Wieviel «Gleichberechtigung» verträgt das Land?

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Fahrenheit 68

Scipio Africanus, St.Gallen, Saturday, 16.09.2006, 20:47 (vor 6454 Tagen) @ susu

Zum einen gab es da tatsächlich (mal wieder) unterschiedliche Positionen
und viele K-Gruppen hingen tatsächlich einem Maoismus nach. Andererseits
distanzierte sich z.B. Dutschke schon 67 sowohl vom Maoismus als auch von
den Osteuropäischen Sozialismen Stalinistischer Prägung. Ein Stasi-Spitzel
berichtete (Dafür ist die Gauck-Behörde gut *g*) in einem Dossier über
Dutschke er habe regelmäßig vom "Scheiß-Sozialismus der DDR" gesprochen.
Um mal bei deinem Beispiel Fischer zu bleiben, der wandte sich 77
"desillusioniert" von den radikalen Gruppen ab.


Nun, das ist ja löblich. Aber genügt das ? Genügt es zu sagen : Jo, ich hab den Adolf gewählt, ick war in de SS, ick gloob, det war nFehler.

So einfach wollen wir uns das nicht machen.

Der Fischer ist eine dermassen zwielichtige Type. Es genügt, sich mal die kleine Zusammenfassung im wiki oder sonstwo anzuschauen. Aufarbeitung ? Nicht die Spur.

Und hat dazu öffentlich
geredet und geschrieben, auch und gerade über seine Verfehlungen. Dazu
kommt, daß er zur Sponti-Szene gehörte, die im Gegensatz zu den K-Gruppen
der Meinung war, eine umfassende Veränderung der Verhältnisse könne nicht
durch Parteien, sondern nur durch Spontane Aktionen der Bevölkerung
hervorgebracht werden.

Jawohl, militant waren sie, gewalttätig. Das hinderte die Grünen aber nicht daran, sich als die pazifistische Partei schlechthin darzustellen. Und wieder haben wir einen dieser fundamentalen Widersprüche.

Es ist wohl unbestritten, dass die Grünen aus der ausserparlamentarischen Opposition hervorgingen. Ich erinnere daran, dass Fischer mit radikalmilitanten Gruppen verbunden war, die Molotowcocktails schmissen. Dabei gab es Tote und Schwerverletzte.

Also, was wäre, wenn der heutige Aussenminister in einer rechtsradikalen, militanten Gruppe aktiv gewesen wäre, die Tote und Schwerverletzte zu verantworten hätte ? Warum werden dermassen unterschiedliche Massstäbe angelegt ?


Ein zentraler Aspekt war da das Straßentheater.
Eine gewisse Selbstgerechtigkeit erkenne ich da auch, prinzipiell hat das
wenig mit 68 zu tun, sondern mit der allgemeinen Problematik
unaufgearbeiteter Machtbeziehungen, die ich erst bei Foucault in den 70ern
finde und innerhalb eines Außerphilosophischen Diskurses erst mit der
"Hamburger Schule" und auch da also in der Popkultur finde. Diese
Selbstgerechtigkeit ist nicht auf die 68er beschränkt sondern findet sich
auch bei Konservativen.

Die findet sich sicher auch bei den Konservativen. Da geb ich dir recht. Trotzdem empfinde ich die Tendenz zu Selbstgerechtigkeit bei den Grünen am ausgeprägtesten. Es liegt in der Natur der Sache, dass ich das nicht beweisen kann.

Aber sind sie nicht die Erben der christlichen Moralapostel ? Ich denke, das sind sie.

Sie haben ihre wesentlichen Ziele erreicht? Welche? Ich guck gerade mal
nach draußen, ob von mir unbemerkt die klassenlose Gesellschaft
ausgebrochen ist, aber ich seh nix. Ich habe auch nichts davon gemerkt das
die Grünen die Staatsmacht ausdehnen wollen. Vieleicht habe ich das Program
nicht verstanden, aber gib mal Beispiele... Wenn du sagen willst, daß die
Protagonisten von 68 teilweise ihre Meinungen von damals revidiert haben.
- Ist das ein Vorwurf? Und ist es ein Vorwurf an das Program von 68, wenn
es von einigen die es befürworteten später abgelehnt wurde? Mach mal klar
was du kritisierst:
a) Die Ziele von 68
oder
b) 68er, die diese Ziele aufgegeben haben, oder gar das Gegenteil fordern

Du selbst dagst, wie sehr sich ein Strafgesetzbuch aus den 50-er Jahren von einem heutigen unterscheidet. Wirkönnen also festhalten, dass sie viel erreicht haben, mal ganz wertfrei konstatiert.

Die utopischen Ziele - wie die von dir angesprochene klassenlose Gesellschaft - haben sie natürlich nicht erreicht. Dazu besteht für die Protagonisten und ihre Wähler auch kein Anlass, gehört doch der typische Grünwähler zum gehobenen Mittelstand. Wozu dann noch eine klassenlose Gesellschaft ?

Halt. Tritt Herman für eine liberalisierung ein? Sie redet von "der
naturgegebenen Aufgabe" u.ä. Und wieder verweise ich hier auf das Forum:
KlausZ fordert eine "Richtschnur", während ich von den "Forenlinken"
inklusive mir keine Forderung nach einheitlichen Lebensentwürfen gesehen
habe.

Nun, ich vertret hier ja nicht KlausZ.

Wenn du aber den öffentlichen Diskurs beobachtest, dann stellst du fest, dass von "linker Seite" ein sehr, sehr grosser Konformitätsdruck ausgeübt wird. Dies sehe ich von rechts nicht. KlausZ ist nicht typischer Repräsentant der konservativen Position.
Die Diskussion um Herman zeigt den Konformitätsdruck deutlich. Ihr Erfolg basiert eben auch gerade auf ihrem nonkonformistischen Ansatz, ihrem Tabubruch.
Es ist eines dieser unbegreiflichen Wunder, dass sich die grössten Konformisten nach wie vor als die geistige Avantgarde gebärden, sich aufführen, als seien sie die Fundamentalopposition. Die haben nicht mitgekriegt, dass sich seit 1968 tatsächlich vieles verändert hat.

Nein. Als ewiggestrig bezeichne ich eine Einstellung, die konservative
Lebenmodelle stark privilegieren will. Und ich würde gern mal eine
Textstelle sehen, bei der ich die Entscheidungsfreiheit angegriffen
hätte.

Es ist die Art und Weise, wie ein Diskurs geführt wird. War aber eigentlich nicht auf dich persönlich gezielt, obwohl, ich weiss, ich hab da mal eine etwas spitze Bemerkung in diesem Sinne fallen lassen.

Welche autoritären Mittel werden gegenwärtig zur Gleichstellung
gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit der Ehe angewandt oder
geplant?

Öffentliche Diffamierung und Ausgrenzung.

Wird Frau Herman in der Regel sachlich kritisiert ? Diese Auseinandersetzung ist beispielhaft und zeigt recht deutlich, was ich meine, wenn ich von autoritären Mitteln spreche.

Liberal ? Tolerant ? Nee, wirklich nicht. Nicht wenige würden sie gerne fertigmachen.

Liberal kann ja nicht heissen, dass alle das Gleiche denken dürfen. Diese Liberalität findet sich auch in Nordkorea.

Gruss Scipio


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