ihre guten bis sehr guten Zensuren meist vor allem durch fleißiges Lernen oder auch mal durch Abschreiben. Insbesondere in den naturwissenschaftlichen Fächern lagen immer die Jungen vorn, und das, obwohl sie meist kaum etwas dafür getan haben. Sie kamen damit einfach besser zurecht, und so manches Mädchen hat seine guten Zensuren in solch einem Fach nur dadurch erreicht, daß sie sich neben einen Jungen gesetzt hat, der gut in dem Fach war und von dem sie zuweilen abschreiben konnte.

Heute dagegen haben die Naturwissenschaften nicht mehr solch eine große Bedeutung. Außerdem gibt es auch da mittlerweile recht fragwürdige Unterrichtsmethoden, die auch gar nichts mit dem Geschlecht der Lehrkraft zu tun haben. Die Klassen sind heute größer als früher und somit haben die Lehrer nicht mehr soviel Zeit für einzelne Schüler. Sie sind deshalb auch bestrebt, Klassenarbeiten so zu gestalten, daß sie beim Kontrollieren möglichst wenig Arbeit haben. In der Schulzeit meiner Verlobten sah das im Mathematik-Unterricht so aus, daß dort genau vorgegeben war, welchen Rechenweg man zu verwenden hatte. Wer sich nicht 100%ig daran hielt, bekam auch bei richtigen Ergebnissen Punktabzüge. Ich stand in meiner Schulzeit in Mathematik meist 1.0, aber unter solchen Bedingungen hätte ich wohl auch nur eine 3 oder bestenfalls eine 2 in Mathe gehabt. Man muß sich das mal vorstellen: Da sitzt dann vielleicht ein angehendes mathematisches Genie in der Klasse, dem nun bei einer Aufgabe ein besserer Rechenweg einfällt, und trotzdem er so alle Aufgaben korrekt löst, bekommt er dafür eine 5 oder sogar eine 6, weil er den falschen Rechenweg verwendet hat... Während jemand, der das Ganze eigentlich gar nicht wirklich verstanden aber alles fleißig auswendig gelernt hat, eine 1 bekommt und vom Lehrer gelobt wird.

Gerade bei Schülern, die wirklich talentiert sind, erzeugt so etwas Frust und Resignation. Und dann hören sie eben im Unterricht nicht mehr zu oder entwickeln irgendwann sogar Verhaltensstörungen.

Der Unterricht ist heutzutage voll auf durchschnittlich intelligente Kinder eingerichtet. Mittlerweile ist bewiesen, daß bei Frauen die Mehrheit durchschnittlich intelligent ist, während es unter Männern mehr Exemplare gibt, die entweder überdurchschnittlich oder aber auch unterdurchschnittlich intelligent sind. Und beide Gruppen haben mit dem heutigen Schulsystem Probleme. So ist es auch deshalb ganz klar und logisch, daß davon Jungen häufiger betroffen sind als Mädchen.

Jungenbeauftragte können kaum eines dieser Probleme lösen, aber sie können diese Probleme endlich öffentlich zur Sprache bringen und somit wesentlich dazu beitragen, daß endlich mal wirklich nach Lösungen gesucht wird.

Freundliche Grüße
von Garfield


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