Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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moderner Pranger

Tarzno, Monday, 27.07.2009, 14:46 (vor 5997 Tagen) @ RogerP

Diesen modernen Prangern gehört meiner Meinung nach schon längst ein Riegel
vorgeschoben. Nicht alles darf öffentlich sein oder öffentlich gemacht
werden. Ich hoffe, das Verfassungsgericht ist vernünftiger

Sehe ich auch so, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Ein echtes Assessment der Leistung wird idealerwesie von Fachleuten nach verbindlichen Kriterien vorgenommen - Schülern eine auch nur halbwegs objektive Beurteilung ihrer Lehrkräfte zuzutrauen ist schlichtweg lächerlich. Bestenfalls werden die Beurteilungen von persönlichen Vorlieben bestimmt; schlimmstenfalls werden sie aus Rache für vermeintliche oder tatsächlich erlittene Kränkungen misbraucht.

2. Ein echtes Leistungsassessment ist eine interne Angelegenheit. Was interessiert die ganze Welt, was die Schüler über den Lehrer X auf der IGS in Hinterpusemuckel denken? Richtig, gar nichts! Solche Plattformen tragen das Deckmäntelchen der Qualitätskontrolle, sind aber reine Denuntiationsplattformen - Pranger ist in meinen Augen genau das richtige Wort.

3. Ein Leistungsassessment ist normalerweise eine zeitlich begrenzte Angelegenheit und stellt eine nicht unerhebliche Stresssituation dar. Es gibt Ausnahmen, aber aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass sich tagtäglich beweisen zu müssen kein besonders erstrebenswerter Zustand ist und ein hohes Burnout-Risiko birgt. Jeder hat mal einen schlechten Tag, auch Lehrer. Dumm nur, dass das dann gleich in die ganze Welt hinausposaunt werden kann. Das stelle sich jeder mal bitte für seinen Beruf vor.

4. Gerade in kleineren Ortschaften sind Lehrer immer noch Personen des öffentlichen Lebens und stehen ohnehin schon unter einer nicht unerheblichen Beobachtung - man redet eben. Online-Bewertungsplattformen machen das nicht besser und sind dazu geeignet, eine Person öffentlich unmöglich zu machen.

Über Lehrer (sowie über Beamte im allgemeinen) wird ja immer wieder gerne gelästert, da hat man meist die Lacher auf seiner Seite (Lehrerbashing, Beamtenbashing, Männerbashing...). Wie war das noch mit Gerhard Schröder ("Lehrer sind faule Säcke.")? Daher einige zusätzliche Anmerkungen, um Mißverständnissen vorzubeugen.

1. Ich selbst bin kein Lehrer und möchte definitiv auch keiner sein, und ich bin auch nicht verbeamtet.

2. Es steht unzweifelhaft fest, dass es im Lehrerberuf Leute gibt, die besser nie Lehrer geworden wären - wie übrigens in jeder anderen Berufsgruppe auch (lasst uns mal über Zahnärzte reden...). Ich bin sehr wohl der Meinung, dass z.T die falschen Leute diesen Beruf ergreifen, und das ist voll und ganz den Universitäten anzulasten, die nämlich die Freiheit haben, entsprechende Zulassungsbeschränkungen zu erlassen und Eingangstests durchzuführen. Eine Online-Bewertungsplattform ist jedoch gänzlich ungeeignet, aus einem mäßigen Lehrer im Nachhinein einen guten zu machen.

Fazit: Es handelt sich bei Online-Bewertungsplattformen tatsächlich um modern Pranger mit einem hohen Mißbrauchspotenzial. Die Freiheit des einen hört da auf, wo die Freiheit des anderen anfängt, und ich kann keinen Grund erkennen, warum dies nicht auch für Lehrer gelten sollte. Viele von denen reißen sich übrigens den Arsch auf, um die völlig verzogenen Blagen fremder Leute halbwegs wieder hinzubekommen, und als Dank dafür werden sie öffentlich mit Hohn und Spott übergossen. So wird man niemals besonders gute Leute für diesen Beruf gewinnen können - die machen da doch lieber etwas, bei dem ihre Arbeit auch Anerkennung findet.

Also, RogerP, Du bist hier mit Deiner Meinung nicht allein.

Tarzno (der einige Lehrer gut kennt)


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