Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Re: Deutschland ist für Franzosen inzwischen krankes Wunderkind

Paul, Friday, 29.04.2005, 16:43 (vor 7533 Tagen) @ Garfield

Als Antwort auf: Re: Deutschland ist für Franzosen inzwischen krankes Wunderkind von Garfield am 29. April 2005 09:15:03:

Nein, sorry, du machst da einen Denkfehler.

Ironischerweise ist Dein grundsätzlicher Fehler derselbe wie der von rein Angebots-orientierten Ökonomen, die eigentlich die komplette Gegenseite Deiner Argumentation darstellen: Es bleibt beide Male unberücksichtigt, dass Ökonomie nicht aus einer "Momentaufnahme" besteht, sondern aus einem dynamischen Prozess, der sich entlang der Zeitachse entwickelt. Wenn man dies nicht begreift, so versteht man z.B. nicht, warum reale Märkte relativ ineffizient sind (im Gegensatz zu denen in den Lehrbüchern der Ökonomen), aber man versteht andererseits auch nicht, warum das Argument mit den Kindern, "die nur konsumieren, aber nicht arbeiten", hinkt. Denn die Phase der Kindheit ist eben nur ein Moment - zum tatsächlichen Verständnis ist es aber wichtig, den gesamten ökonomischen Prozess zu sehen.

Betrachtet man das Leben gesamt, so ist der Mensch sowohl Arbeitnehmer als auch Konsument. Es ist richtig, dass dieser Mensch zuerst nur als Nachfrager auftritt, der lediglich Produktivität verbraucht; dies wird aber mehr als überkompensiert durch die Phase, in der dieser Mensch produktiv sein kann. Es kommt hier bei einer ausbalancierten Wirtschaft auch nicht zu irgendwelchen Verwerfungen, weil ja nicht alle gleichzeitig Kinder oder Erwachsene sind, sondern die Generationen im Idealfall fliessend ineinander übergehen, so dass in diesem Fall jederzeit genügend Erwachsene da sind, die mit ihrer Produktivät sowohl Alte als auch Kinder versorgen können.

Das funktioniert auch bei einer wesentlich kleineren Bevölkerung. Was aber problematisch ist, ist die Phase des Schrumpfens an sich, da dort dann - wenn alle anderen Variablen gleich bleiben - entsprechende Verwerfungen auftreten - im konkreten Fall heisst das ein Finanzierungsproblem bei den Renten. Der umgekehrte Fall tritt übrigens bei starkem Bevölkerungswachstum auf. Hier stellt die Versorgung der Kinder - vor allem deren Bildung - ein Problem dar. In Entwicklungsländern ist dies dann ein Teufelskreis, weil eine geringe mögliche Investition in die grosse Menge an Kindern zu einer - selbst im Verhältnis zu ihrer Grösse - unterproportionalen Produktivität der Folgegeneration führt. Dies wiederum bestärkt grosse Teile der Bevölkerung, dass nur eine grosse Zahl an Kindern ausreicht, um die eigene Alterversorgung zu sichern. Und das Spiel beginnt von neuem...

Das Problem in Deutschland ist aber nur teilweise das der Schrumpfung der Bevölkerung. Prinzipiell könnte diese Schrumpfung durch den entsprechenden Zuwachs an Produktivät ausgeglichen werden. Damit dies funktioniert, müssen die Arbeitnehmer aber entsprechend an diesem Produktivätszuwachs partizipieren. Dies ist aber nicht der Fall. Tatsache ist, dass die Lohnquote - und damit die Kaufkraft in Relation zu Produktivität - seit Jahren sinkt. Das mag von manchen wieder als linkes Geseiere angesehen werden, aber es ist so! Nun muss man nicht unbedingt die Segnungen des Keynesianismus predigen (der als "Glaubensrichtung" ebenso problematisch ist!), aber es ist Zeit für Rationalität in der wirtschaftspolitischen Debatte.

Wenn wir zulassen, dass weiterhin durchgeknallte Ökonomotheologen die Richtung vorgeben, werden wir jedenfalls noch unser blaues Wunder erleben. Aber halt - die BILD hat ja neulich Hans-Werner Sinn als "klügsten Wirtschaftsprofessor Deutschlands" tituliert. Und die muss es ja wissen...

Gruss,
Paul


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