Und Nietzsche ?
Von Nietzsche gibt es auch mustergültig treffende Aussagen, wenn gleich
weniger zu Frauen als zu Feministinnen. Weiß aber momentan nicht, wo.
Kannst du sie mit Quellenangabe gelegentlich mal bringen ?
Bei Nietzsche sind das immer mehr so Einsprengsel, die sich hier und dort eingestreut finden, kein zusammenhängendes Kapitel oder Buch zu Frauen. Was ich mir abgespeichert habe:
Soweit geht die décadence im Wert-Instinkte unserer Politiker, unserer politischen Parteien: sie ziehn instinktiv vor, was auflöst, was das Ende beschleunigt ... Zeugnis die moderne Ehe. Aus der modernen Ehe ist ersichtliche alle Vernunft abhanden gekommen: das gibt aber keinen Einwand gegen die Ehe ab, sondern gegen die Modernität. Die Vernunft der Ehe – sie lag in der juristischen Alleinverantwortlichkeit des Mannes: damit hatte die Ehe Schwergewicht, während sie heute auf beiden Beinen hinkt. Die Vernunft der Ehe – sie lag in ihrer prinzipiellen Unlösbarkeit: damit bekam sie einen Akzent, der, dem Zufall von Gefühl, Leidenschaft und Augenblick gegenüber, sich Gehör zu schaffen wusste. Sie lag insgleichen in der Verantwortlichkeit der Familien für die Auswahl der Gatten. Man hat mit der wachsenden Indulgenz zugunsten der Liebes-Heirat geradezu die Grundlage der Ehe, das, was erst aus ihr eine Institution macht, eliminiert. Man gründet eine Institution nie und nimmermehr auf eine Idiosynkrasie, man gründet die Ehe nicht, wie gesagt, auf die „Liebe“ – man gründet sie auf den Geschlechtstrieb, auf den Eigentumstrieb (Weib und Kind als Eigentum), auf den Herrschafts-Trieb, der sich beständig das kleinste Gebilde der Herrschaft, die Familie, organisiert, der Kinder und Erben braucht, um ein erreichtes Maß von Macht, Einfluß, Reichtum auch physiologisch festzuhalten, um lange Aufgaben, um Instinkt-Solidarität zwischen Jahrhunderten vorzubereiten. Die Ehe als Institution begreift bereits die Bejahung der größten, der dauerhaftesten Organisationsform in sich: wenn die Gesellschaft selbst nicht als Ganzes für sich gutsagen kann bis in die fernsten Geschlechter hinaus, so hat die Ehe überhaupt keinen Sinn. – Die moderne Ehe verlor ihren Sinn – folglich schafft man sie ab. –
(Nietzsche – Götzen-Dämmerung)
"'Emanzipation des Weibes' - das ist der Instinkthaß des mißratenen... Weibes gegen das wohlgeratene, - der Kampf gegen den 'Mann' ist immer nur Mittel, Vorwand, Taktik."
(Friedrich Nietzsche)
"Sturm- und Drangperiode der Frauen. - Man kann in den drei oder vier civilisirten Ländern Europa's aus den Frauen durch einige Jahrhunderte von Erziehung Alles machen, was man will, selbst Männer, freilich nicht in geschlechtlichem Sinne, aber doch in jedem anderen Sinne. Sie werden unter einer solchen Einwirkung einmal alle männlichen Tugenden und Stärken angenommen haben, dabei allerdings auch deren Schwächen und Laster mit in den Kauf nehmen müssen: so viel, wie gesagt, kann man erzwingen. Aber wie werden wir den dadurch herbeigeführten Zwischenzustand aushalten, welcher vielleicht selber ein paar Jahrhunderte dauern kann, während denen die weiblichen Narrheiten und Ungerechtigkeiten, ihr uraltes Angebinde, noch die Uebermacht über alles Hinzugewonnene, Angelernte behaupten? Diese Zeit wird es sein, in welcher der Zorn den eigentlich männlichen Affect ausmacht, der Zorn darüber, dass alle Künste und Wissenschaften durch einen unerhörten Dilettantismus überschwemmt und verschlammt sind, die Philosophie durch sinnverwirrendes Geschwätz zu Tode geredet, die Politik phantastischer und parteiischer als je, die Gesellschaft in voller Auflösung ist, weil die Bewahrerinnen der alten Sitte sich selber lächerlich geworden und in jeder Beziehung ausser der Sitte zu stehen bestrebt sind. Hatten nämlich die Frauen ihre grösste Macht in der Sitte, wonach werden sie greifen müssen, um eine ähnliche Fülle der Macht wiederzugewinnen, nachdem sie die Sitte aufgegeben haben?"
(Nietzsche)
Am deutlichsten aber verrät sich die Liebe der Geschlechter als Drang nach Eigentum: der Liebende will den unbedingten Alleinbesitz der von ihm ersehnten Person, er will eine ebenso unbedingte Macht über ihre Seele wie ihren Leib, er will allein geliebt sind und als das Höchste und Begehrenswerteste in der andern Seele wohnen und herrschen. Erwägt man, dass dies nichts anderes heißt, als alle Welt von einem kostbaren Gute, Glücke und Genusse ausschließen: erwägt man, dass der Liebende auf die Verarmung und Entbehrung aller anderen Mitbewerber ausgeht und zum Drachen seines goldenen Hortes werden möchte, als der rücksichtsloseste und selbstsüchtigste aller „Eroberer“ und Ausbeuter: erwägt man endlich, dass dem Liebenden selber die ganze andere Welt gleichgültig, blaß, wertlos erscheint und er jedes Opfer zu bringen, jede Ordnung zu stören, jedes Interesse hintennach zu setzen bereit ist: so wundert man sich in der Tat, dass diese wilde Habsucht und Ungerechtigkeit der Geschlechtsliebe dermaßen verherrlicht und vergöttlicht worden ist, wie zu allen Zeiten geschehen, ja dass man aus dieser Liebe den Begriff Liebe als den Gegensatz des Egoismus hergenommen hat, während sie vielleicht gerade der ungefangenste Ausdruck des Egoismus ist. Hier haben offenbar die Nichtbesitzenden und Begehrenden den Sprachgebrauch gemacht – es gab wohl ihrer immer zu viele.
(Nietzsche – Die fröhliche Wissenschaft)
An den Leugner seiner Eitelkeit. – Wer die Eitelkeit bei sich leugnet, besitzt sie gewöhnlich in so brutaler Form, dass er instinktiv vor ihr das Auge schließt, um sich nicht verachten zu müssen.
(Nietzsche – Menschliches, Allzumenschliches)
Die Circe der Menschheit, die Moral, hat alle psychologica in Grund und boden gefälscht – vermoralisiert – bis zu jenem schauderhaften Unsinn, dass die Liebe etwas Unegoistisches sein soll ... Man muß fest auf sich sitzen, man muß tapfer auf seinen beiden Beinen stehn, sonst kann man gar nicht lieben. Das wissen zuletzt die Weiblein nur zu gut: sie machen sich den Teufel was aus selbstlosen, aus bloß objektiven Männern ... Darf ich anbei die Vermuthung wagen, dass ich die Weiblein kenne? Das gehört zu meine dionysischen Mitgift. Wer weiß? Vielleicht bin ich der erste Psycholog des Ewig-Weiblichen. Sie lieben mich Alle – eine alte Geschichte: die verunglückten Weiblichen abgerechnet, die Emancipirten, denen das zeug zu Kindern abgeht. – Zum Glück bin ich nicht Willens mich zerreissen zu lassen: das vollkommne Weib zerreißt, wenn es liebt ... Ich kenne diese liebenswürdigen Mänaden ... Ah, was für ein gefährliches, schleichendes, unterirdisches kleines Raubthier! Und so angenehm dabei! ... Ein kleines Weib, das einer Rache nachrennt, würde das Schicksal selbst über den Haufen rennen. – Das Weib ist unsäglich viel böser als der Mann, auch klüger; Güte am Weibe ist schon eine Form der Entartung ... Bei allen sogenannten „schönen Seelen“ giebt es einen physiologischen Übelstand auf dem Grunde, - ich sage nicht Alles, ich würde sonst medicynisch werden. Der Kampf um gleiche Rechte ist sogar ein Symptom von Krankheit: jeder Arzt weiß das. – Das Weib, je mehr Weib es ist, wehrt sich ja mit Händen und Füßen gegen Rechte überhaupt: der Naturzustand, der ewige Krieg zwischen den Geschlechtern giebt ihm ja bei weitem den ersten Rang. – Hat man Ohren für meine Definition der Liebe gehabt? Es ist die einzige, die eines Philosophen würdig ist. Liebe – in ihren Mitteln der Krieg, in ihrem Grunde der Todhaß der Geschlechter. – Hat man meine Antwort auf die Frage gehört, wie man ein Weib kuriert – „erlöst“? Man macht ihm ein Kind. Das Weib hat Kinder nöthig, der Mann ist immer nur Mittel: also sprach Zarathustra. – „Emancipation des Weibes“ – das ist der Instinkthaß des mißrathenen, das heißt gebäruntüchtigen Weibes gegen das wohlgerathene, - der Kampf gegen den „Mann“ ist immer nur Mittel, Vorwand, Taktik. Sie wollen, indem sie sich hinaufheben, als „Weib an sich“, als „höheres Weib“, als „Idealistin“ von Weib, das allgemeine Rang-Niveau des Weibes herunterbringen; kein sichereres Mittel dazu als Gymnasial-Bildung, Hosen und politische Stimmvieh-Rechte. Im Grunde sind die Emancipierten die Anarchisten in der Welt des „Ewig-Weiblichen“, die Schlechtweggekommenen, deren unterster Instinkt Rache ist ... Eine ganze Gattung des bösartigsten „Idealismus“ – der übrigens auch bei Männern vorkommt, zum Beispiel bei Henrik Ibsen, dieser typischen alten Jungfrau – hat als Ziel das gute Gewissen, die Natur in der Geschlechtsliebe zu vergiften ... Und damit ich über meine in diesem Betracht ebenso honnette als strenge Gesinnung keinen Zweifel lasse, will ich noch einen Satz aus meinem Moral-Codex gegen das Laster mittheilen: mit dem Wort Laster bekämpfe ich jede Art Widernatur oder wenn man schöne Worte liebt, Idealismus. Der Satz heißt: „die Predigt der Keuschheit ist eine öffentliche Aufreizung zur Widernatur. Jede Verachtung des geschlechtlichen Lebens, jede Verunreinigung desselben durch den Begriff ‚unrein’ ist das Verbrechen selbst am Leben, - ist die eigentliche Sünde wider den heiligen Geist des Lebens.“ –
(Nietzsche – Ecce Homo)
Weder die Moral noch die Religion berührt sich im Christentume mit irgend einem Punkte der Wirklichkeit. Lauter imaginäre Ursachen ("Gott", "Seele", "Ich", "Geist", "der freie Wille" - oder auch "der unfreie"); lauter imaginäre Wirkungen ("Sünde", "Erlösung", "Gnade", "Strafe", "Vergebung der Sünde"). Ein Verkehr zwischen imaginären Wesen ("Gott", "Geister", "Seelen"); eine imaginäre Naturwissenschaft (anthropozentrisch; völliger Mangel des Begriffs der natürlichen Ursachen); eine imaginäre Psychologie (lauter Selbst-Mißverständnisse, Interpretationen angenehmer oder unangenehmer Allgemeingefühle, zum Beispiel der Zustände des nervus sympathicus, mit Hilfe der Zeichensprache religiös-moralischer Idiosynkrasie, - "Reue", "Gewissensbiß", "Versuchung des Teufels", "die Nähe Gottes"); eine imaginäre Teleologie ("das Reich Gottes", "das jüngste Gericht", "das ewige Leben"). - Diese reine Fiktions-Welt unterscheidet sich dadurch sehr zu ihren Ungunsten von der Traumwelt, daß letztere die Wirklichkeit widerspiegelt, während sie die Wirklichkeit fälscht, entwertet, verneint. Nachdem erst der Begriff "Natur" als Gegenbegriff zu "Gott" erfunden war, mußte "natürlich" das Wort sein für "verwerflich", - jene ganze Fiktions-Welt hat ihre Wurzel im Haß gegen das Natürliche (- die Wirklichkeit! -), sie ist der Ausdruck eines tiefen Mißbehagens am Wirklichen ... Aber damit ist alles erklärt. Wer allein hat Gründe, sich wegzulügen aus der Wirklichkeit? Wer an ihr leidet. Aber an der Wirklichkeit leiden heißt eine verunglückte Wirklichkeit sein ... Das Übergewicht der Unlustgefühle über die Lustgefühle ist die Ursache jener fiktiven Moral und Religion: ein solches Übergewicht gibt aber die Formel ab für décadence ...
(Nietzsche – Der Antichrist)
Also sprach Zarathustra.
Von alten und jungen Weiblein
„Was schleichst du so scheu durch die Dämmerung, Zarathustra? Und was birgst du behutsam unter deinem Mantel?
Ist es ein Schatz, der dir geschenkt? Oder ein Kind, das dir geboren wurde? Oder gehst du jetzt selber auf den Wegen der Diebe, du Freund der Bösen?“ –
Wahrlich, mein Bruder! Sprach Zarathustra, es ist ein Schatz, der mir geschenkt wurde: eine kleine Wahrheit ist’s, die ich trage.
Aber sie ist ungebärdig wie ein junges Kind; und wenn ich ihr nicht den Mund halte, so schreit sie überlaut.
Als ich heute allein meines Weges ging, zur Stunde, wo die Sonne sinkt, begegnete mir ein altes Weiblein und redete also zu meiner Seele:
„Vieles sprach Zarathustra auch zu uns Weibern, doch nie sprach er uns über das Weib.“
Und ich entgegnete ihr: „über das Weib soll man nur zu Männern reden.“
„Rede auch zu mir vom Weibe“, sprach sie; „ich bin alt genug, um es gleich wieder zu vergessen.“
Und ich willfahrte dem alten Weiblein und sprach also zu ihm:
Alles am Weibe ist ein Rätsel, und alles am Weibe hat EINE Lösung: sie heißt Schwangerschaft.
Der Mann ist für das Weib ein Mittel: der Zweck ist immer das Kind. Aber was ist das Weib für den Mann?
Zweierlei will der echte Mann: Gefahr und Spiel. Deshalb will er das Weib, als das gefährlichste Spielzeug.
Der Mann soll zum Kriege erzogen werden und das Weib zur Erholung des Kriegers: alles andre ist Torheit.
Allzusüße Früchte – die mag der Krieger nicht. Darum mag er das Weib; bitter ist auch noch das süßeste Weib.
Besser als ein Mann versteht das Weib die Kinder, aber der Mann ist kindlicher als das Weib.
Im echten Manne ist ein Kind versteckt: das will spielen. Auf, ihr Frauen, so entdeckt mir doch das Kind im Manne!
Ein Spielzeug sei das Weib, rein und fein, dem Edelsteine gleich, bestrahlt von den Tugenden einer Welt, welche noch nicht da ist.
Der Strahl eines Sternes glänze in euerer Liebe! Eure Hoffnung heiße: „ Möge ich den Übermenschen gebären!“
In euerer liebe sei Tapferkeit! Mit euerer Liebe sollt ihr auf den losgehn, der euch Furcht einflößt.
In eurer Liebe sei eure Ehre! Wenig versteht sich sonst das Weib auf Ehre. Aber dies sei eure Ehre, immer mehr zu lieben, als ihr geliebt werdet, und nie die zweiten zu sein.
Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es liebt: da bringt es jedes Opfer, und jedes andere Ding gilt ihm ohne Wert.
Der Mann fürchte sich vor dem Weibe, wenn es haßt: denn der Mann ist im Grunde der Seele nur böse, das Weib aber ist dort schlecht.
Wen haßt das Weib am meisten? – Also sprach das Eisen zum Magneten: „ Ich hasse dich am meisten, weil du anziehst, aber nicht stark genug best, an dich zu ziehen.“
Das Glück des Mannes heißt: ich will. Das Glück des Weibes heißt: er will.
„Siehe, jetzt eben ward die Welt vollkommen!“ – also denkt ein jedes Weib, wenn es aus ganzer Liebe gehorcht.
Und gehorchen muß das Weib und eine Tiefe finden zu seiner Oberfläche. Oberfläche ist des Weibes Gemüt, eine bewegliche stürmische Haut auf einem seichten Gewässer.
Des Mannes Gemüt aber ist tief, sein Storm rauscht in unterirdischen Höhlen: das Weib ahnt seine Kraft, aber begreift sie nicht. –
Da entgegnete mir das alte Weiblein: „Vieles Artige sagte Zarathustra und sonderlich für die, welche jung genug dazu sind.
Seltsam ist’s, Zarathustra kennt wenig die Weiber, und doch hat er über sie recht! Geschieht deshalb, weil beim Weibe kein Ding unmöglich ist?
Und nun nimm zum Danke eine kleine Wahrheit! Bin ich doch alt genug für sie!
Wickle sie ein und halte ihr den Mund: sonst schreit sie überlaut, diese kleine Wahrheit“
„Gibt mir, Weib, deine kleine Wahrheit!“ sagte ich. Und also sprach das alte Weiblein:
„Du gehst zu Frauen? Vergiß die Peitsche nicht!“ -
Also sprach Zarathustra.
Von den Tugendhaften
Mit Donnern und himmlischen Feuerwerken muss man zu schlaffen und schlafenden Sinnen reden.
Aber der Schönheit Stimme redet leise: sie schleicht sich nur in die aufgewecktesten Seelen.
Leise erbebte und lachte mir heut mein Schild; das ist der Schönheit heiliges Lachen und Beben.
Über euch, ihr Tugendhaften, lachte heut meine Schönheit. Und also kam ihre Stimme zu mir: „sie wollen noch – bezahlt sein!“
Ir wollt noch bezahlt sein, ihr Tugendhaften! Wollt Lohn für Tugend und Himmel für Erden und Ewiges für euer Heute haben?
Und nun zürnt ihr mir, dass ich lehre, es gibt keinen Lohn- und Zahlmeister? Und wahrlich, ich lehre nicht einmal, dass Tugend ihr eigner Lohn ist.
Ach, das ist meine Trauer: in den Grund der Dinge hat man Lohn und Strafe hineingelogen – und nun auch noch in den Grund euerer Seelen, ihr Tugendhaften!
Aber dem Rüssel des Ebers gleich soll mein Wort den Grund eurer Seelen aufreißen; Pflugschar will ich euch heißten.
Alle Heimlichkeiten eures Grundes sollen ans Licht; und wenn ihr aufgewühlt und zerbrochen in der Sonne liegt, wird auch eure Lüge von eurer Wahrheit ausgeschieden sein.
Denn dies ist eure Wahrheit: ihr seid ZU REINLICH für den Schmutz der Worte: Rache, Strafe, Lohn, Vergeltung.
Ihr liebt eure Tugend, wie die Mutter ihr Kind; aber wann hörte man, daß eine Mutter bezahlt sein wollte für ihre Liebe?
Es ist euer liebstes Selbst, eure Tugend. Des Ringes durst ist in euch; sich selber wieder zu erreichen, dazu ringt und dreht sich jeder Ring.
Und dem Sterne gleich, der erlischt, ist jedes Werk eurer Tugend: immer ist sein Licht noch unterwegs und wandert – und wann wird es nicht mehr unterwegs sein?
Also ist das Licht eurer Tugend noch unterwegs, auch wenn das Werk getan ist. Mag es nun vergessen und tot sein: sein Strahl von Licht lebt noch und wandert.
Daß eure Tugend euer Selbst sei, und nicht ein Fremdes, eine Haut, eine Bemäntelung: das ist die Wahrheit aus dem Grunde eurer Seele, ihr Tugendhaften! -
Aber wohl gibt es solche, denen Tugend der Krampf unter einer Peitsche heißt: und ihr habt mir zuviel auf deren Geschrei gehört!
Und andere gibt es, die heißen Tugend das Faulwerden ihrer Laster; und wenn ihr Haß und ihre Eifersucht einmal die Glieder strecken, wird ihre „Gerechtigkeit“ munter und reibt sich die verschlafenen Augen.
Und andre gibt es, die werden abwärts gezogen: ihre Teufel ziehn sie. Aber je mehr sie sinken, um so glühender leuchtet ihr Auge und die Begierde nach ihrem Gotte.
Ach, auch deren Geschrei drang zu euren Ohren, ihr Tugendhaften: „was ich NICHT bin, das, das ist mir Gott und Tugend!“
Und andre gibt es, die sind gleich Alltags-Uhren, die aufgezogen wurden; sie machen ihr Ticktack und wollen, daß man Ticktack – Tugend heiße.
Wahrlich, an diesen habe ich meine Lust: wo ich solche Uhren finde, werde ich sie mit meinem Spotte aufziehen; und sie sollen mir dabei noch schnurren!
Und andre sind stolz über ihre Handvoll Gerechtigkeit und begehen um ihrerwillen Frevel an allen Dingen: also daß die Welt in ihrer Ungerechtigkeit ertränkt wird.
Ach, wie übel ihnen das Wort „Tugend“ aus dem Munde läuft! Und wenn sie sagen. „ich bin gerecht“, so klingt es immer gleich wie: „ich bin gerächt!“
Mit ihrer Tugend wollen sie ihren Feinden die Augen auskratzen; und sie erheben sich nur, um andre zu erniedrigen.
Und wiederum gibt es solche, die sitzen in ihrem Sumpfe und reden also heraus aus dem Schilfrohr: „Tugend – das ist still im Sumpfe sitzen.“
Wir beißen niemanden und gehen dem aus dem Wege, der beißen will; und in allem haben wir die Meinung, die man uns gibt.“
Und wiederum gibt es solche, die lieben Gebärden und denken: Tugend ist eine Art Gebärde.
Ihre Knie beten immer an, und ihre Hände sind Lobpreisungen der Tugend, aber ihr Herz weiß nichts davon.
Und wiederum gibt es solche, die halten es für Tugend, zu sagen: „Tugend ist notwendig“; aber sie glauben im Grund nur daran, daß Polizei notwendig ist.
Und mancher, der das Hohe an den Menschen nicht sehen kann, nennt es Tugend, daß er ihr Niedriges allzunahe sieht: also heißt er seinen bösen Blick Tugend.
Und einige wollen erbaut und aufgerichtet sein und heißen es Tugend; und andre wollen umgeworfen sein- und heißen es auch Tugend.
Und derart glauben fast alle daran, Anteil zu haben an der Tugend; und zum nmindesten will ein jeder Kenner sein über „Gut“ und „Böse“.
Aber nicht dazu kam Zarathustra, allen diesen Lügnern und Narren zu sagen: „was wißt IHR von Tugend! Was KÖNNTET ihr von Tugend wissen!“ –
Sondern, daß ihr, meine Freunde, der alten Worte müde würdet, welche ihr von den Narren und Lügner gelernt habt:
Müde würdet der Worte „Lohn“, „Vergeltung“, „Strafe“, „Rache in der Gerechtigkeit“ –
Müde würde zu sagen: „daß eine Handlung gut ist, das macht, sie ist selbstlos.“
Ach, meine Freunde! Daß EUER Selbst in der Handlung sei, wie die Mutter im Kinde ist: das sei mir EUER Wort von Tugend!
Wahrlich, ich nahm euch wohl hundert Worte und euer Tugend liebste Spielwerke; und nun zürnt ihr mir, wie Kinder zürnen.
Sie spielten am Meere – da kam die Welle und riß ihnen ihr Spielwerk in die Tiefe: nun weinen sie.
Aber dieselbe Welle soll ihnen neue Spielwerke bringen und neue bunte Muscheln vor sie hin ausschütten!
So werde sie getröstet sein; und gleich ihnen sollt auch ihr, meine Freunde, eure Tröstungen haben – und neue bunte Muscheln! -
Des Mannes ist hier wenig: darum vermännlichen sich ihre Weiber. Denn nur wer Mannes genug ist, wird im Weibe das WEIB – ERLÖSEN.
(Nietzsche – Also sprach Zarathustra)
Also sprach Zarathustra.
Von den Taranteln
Siehe, das ist der Tarantel Höhle! Willst du sie selber sehn? Hier hängt ihr Netz: rühre daran, dass es erzittert.
Da kommt sie willig: willkommen, Tarantel! Schwarz sitzt auf deinem Rücken dein Dreieck und Wahrzeichen; und ich weiß auch, was in deiner Seele sitzt.
Rache sitzt in deiner Seele: wohin du beißest, da wächst schwarzer Schorf; mit Rache macht dein gift die Seele drehend!
Also rede ich zu euch im Gleichnis, die ihr die Seelen drehend macht, ihr Prediger der GLEICHHEIT! Taranteln seid ihr mir und versteckte Rachsüchtige!
Aber ich will eure Verstecke schon ans Licht bringen: darum lache ich euch ins Antlitz mein Gelächter der Höhe.
Darum reiße ich an eurem Netze, dass eure Wut euch aus eurer Lügen-Höhle locke, und eure Rache hervorspringe hinter eurem Wort „Gerechtigkeit“.
Denn DAß DER MENSCH ERLÖST WERDE VON DER RACHE: das ist mir die Brücke zur höchsten Hoffnung und ein Regenbogen nach langen Unwettern.
Aber anders wollen es freilich die Taranteln. „Das gerade heiße und Gerechtigkeit, dass die Welt voll werde von den Unwettern unserer Rache“- also reden sie miteinander.
„Rache wollen wir üben und Beschimpfung an allen, die uns nicht gleich sind“ – so geloben sich die Tarantel-Herzen.
„Und ‚Wille zur Gleichheit’ – das selber soll fürderhin der Name für Tugend werden; und gegen alles, was Macht hat, wollen wir unser Geschrei erheben!“
Ihr Prediger der Gleichheit, der Tyrannen-Wahnsinn der Ohnmacht schreit also aus euch nach „Gleichheit“: eure heimlichsten Tyrannen-Gelüste vermummen sich also in Tugend-Worte!
Vergrämter Dünkel, verhaltener Neid, vielleicht eurer Väter Dünkel und Neid: aus euch bricht’s als Flamme heraus und Wahnsinn der Rache.
Was der Vater schwieg, das kommt im Sohne zum Reden; und oft fand ich den Sohn als des Vaters entblößtes Geheimnis.
Den Begeisterten gleichen sie: aber nicht das Herz ist es, was sie begeistert – sondern die Rache. Und wenn sie fein und kalt werden, ist’s nicht der Geist, sondern der Neid, der sie fein und kalt macht.
Ihre Eifersucht führt sie auch auf der Denker Pfade; und dies ist das Merkmal ihrer Eifersucht – immer gehen sie zu weit: dass ihre Müdigkeit sich zuletzt noch auf Schnee schlafen legen muss.
Aus jeder ihrer Klagen tönt Rache, in jede ihrer Lobsprüche ist ein Wehetun; und Richter-sein scheint ihnen Seligkeit.
Also aber rate ich euch, meine Freunde: misstraut allen, in welchen der Trieb, zu strafen, mächtig ist!
Das ist Volk schlechter Art und Abkunft; aus ihren Gesichtern blickt der Henker und der Spürhund.
Mißtraut allen denen, die viel von ihrer Gerechtigkeit reden! Wahrlich, ihren Seelen fehlt es nicht nur an Honig.
Und wenn sie sich selber „die Guten und Gerechten“ nennen, so vergesst nicht, dass ihnen zum Pharisäer nichts fehlt als – Macht!
Meine Freunde, ich will nicht vermischt und verwechselt werden.
Es gibt solche die predigen meine Lehre von Leben: und zugleich sind sie Prediger der Gleichheit und Taranteln.
Daß sie dem Leben zu Willen reden, ob sie gleich in ihrer Höhle sitzen, diese Gift-Spinnen, und abgekehrt vom Leben: das macht, sie wollen damit wehetun.
Solchen wollen sie damit wehetun, die jetzt die Macht haben: denn bei diesen ist noch die Predigt vom Tode am besten zu Hause.
Wäre es anders, so würden die Taranteln anders lehren: und gerade sie waren ehemals die besten Welt-Verleumder und Ketzer-Brenner.
Mit diesen Predigern der Gleichheit will ich nicht vermischt und verwechselt sein. Denn so redet MIR die Gerechtigkeit: „die Menschen sind nicht gleich.“
Und sie sollen es auch nicht werden! Was wäre denn meine Liebe zum Übermenschen, wenn ich anders spräche?
Auf tausend Brücken und Stegen sollen sie sich drängen zur Zukunft, und immer mehr Krieg und Ungleichheit soll zwischen sie gesetzt sein: so lässt mich meine große Liebe reden!
Erfinder von Bildern und Gespenstern sollen sie werden in ihren Feindschaften, und mit ihren Bildern und Gespenstern sollen sie noch gegeneinander den höchsten Kampf kämpfen!
Gut und böse, und reich und arm, und hoch und gering, und alle Namen der Werte: Waffen sollen es sein, und klirrende Merkmale davon, dass das Leben sich immer wieder selber überwinden muss!
In die Höhe will es sich bauen mit Pfeilern und Stufen, das Leben selber: in weite Fernen will es blicken und hinaus nach seligen Schönheiten – DARUM braucht es Höhe!
Und weil es Höhe braucht, braucht es Stufen und Widerspruch der Stufen und Steigenden! Steigen will das Leben und steigend sich überwinden.
Und seht mir doch, meine Freunde! Hier, wo der Tarantel Höhle ist, heben sich eines alten Tempels Trümmer aufwärts – seht mir doch mit erleuchteten Augen hin!
Wahrlich, wer hier einst seine Gedanken in Stein nach oben türmte, um das Geheimnis alles Lebens wusste er gleich de Weisesten!
Daß Kampf und ungleiches auch noch in der Schönheit sei, und Krieg um Macht und Übermacht: das lehrt er uns hier im deutlichsten Gleichnis.
Wie sich göttlich hier Gewölbe und Bogen brechen, im Ringkampfe: wie mit Licht und Schatten sie wider einander streben, die göttlich-Strebenden –
Also sicher und schön lasst uns auch Feinde sein, meine Freunde! Göttlich wollen wir WIDER einander streben! –
Wehe! Da biß mich selber die Tarantel, meine alte Feindin! Göttlich sicher und schön biß sie mich in den Finger!
„Strafe muss sein und Gerechtigkeit“ – so denkt sie: „nicht umsonst soll er hier der Feindschaft zu Ehren Lieder singen!“
Ja, sie hat sich gerächt! Und wehe! Nun wir sie mit Rache auch noch meine Seele drehend machen!
Daß ich mich aber NICHT drehe, meine Freund, bindet mich fest hier an diese Säule! Liebe noch Säulen-Heiliger will ich sein, als Wirbel der Rachsucht!
Wahrlich, kein Dreh- und Wirbelwind ist Zarathustra; und wenn er ein Tänzer ist, nimmermehr doch ein Tarantel-Tänzer! -.
Anderes Thema: Nietzsche Sprache. Die ist völlig anders als die
Schopenhauers. Sie ist ein Novum, etwas "Unerhörtes".
Nietzsches Sprache gefällt mir auch, außer im Zarathustra. Letzterer ist zu sehr von Metaphern überladen. Ansonsten ist Nietzsches Sprache messerscharf und klar.
Ob sie "gut" ist,
darüber läßt sich streiten. Immerhin hat Nietzsche bis heute nicht
aufgehört, zu wirken. Das sieht man mit einen Blick auf die Regale in den
Buchhandlungen. Einer unserer Professoren sagte: "Bei einem Philosophen wie
Kant oder Hegel wissen Sie ganz schnell, was der will. Was Nietzsche
betrifft, da forsche ich seit vierzig Jahren, und ich weiß es immer noch
nicht."
Nietzsche hat wohl unter dreierlei gelitten:
* Der genußfeindlichen Moral seines protestantischen Elternhauses. Der Vater war Pastor.
* Den hysterischen Befindlichkeiten seiner Mutter.
* Irgendeiner chronischen Krankheit, die er nie losgeworden ist.
Er hat daraus eine Anbetung des Diesseits und des Lebens gemacht. Askese ist ihm ein Betrug am Leben. Lebensfeindliche Ideologie (insbesondere Christentum) ist ihm Verrat am dem so kostbaren Gut der Vitalität.
Was bedeuten asketische Ideale? – Bei Künstlern Nichts oder zu Vielerlei; bei Philosophen und Gelehrten Etwas wie Witterung und Instinkt für die günstigsten Vorbedingungen hoher Geistigkeit; bei Frauen; besten Falls, eine Liebenswürdigkeit der Verführung mehr, ein wenig
Morbidezza auf schönem Fleische, die Engelhaftigkeit eines hübschen fetten Thiers; bei phsysiologisch Verunglückten und Verstimmten (bei der M e h r z a h l der Sterblichen) einen Versuch, sich „zu gut“ für diese Welt vorzukommen, eine heilige Form der Ausschweifung, ihr Hauptmittel im Kampf mit dem langsamen Schmerz und der Langenweile; bei Priestern den eigentlichen Priesterglauben, ihr bestes Werkzeug der Macht, auch die „allerhöchste“ Erlaubnis zur Macht, bei Heiligen endlich einen Vorwand zum Winterschlaf, ihre novissima gloriae cupido, ihre Ruhe im Nichts („Gott“), ihre Form des Irrsinns. D a s s aber überhaupt das asketische Ideal dem Menschen so viel bedeutet hat, darin drückt sich die Grundthatsache des menschlichen Willens aus, sein horror vacui: e r
b r a u c h t e i n Z i e l, - und eher will er noch d a s N i c h t s wollen, als n i c h t wollen. – Versteht man mich? ... Hat man mich verstanden? ... „S c h l e c h t e r d i n g s n i c h t! m e i n H e r r!“ – Fangen wir also von vorne an.
Jetzt erst, nachdem wir den asketischen Priester in Sicht bekommen haben, rücken wir unsrem Probleme: was bedeutet das asketische Ideal? Ernsthaft auf den Leib, - jetzt erst wird es „Ernst“: - diese noch grundsätzlichere Frage legt sich vielleicht hier schon auf unsere Lippen: eine Frage für Physiologen, wie billig, an der wir aber einstweilen noch vorüberschlüpfen. Der asketische Priester hat in jedem Ideale nicht nur seinen Glauben, sondern auch seinen Willen, seine Macht, sein Interesse. Sein Recht zum Dasein steht und fällt mit jenem Ideale: was Wunder, dass wir hier auf einen furchtbaren Gegner stoßen, gesetzt nämlich, dass wir die Gegner jenes Ideales wären? einen solchen, der um seine Existenz gegen die Leugner jenes Ideales kämpft? ... Andrerseits ist es von vornherein nicht wahrscheinlich, dass eine dergestalt interessierte Stellung zu unsrem Probleme diesem sonderlich zu Nutze kommen wird; der asketische Priester wird schwerlich selbst nur den glücklichsten Verteidiger seines Ideals abgeben, aus dem gleichen Grunde, aus dem es einem Weibe zu misslingen pflegt, wenn es „das Weib an sich“ verteidigen will, - geschweige denn den objektivsten Beurteiler und Richter der hier aufgeregten Kontroverse. Eher also werden wir ihm noch zu helfen haben – so viel liegt jetzt schon auf der Hand – sich gut gegen uns zu verteidigen als dass wir zu fürchten hätte, zu gut von ihm widerlegt zu werden ... Der Gedanke, um den hier gekämpft wird, ist die Wertung unseres Lebens seitens der asketischen Priester: dasselbe wird (samt dem, wozu es gehört, „Natur“, Welt“, die gesamte Sphäre des Werdens und der Vergänglichkeit) von ihnen in Beziehung gesetzt zu einem ganz andersartigen Dasein, zu dem es sich gegensätzlich und ausschließend verhält, es sei denn, dass es sich etwa gegen sich selber wende, sich selbst verneine: in diesem Falle, dem Falle eines asketischen Lebens, gilt das Leben als eine Brücke für jenes andre Dasein. Der Asket behandelt das Leben wie einen Irrweg, den man endlich rückwärts gehen müsse, bis dorthin, wo er anfängt; oder wie einen Irrtum, den man durch die Tat widerlege – widerlegen solle: denn er fordert, dass man mit ihn gehe, er erzwingt, wo er kann, seine Wertung des Daseins. Was bedeutet das? Eine solche ungeheuerliche Wertungsweise steht nicht als Ausnahmefall und Kuriosum in die Geschichte des Menschen eingeschrieben: sie ist eine der breitesten und längsten Tatsachen, die es gibt. Von einem fernen Gestirn aus gelesen, würde vielleicht die Majuskel-Schrift unseres Erden-Daseins zu dem Schluß verführen, die Erde sei der eigentlich asketische Stern, ein Winkel missvergnügter, hochmütiger und widriger Schöpfe, die einen tiefen Verdruß an sich, an der Erde, an allem Leben gar nicht loswürden und sich selber so viel Wehe täten als möglich, aus Vergnügen am Wehetun: - wahrscheinlich ihrem einzigen Vergnügen. Erwägen wir doch, wie regelmäßig, wie allgemein, wie fast zu allen Zeiten der asketische Priester in die Erscheinung tritt; er gehört keiner einzelnen Rasse an; er gedeiht überall; er wächst als allen Ständen heraus. Nicht da er etwa seine Wertungsweise durch Vererbung züchtete und weiterpflanzte: das Gegenteil ist der Fall, - ein tiefer Instinkt verbietet ihm vielmehr, ins Große gerechnet, die Fortpflanzung. Es muss eine Necessität ersten Rangs sein, welche diese lebensfeindliche Spezies immer wieder wachsen und gedeihen macht, - es muss wohl ein Interesse des Lebens selbst sein, dass ein solcher Typus des Selbstwiderspruchs nicht ausstirbt.
Denn ein asketisches Leben ist ein Selbstwiderspruch: hier herrscht ein Ressentiment sonder Gleichen, das eines ungesättigten Instinktes und Machtwillens, der Herr werden möchte, nicht über Etwas am Leben, sondern über das Leben selbst, über dessen tiefste, stärkste, unterste Bedingungen; hier wird ein Versuch gemacht die Kraft zu gebrauchen, um die Quellen der Kraft zu verstopfen; hier richtet sich der Blick grün und hämisch gegen das physiologische Gedeihen selbst, in Sonderheit gegen dessen Ausdruck, die Schönheit, die Freude; während am Missraten, Verkümmern, am Schmerz am Unfall, am Häßlichen, an der willkürlichen Einbuße, an der Entselbstung, Selbstgeißelung, Selbstopferung ein Wohlgefallen empfunden und gesucht wird. Dies ist Alles im höchsten Grade paradox: wir stehen hier vor einer Zwiespältigkeit, die sich selbst zwiespältig will, welche sich selbst in diesem Leiden genießt und in dem Maße sogar immer selbstgewisser und triumphierender wird, als ihre eigene Voraussetzung, die physiologische Lebensfähigkeit, abnimmt. „Der Triumph gerade in der letzten Agonie“: unter diesem superlativischen Zeichen kämpfte von jeher das asketische Ideal; in diesem Rätsel von Verführung, in diesem Bilde von Entzücken und Qual erkannte es sein hellstes Licht, sein Heil, seinen endlichen Sieg.
...
Das asketische Ideal entspringt dem Schutz- und Heil-Instinkte eines degenerierenden Lebens, welches sich mit allen Mitteln zu halten sucht und um sein Dasein kämpft; es deutet auf eine partielle physiologische Hemmung und Ermüdung hin, gegen welche die tiefsten, intakt gebliebenen Instinkte des Lebens unausgesetzt mit neuen Mitteln und Erfindungen ankämpfen.
...
Das kranke Weib in Sonderheit: Niemand übertrifft es in Raffinements, zu herrschen, zu drücken, zu tyrannisieren. Das kranke Weib schont dazu nichts Lebendiges, nichts totes, es gräbt die begrabensten Dinge wieder auf (die Bogos sagen; „das Weib ist eine Hyäne“). Man blicke in die Hintergründe jeder Familie, jeder Körperschaft, jedes Gemeinwesens: überall der Kampf der Kranken gegen die Gesunden, - ein stiller Kampf zumeist mit kleinen Giftpulvern, mit Nadelstichen, mit tückischem Dulder-Mienenspiele, mitunter aber auch mit jenem Kranken-Pharisäismus der lauten Gebärde, der am liebsten „die edle Entrüstung“ spielt.
(Friedrich Nietzsche: Was bedeuten asketische Ideale? – Genealogie der Moral)
Nietzsche ist der Psychologe unter den deutschen Philosophen. Er hinterfragt eine Lehre immer nach den versteckten Motiven ihres Urhebers. Daß das Christentum eine Moral von gut und böse ersonnen hat führt er beispielsweise darauf zurück, daß es (zu seiner Anfangszeit) zu schlecht war mit dem Römertum offen zu konkurrieren. Infolge dessen hat es eine Sklavenmoral ersonnen, die das Mächtige und Starke als böse diffamiert.
Gruß
Zeitgenosse
gesamter Thread:
- Soll man Frauen wie Menschen behandeln ? -
Student(t),
07.02.2008, 19:17
- Korrektur. - Student(t), 07.02.2008, 20:37
- Dies ist kein Esoterik-Forum (oT)
-
Manoman,
07.02.2008, 20:55
- Soll man Frauen wie Menschen behandeln ? -
Zeitgenosse,
07.02.2008, 21:19
- Schopenhauer hat's erkannt ! -
Student(t),
07.02.2008, 21:45
- Schopenhauer hat's erkannt ! -
Zeitgenosse,
07.02.2008, 22:02
- Und Nietzsche ? -
Student(t),
08.02.2008, 03:00
- Und Nietzsche ? - Zeitgenosse, 08.02.2008, 10:05
- Und Nietzsche ? -
Student(t),
08.02.2008, 03:00
- Schopenhauer hat's erkannt ! -
Zeitgenosse,
07.02.2008, 22:02
- Soll man Frauen wie Menschen behandeln ? -
Conny,
08.02.2008, 00:10
- Schopenhauer als Pflichtschulstoff -
roser parks,
08.02.2008, 17:30
- Earl of Chesterfield - Realist, 08.02.2008, 21:13
- Schopenhauer als Pflichtschulstoff -
roser parks,
08.02.2008, 17:30
- Schopenhauer hat's erkannt ! -
Student(t),
07.02.2008, 21:45