Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Altenteil/Ausgedinge

Donna Amaretta, Friday, 11.09.2009, 03:02 (vor 5953 Tagen) @ Mustrum

Früher gab es im ländlichen Raum das sog. "Altenteil". Der Hof wurde von
idR einem Sohn übernommen, die Eltern zogen sich aufs "Altenteil"
(Nebengebäude oder eigener Wohntrakt im Hof) zurück, aber sie verließen die
Familie niemals.

Finde ich humaner als die heutigen Zustände, in denen die Familie nur eine
vorübergehende Erscheinung sein soll.

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Die Alten im Dorf, das Altenteil oder Ausgedinge

Beiträge zur Geschichte der Niederlausitz und des Dorfes Kossenblatt

Ein Ausflug in die Geschichte der Niederlausitz

Auf dieser Seite findet man Geschichtliches zum Thema Gemeinderecht,Kirche und Schule,Wald und Wasser,
Fluraufteilung etc. sehr detailliert beschrieben.

So gibt es auch einen Text zum Thema "Altenteil", zu finden unter "Die Alten":
Die Alten bilden eine gesonderte Schicht, sie "sitzen" auf dem Altenteil oder Ausgedinge.(Teil 6)

Direkt darunter ist dieser Text eingestellt:
"Ein Altenteil"-Das Altenteil der Büdnerwitwe Kanzler aus Kossenblatt gibt Einblicke in die Lebensverhältnisse
(die tägliche Nahrung und Wohnung) wie sie um das Jahr 1850 auf dem Dorf Kossenblatt gegeben waren.(Teil 7)

Es geht um die Versorgung und den Umgang mit Alten auf dem Lande.
In den Städten sah das wahrscheinlich wieder anders aus.
Darüber habe ich jedoch noch nicht genug Material sammeln können.

Die einzelnen Links kann man nicht posten, erst beim Besuch der Seite
kann man die Themen öffnen.

Ich habe einiges herausgenommen, es lohnt sich, die Seite zu besuchen und alles durchzulesen.

Auszüge:

Teil 6
"Die Institution des Altenteils oder Ausgedinges ist erloschen. Es war eine sehr wichtige
und das Leben der Generationen prägende Institution auf den Dörfern.
Das Ausgedinge, in unserer Gegend landläufig das Altenteil genannt, sicherte den Lebensunterhalt
der alten Leute nach der Übertragung des Hofes an die nachfolgende Generation.
In der Regel lebten auf den Höfen drei Generationen gemeinsam in einem Haus. Die Häuser waren
bereits so gebaut, dass der Wohnraum für die Alten in den Altenteilstuben sichergestellt war.
Das war auch an der Schafbrücke so. Drei Generationen von Altenteilern bewohnten nacheinander
die gleichen Räumlichkeiten im Haus.
(...)
Konflikte waren vorprogrammiert. Sie waren naturgemäß auf dem Hofe angesiedelt, die vom Hofe
scheidenden Kinder waren daran unmittelbar nichtbeteiligt, was häufig genug zusätzlichen Zündstoff
in den Familien lieferte.
(...)
In den Ausgedingebedingungen waren die Leistungen, die die junge Generation den Altenteilern
gegenüber zu erbringen hatten, bis ins Kleinste festgeschrieben. Wohnung, Heizmaterial,
Petroleum für die Lampe selbstverständlich. Essen am Tisch des Wirtes oder wenn dies wegen
Zerwürfnissen unzumutbar wurde, dann die Lieferung von festen Sätzen an Lebensmitteln.
Selbst Kleinigkeiten, wie Abortbenutzung und Wasser von der Pumpe, waren festgeschrieben.
(...)Aus dem Leben in den Dörfern, und aus alten Berichten ist jedenfalls deutlich, dass es oft
genug zu Streit, selbst zu gerichtlichen Auseinandersetzungen, gekommen ist .
(...)Wer so scharf aufpassen musste wie die Alten jener Zeit, dass er sich im Alter nicht mittellos
unter den Dorfarmen wiederfand, der wurde misstrauisch und sicherte sich so gut es ging ab.
Ersparnisse hatte man nicht, die waren auf die eine oder andere Weise in den Hof geflossen,
er musste im Alter ernähren. Den Jungen wird es aber oft genug so erschienen sein,
als ob sie die Alten nährten. Ganz unrecht hatten sie damit auch nicht.
So ergab schließlich Eines das Andere.
Was Wunder, dass die Alten eine sehr aktive Heiratspolitik mit ihren Kindern betrieben.
Schließlich war man ihnen im Alter ausgeliefert.(...)Genug abschreckende Beispiele menschlichen
Wolfsverhaltens, die solcherart Vorsorge rechtfertigt oder wenigstens erklärt, hat es zu jeder Zeit
gegeben. Die Auswahl der Schwiegerkinder hatte damit ganz handfeste und nachvollziehbare
Eigeninteressen im Hintergrund.(...)
Nein, eine Idylle war das Leben auf den Höfen, wenigstens in dieser Hinsicht, zu jener Zeit nicht.(...)
Vieles hing eben auch damals von den menschlichen Charakteren ab, die aufeinandertrafen.

Teil 7
Vorbemerkungen
(...) Ein Büdneraltenteil ist sicher sehr viel weniger als ein Bauernaltenteil.
Die soziale Struktur in Kossenblatt um 1850
Die weitaus größte Anzahl der in der Mitte des 19. Jahrhunderts in der Niederlausitz lebenden Menschen
waren dem Stande nach Büdner und Kossäten. Kossäten hatten immer ein Stück Land und einen größeren
Anteil am Hutungsrecht in der Gemeine als die Büdner. Büdner hatten meist keinen Landbesitz,
manchmal eine kleine Fläche. Leben konnten sie davon keinesfalls. Sie waren auf Erwerb angewiesen,
fanden Arbeit auf den Gütern als Landarbeiter oder Saisonarbeiter, zunehmend auch als kleine Dorfhandwerker.
Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts finden wir in Kossenblatt 4 Bauern, 14 Kossäten, 22 Altbüdner,
3 Neubüdner mit Parzellenbesitz sowie 6 Neubüdner ohne Parzellenbesitz
(...)

Aus dem Jahr 1859 ist das "Altentheils Dokument" der Büdnerwitwe Anna Louise Kanzler aus Kossenblatt,
ausgefertigt vom Rechtsanwalt und Notar Hermann Albert Julius Pfeiffer, erhalten.

Ihr war 1854 der Ehemann gestorben, und sie lebte seither mit ihren drei unmündigen Kindern allein
auf der Büdnerwirtschaft an der Schafbrücke. Als die älteste auf dem Hof lebende Tochter,
die 19jährige Berta Eberhardine 1859 heiratet, verkauft die Büdnerwitwe dem Schwiegersohn
die Büdnerwirtschaft. Im Kaufvertrag ist der Unterhalt und die Erziehung der unmündigen Kinder der Witwe
(ihre Tochter Friederike 17 Jahre und ihr Sohn August 12 Jahre) sowie ihr eigener Unterhalt,
ihr Ausgedinge oder Altenteil festgeschrieben.
Das Altenteil, das hier betrachtet wird, ist ein Neubüdneraltenteil, eines aus einer Büdnerei ohne Hütungsrecht,
jedoch mit einem Parzellenbesitz. Da die Altenteilerin, wie wir noch sehen werden, sich u. U. die Nutzung einer
Kuh vorbehalten hat, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass dieser Parzellenbesitz die Haltung
zweier Kühe gestattete. Es ist nicht anzunehmen, dass der Träger des Altenteiles sich in Gefahr begeben hat,
im Streitfall seine einzige Kuh zu verlieren.
Betrachtet man die Situation der am Altenteil beteiligten Parteien im sozialen Gefüge des Dorfes,
dann sind sie unter den Büdnern wohl bei den "Bessergestellten" einzuordnen. Immerhin gehörte zur
Büdnerei ein gewisser Parzellenbesitz, über welchen die meisten Büdnerstellen nicht verfügten.
Möglicherweise ist daher auch die Lebenssituation unserer Parteien so sehr verschieden nicht von
der mancher Kossäten gewesen. Auch jene konnten im allgemeinen nicht mehr als zwei Kühe halten.
Unsere Parteien hatten also keine herausragende Situation, weder im Positiven noch im Negativen.
Viele, sehr viele Menschen werden seinerzeit im Dorf ähnlich gelebt haben wie jene Parteien.

Das Ausgedinge für die Witwe sah folgende Leistungen des neuen Wirtes vor:

• Die Benutzung der kleineren der beiden im Haus befindlichen Stuben.
• Die Mitbenutzung des Hausbodens
• Gehauenes Holz für die Heizung der Stube
• Die erforderliche Beleuchtung, also Kerzen bzw. Lampe und Petroleum
• Auslangende Kost am Tisch des Wirtes
• oder statt desselben nach der Wahl der Ausgedingerin:
• a: die Benutzung des zweiten Schweinestalls sowie des bei demselbigen liegenden Hofraumes
in der Fläche von einer Quadratruthe (dh: von etwa 14 m2).
• b: die Benutzung des zweiten Rückens Land im Kohlgarten, sowie eines Rückens Land von zwei
Metzen Aussaat im Mühlfelde, welche Ländereien der Wirt jährlich düngen muss.
• c: das zum Kochen, Backen, Waschen und Brühen des Viehfutters erforderliche Brennholz,
in kleingehauenem Zustand, wobei der Verkäuferin das Recht zusteht, im Kamin des Wirtes in der
Wirtsstube zu kochen.
• d: die Hälfte der Grasnutzung im Hausgarten.
• e: eine Kuh in freiem Futter und Stallung, wobei aber dem Käufer das Recht zusteht,
dieselbe jederzeit zur Bearbeitung seiner Ländereien zu benutzen.
• f: zu Michaelis jedes Jahr die Lieferung eines halben Wispels gute, dauerhafte und ausgelesene Eßkartoffeln
Dazu alljährlich in Quartalsraten:
• 50 Pfund Schweinefleisch
• 4 Metzen Salz
• 5 Thaler Taschengeld
• 4 Scheffel Korn
• jährlich den Dritten Teil des Obstgewinns
• die erforderliche Wäsche
• die Aufwartung und Pflege im Krankheitsfall sowie die Kurkosten und das ortsübliche Begräbnis,
wofür dem Wirt die Ausgedingekuh, wenn solche gehalten wird, zufällt.
Der Wert des Ausgedinges wurde auf 25 Taler jährlich veranschlagt.
(...)

Wohnverhältnisse

Aus den Beschreibungen im Altenteildokument wissen wir, dass die Büdnerhütte eine "größere Stube"
(in welcher auch gekocht wurde, die Altenteilerin behielt sich das Recht, die dortige Feuerstelle zum
Kochen zu benutzen ausdrücklich, vor), "eine Kammer" und "hinter ihnen liegend eine kleinere Stube" hatte.
Im Ausgedingedokument heißt es zum Kochrecht wörtlich: "... wobei der Verkäuferin das Recht zusteht,
im Kamin des Wirts in der Wirtsstube zu kochen". Offenbar war diese Kochgelegenheit die einzige im Haus
und dazu noch eine offene Feuerstelle, deren Rauch von einem Kamin abgefangen wurde.
Der Wohn- und Schlafraum der jungen Familie war demnach ein sogenannter Schwarzer Raum.
Dort nahmen alle im Hause wohnenden die Mahlzeiten ein, dort schliefen mindestens drei Personen,
später als die junge Familie wuchs, auch mehr.


Insgesamt lebten in dieser Hütte zu jener Zeit 6 Personen, die sich in die beiden Räume teilen mußten.
Betrachtet man die aus dem Altenteildokument ablesbaren Lebensbedingungen in den Büdnerhütten
damaliger Zeit, so fällt es nicht schwer zu erkennen, wie Nahrung und Wohnung sich in ihrer Dürftigkeit
begegneten, sich geradezu ergänzten. In der warmen Jahreszeit mochte dies alles noch angegangen sein.

Man hatte Feld und Wald, Wiese und Wasser. Wenn es zu eng wurde in der Hütte, konnte man ausweichen.
In der kalten Jahreszeit war dies hingegen nur schlecht möglich.

So oder doch so ähnlich lebten die meisten Menschen in den Dörfern unserer niederlausitzer Heimat
vor etwa 150 Jahren.
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Es ist wirklich notwendig, die Seite zu besuchen und die Texte vollständig zu lesen.
Nur dann erhält man ein facettenreiches Bild der Lebensumstände.

Selbstverständlich denken und empfinden wir aus heutiger Sicht alles heimeliger, einander zugewandter,
FAMILIENORIENTIERTER, wärmer, weniger einsam.
Die "gute alte Zeit" , in unseren verklärenden Augen und angesichts der Zustände hier sehnsüchtig
zurechtbiegend.
Zu allen Zeiten und unter allen Umständen war es jedoch so, das Menschen, Frauen wie Männer,
alles zwischen Bestie und Engel waren, und somit jede Epoche und das Leben darin ihre ureigensten
Konflikte in sich trug.
So kann das Altenteil, in dem der Großvater und die Großmutter, die Altbauern, auf dem Bänkchen
vor dem Hause hockten, während die jüngsten Enkel auf dem Hof herumtollten, die Älteren
die Alten mit Fragen nach Gott und der Welt durchlöcherten, eine heile, fast paradiesische Welt gewesen sein.
Im Kontrast dazu konnten die Jungbauern den alten Eltern das Leben zur Hölle machen,
in einer Quelle las ich von einer Jungbäuerin, die der alten Mutter nicht genug zu Essen zukommen ließ,
ihr das Federbett für den Winter nahm, und mit ihrem Mann einig darauf wartete, das die lästige Fresserin
endlich das Zeitliche segnet.
In anderer Quelle las ich von einer Jungbäurin, die ihre Alten liebevoll betreute, und wo der Jungbauer
die garstige Schwiegermutter des Hofes verwies.

LG Donna Amaretta


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